6. Kapitel
Auf die seltsamen Dinge der Nacht müssen wir noch warten. Der Autor lässt seinen Tsukuru seine Sara zum Rendezvous bitten. Sie treffen sich in einem Restaurant, wo ihm Sara eine Seidenkrawatte aus Singapur schenkt. Ein Element murakami’scher Symbolik? Tsukuru freut sich, ganz gegen Saras Erfahrung. „Es gibt Männer, die mögen es nicht, wenn man ihnen Krawatten schenkt.“ Tsukuru hingegen legt sie brav an mit dem Vorsatz, „er durfte nicht versäumen, sie nach ihrem Geburtstag zu fragen und ihr etwas zu schenken.“
Da hat das Restaurant doch mehr Esprit. Es ist französisch wie vielleicht auch der Rotwein, von dem unser Held nur ein Glas nimmt. Sara trinkt den Rest der Karaffe, wegen der Langeweile oder der Courage für den folgenden dominaten, fast schon übergriffigen Auftritt. Sie fordert Tsukuru auf, nochmals über den Verrat zu sprechen. Nicht schon wieder, denkt die Leserin, auch Tsukuru antwortet einsilbig. Doch Sara ist voll des Rats. Es werde langsam Zeit für ihn, darüber hinweg zu kommen. Sie fordert Aufarbeitung. Er solle endlich klären, was vor 16 Jahren geschah.
Vergeblich wehrt Tsukuru sich. Er will die Geschichte ruhen lassen, die Wunde nicht aufreißen. „Aber vielleicht ist sie nur oberflächlich verheilt. Vielleicht blutet sie im Inneren still vor sich hin“, mahnt die Hobbyanalytikerin. Sie fordert die Namen der Freunde, um ihnen hinterher zu schnüffeln. Den letzten Widerstand Tsukurus bricht sie wie einst Lysistrata. Wie diese sexuelle Verweigerung eingefädelt wird, ist gelinde gesagt eine Provinzposse.
„Du trägst ein psychologisches Problem mit dir herum.“
„Als wir miteinander geschlafen haben, hatte ich das Gefühl du warst irgendwo anders.“
„Vielleicht kann nur eine Frau das verstehen.“
„Ich möchte nicht, daß dieses Etwas zwischen uns steht.“
Tsukuru knickt ein, kein Sex wäre schließlich auch keine Lösung, denn „sexuelles Verlangen war bei einem gesunden erwachsenen Mann völlig normal.“
Er ahnt jedoch, daß etwas Grundlegendes nicht stimmt. Nie hat er sich richtig zu Frauen hingezogen gefühlt. Nicht aus Bindungs- oder Verlustangst, der Kern des Problems lag woanders.
Keine Musik, keine Literatur, nur Yves Saint Laurent mit einer Krawatte.
Kein Cliffhanger, ‑der vom letzten Kapitel ist noch frisch‑, dafür Hinweise, die auf ein baldiges Outing schließen lassen.
Weisheit: „Nicht sehen, was du sehen willst, sondern sehen, was du sehen musst.“