Dino fliegt ins All

Vorliebe, der neue Roman von Ulrike Draesner

Ei­ne Ju­gend­lie­be, sei es nun ei­ne un­aus­ge­leb­te oder gar ei­ne gro­ße, wie­der zu tref­fen nach­dem man sein gan­zes Er­wach­se­nen­le­ben an­der­wei­tig ge­liebt hat, mag pas­sie­ren, in Ro­ma­nen so­gar nicht selten.

Auch Ul­ri­ke Draes­ner baut in ih­rem neu­en, und mit dem So­lo­thur­ner Li­te­ra­tur­preis aus­ge­lob­ten Ro­man Vor­lie­be, auf eben die­se Idee. Ge­spannt ver­folgt die Le­se­rin, wie ei­ne Un­acht­sam­keit im Stra­ßen­ver­kehr ei­nen Un­fall ver­ur­sacht, des­sen Spät­fol­gen fa­tal um nicht zu sa­gen töd­lich sind.

Ein Stoff aus dem Pilch­er­träu­me er­wach­sen? Mit­nich­ten. Zwar gibt es auch hier exo­ti­sche Na­men, Sa­ra­man­di­pur und Ol­vaeus, und so­gar ei­nen rot­haa­ri­gen Eng­län­der, Ash­ley. Es gibt ei­fer­süch­ti­ge „Di­no fliegt ins All“ weiterlesen

Proust — Du côté de chez Swann – Du côté de Guermantes

Promenaden

Nach ei­nem trä­nen­rei­chen Ab­schied vom Weiß­dorn schil­dert uns der Er­zäh­ler  die bei­den Haupt­spa­zier­we­ge von Com­bray (S. 194–248). Der Ers­te führt ihn in Rich­tung des Swann­schen Be­sit­zes und dehnt sich wei­ter zur Sei­te von Mé­ség­li­se-la-Vi­neu­se hin aus. Das Spa­zie­ren­ge­hen in der Na­tur ist ihm not­wen­di­ger Aus­gleich zur  Lek­tü­re und gleich­zei­tig ei­ne nie ver­sie­gen­de In­spi­ra­ti­ons­quel­le. Na­tur­er­schei­nun­gen wie der Wind tre­ten als Lo­kal­geist von Com­bray auf, die gran­dio­sen Auf­trit­te der Schau­spie­le­rin „La lu­ne“ wer­den er­leb­bar, vor Re­gen bie­tet das Wäld­chen von Rous­sain­ville Schutz. Die­sen Un­ter­schlupf nutz­te man wohl oft, da sich die­ser Weg we­gen sei­ner Kür­ze bei auf­zie­hen­den Re­gen­wol­ken an­bot. Vor­bei an Tan­son­ville, dem von ei­nem Park um­ge­be­nen schloss­ar­ti­gen An­we­sen Swanns, führt er zur Feld­kir­che von Saint-An­dré-des-Champs, in des­sen go­ti­schen Skulp­tu­ren der Kna­be die Ge­stal­ten der nai­ven Phan­ta­sie Fran­çoi­ses und „Proust — Du côté de chez Swann – Du côté de Guer­man­tes“ weiterlesen

Proust — Mandarinen, Weißdorn und eine Korkenziehercaritas

Lebensthemen

Die Sei­ten 101 bis 193 bie­ten vie­le Rück­bli­cke, Er­in­ne­run­gen und Spa­zier­gän­ge. Wir ler­nen zwei sehr amü­san­te Per­so­nen ken­nen, den ar­ro­gan­ten Bloch und den Schwät­zer Legrandin.

Am bes­ten ge­fällt mir, daß auf die­sen Sei­ten die drei gro­ßen Lei­den­schaf­ten Prousts oder des Er­zäh­lers zur Spra­che kom­men, Thea­ter, Lie­be und Literatur.

Er schil­dert wie ihn schon als Jun­ge der mon­dä­ne Ruch des Thea­ters und vor al­lem der da­mit ver­bun­de­nen Frau­en­welt an­zog. All’ die­se ge­fei­er­ten Schau­spie­le­rin­nen, hüb­schen, noch nie ver­hei­ra­te­ten Wit­wen, fal­schen Grä­fin­nen und Ko­kot­ten wür­de der Kna­be sehr ger­ne ken­nen ler­nen. Aber er ist noch zu jung, sei­ne El­tern er­lau­ben kei­nen Be­such im Thea­ter, ge­schwei­ge denn in der De­mi­mon­de. Da trifft es sich gut, ei­nen On­kel be­su­chen zu kön­nen, der die­sem Mi­lieu ge­gen­über „Proust — Man­da­ri­nen, Weiß­dorn und ei­ne Kor­ken­zie­her­ca­ri­tas“ weiterlesen

Proust — Auf der Suche nach dem Erzähler

Marcel – Knabe, Erzähler, Autor

Wäh­rend die­ser ers­ten ge­mein­sa­men Le­se­ab­schnit­te stell­te sich uns im­mer wie­der die Fra­ge, wie alt und wer der Kna­be sei. Das Dra­ma des Gu­te-Nacht-Kus­ses, die zahl­rei­chen Ro­man­lek­tü­ren und die Schwär­me­rei für Schau­spie­le­rin­nen schei­nen nicht recht in ei­nen be­grenz­ten Al­ters­ab­schnitt zu passen.

Wie­viel sei­ner ei­ge­nen Iden­ti­tät of­fen­bart Proust in die­ser Fi­gur? Auch wenn die Re­cher­che kei­ne Au­to­bio­gra­phie ist, so be­rich­tet Proust

„Proust — Auf der Su­che nach dem Er­zäh­ler“ weiterlesen

Prousts Madeleine

Lebensmittelsensorik und Gedächtnispsychologie

Dass Er­in­nern die Grund­la­ge al­ler Dich­tung sei, er­klärt Proust sei­nen Le­sern ein­leuch­tend und sinn­lich durch die Made­lei­ne. Denn al­lei­ne der Ge­nuss die­ses klei­nen fran­zö­si­schen Ge­bäcks er­weck­te in ihm ei­ne mé­moi­re in­vo­lon­tai­re, ei­ne un­be­wuss­te Er­in­ne­rung, die her­vor­ge­ru­fen durch ein zu­fäl­li­ges sinn­li­ches Er­eig­nis, das er­neu­te Ein­tau­chen in ein zu­rück­lie­gen­des Ge­fühl mög­lich macht. Ganz klar setzt Proust die­ses un­be­wuss­te Er­in­nern von dem be­wusst her­bei­ge­führ­ten in­tel­lek­tu­el­len Er­in­nern ab. In der Ein­lei­tung zu der be­rühm­ten Text­stel­le be­tont er, daß er zwar an sei­ne Kind­heit in Com­bray wil­lent­lich den­ken kön­ne, aber „da die auf die­se Wei­se ver­mit­tel­te Kun­de von der Ver­gan­gen­heit ihr We­sen nicht er­fasst, hät­te ich nie­mals Lust ge­habt, an das üb­ri­ge Com­bray zu den­ken. Al­les das war in Wirk­lich­keit tot für mich.“

Erst der Ge­schmack des in ein we­nig Tee ge­weich­ten Ku­chens an sei­nem Gau­men er­weckt das all­sonn­täg­li­che Made­lei­ne-Ri­tu­al bei Tan­te Léo­nie und da­mit die Som­mer­fri­schen-Kind­heit in Com­bray zur le­ben­di­gen Erinnerung.

Die Be­gleit­um­stän­de die­ses Ge­dächn­ti­stricks lie­gen in der mensch­li­chen Sen­so­rik und Funk­ti­on un­se­res Hirns. Klaus Dürrschmid ent­larvt in sei­nem Auf­satz Zur Sen­so­rik von Made­lei­nes und Tee Proust „Prousts Made­lei­ne“ weiterlesen

Proust — Die ersten 100 Seiten

Einschlafschwierigkeiten

Wer kann sich nicht dar­an er­in­nern, wie qual­voll es sein kann ein­schla­fen zu sol­len oh­ne es zu wol­len. Es fehlt die nö­ti­ge Bett­schwe­re oder ein wich­ti­ges Ri­tu­al. Wel­ches Ri­tu­al kann schö­ner sein als der Gu­te-Nacht-Kuss, des­sen Be­sänf­ti­gung den Über­gang zum Schlaf leich­ter macht? Am ein­dring­lichs­ten be­schreibt dies Mar­cel Proust. Sei­ne Dar­stel­lung ver­setzt mich zu­rück in mei­ne Kind­heit. Auch ich se­he den Strei­fen Licht un­ter der Tür her­vor­schim­mern, wün­sche mir bei je­dem Schritt im Haus, dass sich die Tür zu mei­nem dunk­len Zim­mer öff­net, mei­ne Mut­ter sich über mein Bett beugt und mir so noch ein­mal ver­si­chert nicht al­lei­ne zu sein in den nächs­ten dunk­len Stunden.

Na­tür­lich ver­brach­te ich mei­ne Som­mer­fri­sche nicht in Com­bray. Zum Glück. Trotz der pri­vi­le­gier­ten An­nehm­lich­kei­ten wä­re mir die­se Um­ge­bung zu eng ge­we­sen. Prousts Rück­schau „Proust — Die ers­ten 100 Sei­ten“ weiterlesen

Proust gemeinsam lesen — Ein Leseprojekt

Noch ein Proust-Blog?

Nein. An die­ser Stel­le soll ei­ne Samm­lung von Links, Ver­wei­sen, Li­te­ra­tur und Ideen ent­ste­hen, die aus ei­nem ge­mein­sa­men Le­sen von „Auf der Su­che nach der ver­lo­re­nen Zeit“ her­vor­ge­hen. Die­se Dis­kus­si­on nach fest­ge­leg­ten Le­se­ab­schnit­ten fin­det sich im Fo­rum der Buch­tausch­bör­se Tausch­ti­cket.

Zu Be­ginn sei­en auf die Sei­te des Suhr­kamp-Ver­la­ges mit den der­zeit vor­han­de­nen Aus­ga­ben ver­wie­sen, so­wie auf die der Mar­cel-Proust-Ge­sell­schaft. Die­se bie­tet zahl­rei­che wei­ter­füh­ren­de In­for­ma­tio­nen, dar­un­ter auch vie­le Post­kar­ten­an­sich­ten, die uns die An­kunft in Com­bray erleichtern.

Für den Proust­an­fän­ger oder gar für den Proustan­ge­ber sind in den letz­ten Jah­ren zahl­rei­che „Proust ge­mein­sam le­sen — Ein Le­se­pro­jekt“ weiterlesen

Interkulturelles Lesen

Bella Italia

Schon seit lan­gem kann man das Land, wo die Zi­tro­nen blü­hen, auch li­te­ra­risch be­rei­sen. Nicht nur die Ta­ge­bü­cher deut­scher Schreib­ge­nies, son­dern auch ei­ne Viel­zahl von Bü­chern des Wa­gen­bach-Ver­lags er­fül­len die­se deut­sche Sehnsucht.

Dem seit Jah­ren her­auf­be­schwo­re­nen Ide­al der In­ter­kul­tu­rel­len Kom­pe­tenz oder eher dem Schei­tern dar­an wid­met sich ei­ne Rei­he des Ull­stein-Ta­schen­buch­ver­la­ges. In un­ter­halt­sa­mer und amü­san­ter Wei­se wer­den kul­tu­rel­le Men­ta­li­tä­ten son­diert und für ge­gen­sei­ti­ge To­le­ranz geworben.

Den ita­lie­ni­schen Ein­stieg mach­te Jan Wei­ler mit dem „In­ter­kul­tu­rel­les Le­sen“ weiterlesen

Wilhelm Genazino, Die Reise, der Tagtraum, das Versteck

Nein, es han­delt sich nicht um den Ti­tel des neu­en Ro­mans, son­dern um die Re­de Gen­a­zi­nos an­läss­lich der Ver­lei­hung des Rin­ke-Prei­ses 2010. Ih­re leicht ge­kürz­te Fas­sung wur­de in der heu­ti­gen Aus­ga­be der Süd­deut­schen Zei­tung veröffentlicht.

Ver­lie­hen wird der Preis durch die Stif­tung von Gun­tram und Ire­ne Rin­ke für „Das Le­bens­ge­fühl des Jah­res in sprach­lich über­zeu­gen­den Tex­ten“. Gen­a­zi­no er­hielt den Preis am 28. April für sei­nen im let­zen Jahr er­schie­nen Ro­man Das Glück in glücks­fer­nen Zei­ten.
Der mit 10000 Eu­ro do­tier­te Rin­ke-Preis wird seit 2007 ver­ge­ben. Bis­he­ri­ge Preis­trä­ger wa­ren Raoul Schrott mit Dich­ter am Ball(2007), der an­ony­me Ver­fas­ser von Wo­hin mit Va­ter?(2008) und Ro­ger Wil­lem­sen für Der Knacks(2009).

Der fol­gen­de Text ver­sucht ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit die­ser Re­de. Zi­ta­te aus die­ser oder aus an­de­ren Wer­ken Gen­a­zi­nos sind gekennzeichnet.

Was be­deu­tet ein Preis für ei­nen Schrift­stel­ler, der in sei­nen Wer­ken dem Bei­fall des Pu­bli­kums eher kri­tisch ge­gen­über steht? Er stellt ei­ne Be­sänf­ti­gung des ste­ten Selbst­skep­ti­zis­mus dar, un­ter dem je­der rich­ti­ge Schrift­stel­ler lei­det. „Wil­helm Gen­a­zi­no, Die Rei­se, der Tag­traum, das Ver­steck“ weiterlesen

Die Beute der Bücherdiebin

Was hat es nun mit den „ge­stoh­le­nen” Bü­chern auf sich?

We­nig fin­det sich  dar­über auf deutsch­spra­chi­gen Sei­ten. Selbst Wi­ki­pe­dia ist nicht ganz kor­rekt in der Auf­zäh­lung. Das ein oder an­de­re De­tail mag auch mir durch die Lap­pen ge­gan­gen sein. Wenn dies so ist, mel­det Euch.

Hier nun ei­ne Auf­stel­lung der Bü­cher, die im Lau­fe des Ro­mans in Lie­sels Be­sitz ge­lan­gen. Sei­en sie nun ge­fun­den, aus dem Feu­er ge­ret­tet, ge­schenkt oder tat­säch­lich ent­wen­det. Ei­ne kor­rek­te bi­blio­gra­phi­sche Er­fas­sung ist man­gels An­ga­ben lei­der nicht mög­lich. Das macht aber nichts, die Bü­cher sind fast al­le fiktiv.

1. Am 13.Januar 1939 fin­det Lie­sel nach dem Be­gräb­nis ih­res Bru­ders auf ei­nem Münch­ner Fried­hof das Hand­buch für To­ten­grä­ber. Es trägt den Un­ter­ti­tel In zwölf Schrit­ten zum Er­folg. Wie man ein gu­ter To­ten­grä­ber wird. Her­aus­ge­ge­ben von der Baye­ri­schen Fried­hofs­ver­wal­tung und er­weist sich so­mit als Ana­chro­nis­mus. Ei­ne Fried­hofs­ver­ord­nung in Ge­stalt ei­nes Kar­rie­re­rat­ge­bers des 20. Jahr­hun­derts, der ei­nem To­ten­grä­ber­lehr­ling an­no 1939 aus der Ta­sche fällt? „Die Beu­te der Bü­cher­die­bin“ weiterlesen