Träume im Stauburwald

Schöne Sprüche in Lucy Frickes „Ich habe Freunde mitgebracht

Am An­fang steht die Flucht. Auf ei­ner knap­pen Sei­te be­geg­net der Le­ser vier Per­so­nen auf dem Weg nach Nor­den, zwei an­schei­nend schwer ver­letzt. Ei­ne Road­sto­ry ent­wi­ckelt sich den­noch nicht, die Ge­schich­te ist in der Rück­schau an­ge­legt. Zu­dem wird die Fahrt wohl eher eng als ra­sant ge­we­sen sein, denn sie er­folg­te in ei­nem mit vier Per­so­nen voll be­setz­ten VW Lu­po und das En­de ist an­ders als erträumt.

Wir ler­nen die vier Freun­de ken­nen. Mar­tha und Hen­ning sind ein Paar. Bet­ty, die beim Film als Skript­girl ar­bei­tet, ist mit Mar­tha be­freun­det, Jon, ein er­folg­lo­ser Schau­spie­ler, mit Hen­ning. Al­le ver­bin­det der Wunsch ih­rer bis­he­ri­gen Exis­tenz zu ent­flie­hen. Ganz tra­di­tio­nell träu­men die Frau­en vom per­sön­li­chen Glück, wel­ches sie in ei­nem Kind oder in ei­ner er­füll­ten Lie­bes­be­zie­hung ver­mu­ten. Die bei­den Män­ner er­hof­fen sich hin­ge­gen be­ruf­li­chen Erfolg.

In schnel­lem Wech­sel rich­tet Fri­cke den Fo­kus auf je­weils ei­ne der Haupt­per­so­nen und skiz­ziert mit rück­halt­los ehr­li­chen, oft sar­kas­ti­schen Be­mer­kun­gen auf we­ni­gen Sei­ten de­ren Welt­sicht. Die ent­täusch­te Bet­ty ver­ach­tet ih­ren Nach­barn, der ist „kei­ne 25 und hängt schon am Le­ben“, die Tren­nung von ih­rem Ex-Lo­ver über­win­det sie schlecht „sie hör­te stän­dig Sät­ze, die nie­mand sag­te, von de­nen sie nur woll­te, dass sie end­lich ein­mal je­mand mein­te“. Hen­ning kocht aus Frust, die Grün­de sind ein un­be­frie­di­gen­der Job als Trick­film­zeich­ner und sei­ne Freun­din Mar­tha. Ein­mal pro Jahr ver­lässt die­se die zehn­jäh­ri­ge Be­zie­hung. Als The­ra­pie ge­gen die Bin­dungs­stö­rung be­su­chen bei­de dann je­weils an­de­re Freun­de. „Es gab in ei­ner Kri­se ab­so­lut nichts Bes­se­res als Freun­de zu be­su­chen, de­nen es rich­tig mies ging.“ Hen­ning er­hofft sich ei­nen Ver­le­ger für sei­nen Co­mic, der seit Jah­ren in der Schub­la­de liegt. Der gut­aus­se­hen­de aber er­folg­lo­se Schau­spie­ler Jon wit­tert end­lich die Chan­ce von sei­ner ewi­gen Rol­le als Lei­che zum Haupt­dar­stel­ler auf­zu­stei­gen. Wäh­rend Mar­tha, die als Nach­rich­ten­spre­che­rin beim Ra­dio ar­bei­tet, in War­schau plant „ei­ne Zeit für neue Sün­den aus­zu­ru­fen, für aus­ufern­de, mu­ti­ge scham­lo­se“. Aber ei­gent­lich will sie nur schwan­ger wer­den und Hen­ning eben nicht. Bet­ty schleppt sich mit Lie­bes­kum­mer und Rü­cken­schmer­zen zu ei­nem fa­ta­len Sonn­tags­dreh und Hen­nig fin­det end­lich ei­nen Ver­le­ger für sei­nen Su­per­hel­den­co­mic. Aus un­ter­schied­li­chen Grün­den ver­lie­ren plötz­lich al­le die Kon­trol­le über sich oder die sich ge­ra­de er­fül­len­den Wünsche.

Fri­cke hat mit ih­rem Ro­man über Men­schen um die Drei­ßig und de­ren Phan­ta­sien über All­tags­flucht und All­tags­be­wäl­ti­gung gleich­zei­tig ein Ex­em­pel über die Su­che nach dem Sinn und die Er­kennt­nis, daß es kei­nen gibt, ge­schaf­fen. Sie zeigt die Mid­life­cri­sis in Ber­lin und de­ren Be­wäl­ti­gung im Nor­den und lässt en pas­sant ei­nen klei­nen Lu­po ster­ben, um ei­nem ganz di­cken Ding Platz zu ma­chen. Ob das gut geht?

Trotz der un­ter­halt­sa­men Lek­tü­re hat mir die­ses Buch zu­nächst gar nicht so ge­fal­len. Die Schick­sa­le hat­ten we­nig mit mir zu tun. Die sprit­zi­gen Bon­mots hin­ge­gen, die den Reiz der Ge­schich­te stei­gern, sind wirk­lich le­sens­wert. Die Sto­ry schreit ge­ra­de­zu da­nach ver­filmt zu werden.

Noch mehr Sprüche:

Sonn­ta­ge wa­ren schwer­fäl­li­ge, übel­lau­ni­ge Mons­tren, litt man nicht un­ter der Ein­sam­keit, dann un­ter der Fa­mi­lie, im schlimms­ten Fall litt man un­ter beidem…“

…re­gel­rech­te Staub­zöp­fe hin­gen bei Jon in der Kü­che, und er frag­te sich, ob die wohl ewig wei­ter wach­sen könn­ten, ob es mög­lich wä­re, in ei­nem Stau­bur­wald zu hau­sen, und wel­che Aus­wir­kun­gen das flau­schi­ge Ge­wirr auf das Ge­müt hätte.“

Ver­damm­tes Po­len, dach­te sie, hat­te ihr das Hirn ein­ge­hä­kelt wie ei­ne Klorolle“

er…war im­mer auf dem Sprung nach oben ge­we­sen, hat­te so lan­ge in der Ho­cke ver­harrt, dass ihm der Hin­tern ein­ge­schla­fen war.“

…viel­leicht war er in ei­nem Al­ter, wo Men­schen wie Uhr­wer­ke lau­fen, wo al­les Le­ben Glas­hüt­te ist und man nur ab und zu auf­ge­zo­gen wer­den musste…“

Ei­ne Hör­pro­be fin­det sich bei Li­te­ra­tur­port. Ein In­ter­view mit der Au­torin führ­te Cars­ten Schr­a­der für uMa­ga­zi­ne.

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