Vatersorgen

Vermurkste Winterreise in Thomas Hettches Roman „Die Liebe der Väter

Ein Va­ter reist mit sei­ner Toch­ter nach Sylt, um die Win­ter­fe­ri­en im an­ge­mie­te­ten Reet­dach­do­mi­zil von Be­kann­ten zu ver­brin­gen. Das dor­ti­ge Kli­ma ist zu die­ser Jah­res­zeit rauh und un­ge­müt­lich und lässt die ent­ste­hen­de At­mo­sphä­re in der be­son­de­ren Fa­mi­li­en­kon­stel­la­ti­on zwi­schen dem un­ver­hei­ra­te­ten Va­ter und sei­ner zwi­schen den sich nicht lie­ben­den El­tern zer­rie­be­nen Toch­ter be­reits er­ah­nen. Zu­dem spielt die Hand­lung aus­ge­rech­net an den Ta­gen, de­ren Näch­te eben­falls die­ses un­heil­ver­hei­ßen­de Prä­fix tragen.

Die drei­zehn­jäh­ri­ge An­ni­ka und Pe­ter ver­le­ben die­se dem All­tag ab­ge­run­ge­ne ge­mein­sa­me Zeit als Zaun­gäs­te in ei­ner Bil­der­buch­fa­mi­lie aus Va­ter, Mut­ter, Toch­ter, Sohn und BMW. Zwi­schen Su­san­ne, der Ehe­frau des Or­tho­pä­den Achim, und Pe­ter be­stand einst ei­ne Schü­ler­lie­be, die sich be­kann­ter­wei­se meist, wenn sie nicht einst zur Ehe ge­führt hat, auf­ge­wärmt als En­er­gie­ver­schwen­dung ent­puppt. Ei­ne ins­ge­samt pro­ble­ma­ti­sche Kon­stel­la­ti­on, in der sich Drei­zehn­jäh­ri­ge nach­voll­zieh­bar fehl am Platz füh­len. Es über­rascht al­so nicht, daß An­ni­ka am öden Nord­see­strand bes­se­re Be­kannt­schaf­ten fin­det, die ihr Zu­flucht bie­ten als es zum Kon­flikt mit ih­rem Va­ter kommt. Die­ser gip­felt in ei­ner ver­zwei­fel­ten Ohr­fei­ge als Re­sul­tat lang­un­ter­drück­ter Frus­tra­ti­on des recht­lo­sen Vaters.

An das Buch, wel­ches 2010 für den Deut­schen Buch­preis no­mi­niert war, bin ich oh­ne gro­ße Er­war­tun­gen her­an­ge­gan­gen und wur­de po­si­tiv über­rascht. Hett­che ge­lingt es sehr gut, die Be­find­lich­keit die­ses un­ehe­li­chen Va­ters dar­zu­stel­len. Das liegt nicht nur an der fa­mi­liä­ren Si­tua­ti­on, in der sich der Prot­ago­nist nicht be­fin­det, son­dern auch an sei­ner psy­chi­schen Dis­po­si­ti­on. Er kämpft ge­gen Ohn­macht und Zorn, zeigt To­le­ranz und Sen­si­bi­li­tät, aber auch das Feh­len von Durch­set­zungs­kraft. Selbst­ana­ly­sie­rend emp­fand ich die­sen Mann, ego­is­tisch kaum. Er kommt nicht ge­gen sei­ne Mit­men­schen an, er lässt sich von ih­nen so hin­bie­gen, wie sie ihn brau­chen, und kann sei­ne Be­dürf­nis­se sel­ten durch­set­zen. Sei­en es die Zwil­lin­ge, die ihn beim Rum­mel­pott ner­ven, Su­san­ne, die ihr Spiel­chen mit ihm treibt, Achim, der in sei­ner phan­ta­sie­lo­sen Spie­ße­r­exis­tenz je­de Em­pa­thie ver­mis­sen lässt, He­len Sa­len­tin, die eben­falls kalt und emo­ti­ons­los re­agiert. Je mehr ich ge­le­sen ha­be um so wü­ten­der wur­de ich und ha­be die­sem Va­ter mehr Mut ge­wünscht. Aber letzt­end­lich ist es auch sei­ne Weich­heit, die An­ni­ka wie­der zu ihm kom­men lässt.

Die Mut­ter ist für mich lei­der zu blass ge­blie­ben, und da­mit auch der ei­gent­li­che Kon­flikt des recht­lo­sen Va­ters. Für mich stellt das Buch eher das Psy­cho­gramm ei­ner la­bi­len Per­sön­lich­keit dar. Ei­ne Per­son, die mir trotz oder ge­ra­de we­gen ih­rer Schwä­chen sym­pa­thisch ist.

Hett­che er­zählt nicht nur die Ge­schich­te des recht­lo­sen Va­ters, wie er in ei­nem In­ter­view be­tont, son­dern zeigt ver­schie­de­ne Rol­len­mo­del­le auf. Der für­sorg­lich agie­ren­de, wenn auch für mei­nen Ge­schmack kalt und un­sym­pa­thisch wir­ken­de, Arzt Achim. Flo­ri­an, der in ähn­li­cher Si­tua­ti­on wie Pe­ter ist, die­se je­doch oh­ne Selbst­an­kla­ge hin­nimmt. Zwei wei­te­re Vä­ter glän­zen durch Ab­we­sen­heit, da­mals wie heu­te. Pe­ters ei­ge­ner Va­ter ließ Sohn und Ehe­frau über Jah­re hin­weg im Som­mer al­lei­ne nach Sylt ent­schwin­den, wo Pe­ters Mut­ter in ei­ner klei­nen Buch­hand­lung jobb­te. Ob der Va­ter die­se zeit­wei­li­ge Tren­nung frei­wil­lig hin­nahm, klärt sich nicht. Der Mut­ter schien die som­mer­li­che Aus­zeit gut zu pas­sen, dem Sohn we­ni­ger. Auch der Va­ter der töch­ter­li­chen Sylt­be­kannt­schaft Ju­li­an ist nicht bei Sohn und Kindsmutter.

Die­se Vä­ter lieb­ten und lie­ben im Ab­seits oder neh­men ih­re Lie­be zu selbst­ver­ständ­lich hin, Hett­che deckt ih­re schwie­ri­gen Rol­len­mus­ter auf.

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