Gemeinsam anders

Wir sagen uns Dunkles“ — Helmut Böttigers aufschlussreiche Analyse der Beziehung Bachmann-Celan

Ich ha­be ei­nen Mann ge­kannt, der hieß Hans, und er war an­ders als al­le an­de­ren. Noch ei­nen kann­te ich, der war auch an­ders als al­le an­de­ren. Dann ei­nen, der war ganz an­ders als al­le an­de­ren und er hieß Hans, ich lieb­te ihn.“ 

Die­se Zei­len in In­ge­borgs Bach­manns Er­zäh­lung „Un­di­ne geht“ wei­sen auf die gro­ßen Lie­ben der Au­torin hin, Hans We­igel, Paul Ce­lan und Hans Wer­ner Hen­ze. Ih­nen räumt auch Hel­mut Böt­ti­ger in sei­nem neu­en Buch „Wir sa­gen uns Dunk­les“ ei­nen Platz ein. Das Er­geb­nis von Böt­tin­gers viel­fäl­ti­gen Ana­ly­sen zeigt al­ler­dings, daß Paul Ce­lan, der Mitt­le­re in Bach­manns Zi­tat, wie kein an­de­rer die Frau und die Schrift­stel­le­rin In­ge­borg Bach­mann präg­te et vice versa.

Hel­mut Böt­ti­ger, Li­te­ra­tur­kri­ti­ker und Ver­fas­ser meh­re­rer Wer­ke zur deutsch­spra­chi­gen Nach­kriegs­li­te­ra­tur, wid­met sich in sei­ner neu­es­ten Stu­die der Be­zie­hung von In­ge­borg Bach­mann und Paul Ce­lan. Er be­leuch­tet dar­in die Sta­tio­nen ih­rer Vi­ta als Lie­ben­de wie als Schrift­stel­ler, ih­re ge­gen­sei­ti­ge Be­ein­flus­sung und die Aus­wir­kung auf ih­re Li­te­ra­tur. Die, so zeigt Böt­ti­ger, oft­mals in Chif­fren Re­ak­tio­nen auf die Äu­ße­run­gen des „Ge­mein­sam an­ders“ weiterlesen

Rekonstruktion. (Herrlich) Unkorrekt

Julia Wolf lässt in ihrem Roman „Walter Nowak bleibt liegen“ das Hirn ihres Protagonisten erzählen

Den Riss in der De­cke woll­te ich längst, und nun lie­ge ich hier und kann mich nicht rüh­ren, ich hab’s nicht pro­biert. Ich lie­ge jetzt mal hier und rüh­re mich nicht, ich star­re ein­fach den Riss an.“

Der Ti­tel die­ses kur­zen, in­ten­si­ven Ro­mans ist Pro­gramm. Ein Mann an die 70 stürzt im Bad und bleibt lie­gen. Es ist we­ni­ger sein Al­ter, das ihn zu Fall bringt, son­dern ei­ne Ab­len­kung durch ei­ne Frau oder bes­ser Wal­ter No­waks Re­ak­ti­on auf die­se. Spä­ter wird er er­zäh­len, er ha­be sich beim Schwim­men ver­schätzt und sich den Kopf am Be­cken­rand gestoßen.

Ju­lia Wolf, die 2016 mit ei­nem Aus­schnitt aus ih­rem da­mals noch un­ver­öf­fent­lich­ten Ro­man den 3sat Preis beim Bach­mann-Wett­be­werb ge­wann, wur­de mit dem voll­ende­ten Werk ein Jahr spä­ter für den Deut­schen Buch­preis no­mi­niert. Ihr Er­zähl­stil wirkt er­fri­schend neu, auch wenn er be­rühm­ten Vor­gän­gern ver­haf­tet ist.

Die Au­torin führt den Le­ser mit­ten hin­ein in Wal­ter No­waks Hirn und lässt ihn an ei­nem Strom von Er­in­ne­run­gen und As­so­zia­tio­nen teil­ha­ben. Für die bio­gra­phi­sche Au­then­ti­zi­tät der Fi­gur gibt sie kei­ne Ga­ran­tie, sie un­ter­läuft sie mit den Träu­men und Phan­ta­sien ih­res Hel­den. Wal­ters bio­gra­phi­sches „Re­kon­struk­ti­on. (Herr­lich) Un­kor­rekt“ weiterlesen

Werwölfe und Frankensteinexperten — Die Longlist des Deutschen Buchpreises 2017

Mein bestes Buchpreis-Jahr und die aktuelle Liste

Der Deut­sche Buch­preis wird am 9. Ok­to­ber zum 13. Mal ver­ge­ben. Die Re­gu­la­ri­en sind hin­rei­chend be­kannt und kön­nen im Zwei­fel auf der ei­gens ein­ge­rich­te­ten Buch­preis-Sei­te des Bör­sen­ver­eins nach­ge­le­sen wer­den. Pro­pa­giert als Preis für den bes­ten deutsch­spra­chi­gen Ro­man, ge­dacht als Mar­ke­ting­stra­te­gie für den deut­schen Buch­han­del und rea­li­siert von ei­ner jähr­lich wech­seln­den Ju­ry, be­sche­ren die No­mi­nie­run­gen mit­ten im Som­mer­loch Ge­sprächs­stoff für Blogs und Feuilleton.

Ich ver­fol­ge den Buch­preis von Be­ginn an. Auf mei­ner 2010 ge­grün­de­ten Sei­te er­schien 2011 der ers­te Buch­preis-Bei­trag. Im Jahr 2013 nahm ich als „of­fi­zi­el­le“ Buch­preis­blog­ge­rin teil. Mein bes­tes Buch­preis-Jahr war al­ler­dings 2009, da vie­le mei­ner Lieb­lings­schrift­stel­ler an­tra­ten. Mit In­ter­es­se las „Wer­wöl­fe und Fran­ken­stein­ex­per­ten — Die Long­list des Deut­schen Buch­prei­ses 2017“ weiterlesen

Spirit und Spirituosen

Leicht und eindrucksvoll erzählt Joachim Meyerhoff in „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ vom Ankommen und Abschiednehmen

9783462048285Wäh­rend der ge­sam­ten nächs­ten drei Jah­re wohn­te ich bei ih­nen und die Zeit mit mei­nen Groß­el­tern war viel­leicht so­gar in­ten­si­ver und prä­gen­der für mich als die Aus­bil­dung selbst. Drei Jah­re lang soll­ten die­se bei­den kom­plett ver­schie­de­nen Wel­ten mei­ne Le­ben bestimmten.“

Be­vor ich mit der Be­spre­chung des Ro­mans be­gin­ne, muss ich beim Au­tor Ab­bit­te leis­ten. 2013 als der da­mals an der Wie­ner Burg en­ga­gier­te Schau­spie­ler beim Bach­mann-Wett­be­werb aus dem vor­lie­gen­den Ro­man las, hat mir dies ganz und gar nicht ge­fal­len. Es lag zum ei­nen an der Sze­ne, die mir als pu­ber­tä­re La­den­dieb­far­ce er­schien und die ich auch jetzt nach der Lek­tü­re des kom­plet­ten Ro­mans noch als schwach er­ach­te. Doch noch viel mehr stör­te mich die Prä­senz von Mey­er­hoffs Vor­trag, der ge­ra­de­zu un­an­stän­dig gut zwi­schen den Be­mü­hun­gen sei­ner Mit­be­wer­ber her­vor­stach. Die­se Pro­fes­sio­na­li­tät hat für mich den Text stark über­la­gert. Ich war al­so nicht auf sei­ner Sei­te. Nie hät­te ich ge­dacht, dass der Ro­man zu die­sem Stück mich so be­ein­dru­cken würde.

Ken­nen­ge­lernt hat­te ich den Au­tor be­reits ei­ni­ge Jah­re zu­vor. Da­mals emp­fahl mir ei­ne Freun­din den ers­ten, 2011 er­schie­ne­nen Ro­man „Ame­ri­ka“. Da lag er und ich las und „Spi­rit und Spi­ri­tuo­sen“ weiterlesen

Damnatio Memoriae

Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ — über Schuld und den Versuch der Erinnerung zu entfliehen

jpeg_1718_160429Wi­der­fahr­nis“ ist mein ers­tes Buch von Bo­do Kirch­hoff und ich weiß gar nicht so recht, war­um? Aber ich weiß nach der Lek­tü­re, daß es nicht mein letz­tes sein wird.

Ge­wählt ha­be ich Kirch­hoffs neu­es­tes Werk nicht, weil er da­mit den Deut­schen Buch­preis ge­won­nen hat, son­dern weil mir die Le­se­pro­be im zu­ge­hö­ri­gen Heft sehr gut ge­fiel. Zu­dem steht der Ti­tel in zwei Dis­kus­si­ons­run­den auf dem Pro­gramm. Die ei­ne fin­det vir­tu­ell bei Whatch­are­a­din statt, die an­de­re dem­nächst in un­se­rem Literaturkreis.

Auch im vor­lie­gen­den Buch taucht ei­ne sol­che Run­de auf. Leo­nie Palm, ei­ne der bei­den Haupt­fi­gu­ren, ist de­ren „trei­ben­de Kraft“. So be­zeich­net sie je­den­falls Ju­li­us Reit­her, an des­sen Tür Leo­nie ei­nes Abends klopft. Der 70jährige hat vor kur­zem sei­nen Ver­lag ge­schlos­sen und sich in ein no­bles Apart­ment in den Ber­gen zu­rück­ge­zo­gen. Hier lebt er in der Na­tur und in den Er­in­ne­run­gen, die er re­di­giert wie einst als Lek­tor neue Tex­te. Ein schmerz­haf­ter Pro­zess. Reit­her „Dam­na­tio Me­mo­riae“ weiterlesen

Longlist-Kostproben 2016

Beziehungen, Bedrohungen, Selbsterkundungen

haendlerErnst-Wil­helm Händ­ler kon­sta­tiert im Kurz­por­trät „Der Mensch ist ein in Geld ein­ge­wi­ckel­tes Stück Fleisch“. Ein schö­ne, wenn auch grau­sa­me Me­ta­pher, die je­ne Käl­te vor­weg­nimmt, die in „Mün­chen“ herrscht.

Im sur­rea­len Am­bi­en­te ei­nes neo­mo­der­nen Ar­chi­tek­ten­hau­ses fol­gen wir Thad­dea, Ärz­tin für Psy­cho­so­ma­tik, die im schi­cken Stu­dio den ers­ten Kli­en­ten emp­fängt und dar­an schei­tert. Er ver­kör­pert mit sei­nem ver­sehr­ten Ge­sicht ge­nau die Lei­den, de­ren Be­hand­lung sie mit ih­rer Spe­zia­li­sie­rung mei­det. Viel­leicht will sie nicht an ih­ren ei­ge­nen Ma­kel, das Hum­peln, er­in­nert wer­den? Was of­fen­sicht­lich wird, da ih­re Freun­din Ka­ta, die Ar­chi­tek­tin ih­res Stadt­hau­ses in Schwa­bing und des Green­house in Grün­wald, vie­le Trep­pen ein­bau­en ließ. Sprach­lich über­zeugt mich der Aus­schnitt, aber ich ha­be kei­ne Ah­nung, wo­hin der Ro­man will. „Long­list-Kost­pro­ben 2016“ weiterlesen

Leseproben-Probelesen

Auch heute Hunde!

SU_Platzgumer_2.inddAls gro­ße Le­bens­beich­te wird Hans Platz­gu­mers „Am Rand“ an­ge­kün­digt. Schon der ers­te Satz führt uns zur kleins­ten Form des Rand­zo­nen­ge­biets, den Gip­fel. Dort ste­he, lie­ge oder sit­ze schließ­lich je­der ir­gend­wann ein­mal. Auf dem Gip­fel lie­gen scheint mir al­ler­dings nicht son­der­lich be­quem. Platz­gu­mers Gip­fel ist kon­kret, so­viel ist klar. Er lässt sei­nen Er­zäh­ler dort sit­zen und lässt ihm nur zehn Stun­den für sei­nen Be­richt. Ein Count­down, das klingt span­nend. Dem Ap­pe­tit­häpp­chen folgt lei­der ei­ne Aus­las­sung, und der wie­der­um ei­ne de­tail­lier­te Auf­zeich­nung vom Auf­bruch ei­nes Wan­de­rers. Ei­ne Rück­kehr plant er nicht. Ord­nung muss trotz­dem sein, viel­leicht be­tritt noch je­mand sei­ne Woh­nung. Sei­ne Le­ser for­dert er aus­drück­lich da­zu auf. Der Auf­merk­sa­me merkt hin­ge­gen bald, daß da­zu wohl kaum ei­ne Chan­ce be­steht. Welt­un­ter­gangs­stim­mung ver­brei­ten schon zwei­ein­halb des 208 Sei­ten fas­sen­den Ro­mans. Ei­ne nicht ge­schwät­zi­ge Zi­vi­li­sa­ti­on­flucht in die Ber­ge. Mich er­in­nert es an die be­ein­dru­cken­de Dys­to­pie Er­win Uhr­manns„Le­se­pro­ben-Pro­be­le­sen“ weiterlesen

Longlist-Lektüre: fortgesetzt

Vierpfotige Freunde

stadlerDie nächs­ten vier Ro­ma­ne sind haus­tier­las­tig. Al­ler­dings macht die in vie­ler­lei Hin­sicht als Num­mer eins zu be­trach­ten­de Stadler’sche Rausch­zeit ei­ne Ausnahme.

Denn rich­ti­ge Tie­re tre­ten in der Text­pro­be nicht in Er­schei­nung, aber ein Pro­fes­sor Pfo­ten­hau­er und ver­wir­ren­der­wei­se ei­ne dop­pel­te Por­ti­on Mau­si. Die ei­ne Mau­si ist um die 40, weib­li­che Haupt­fi­gur und Ge­fähr­tin von Alain, dem Ich-Er­zäh­ler. Das ers­te Ka­pi­tel gilt ihr, auch wenn sie nicht selbst zu Wort kommt. Die­se Mau­si hat­te ei­ne Tan­te Mau­si. Das ver­wirrt ein we­nig. Bei­de sind und wa­ren Lie­bes und Glücks zu­ge­wandt, im Le­ben wie in der Oper.

Alain hin­ge­gen fühlt mit Jean Paul „Ich war im­mer zu spät glück­lich, nie zur rech­ten Zeit“. Wenn er nicht ge­ra­de von Mau­si ge­trennt ist, wie im Mo­ment, er fuhr nach Köln, sie blieb in Ber­lin, ha­ben sie ein kom­for­ta­bles Mit­ein­an­der­le­ben, ge­si­chert durch ei­ne Bin­nen­tür, die ih­re Woh­nun­gen verbindet.

„Long­list-Lek­tü­re: fort­ge­setzt“ weiterlesen

Longlist-Leseproben

Bitte ein Buchpreisheft!

20160908_120701_resizedOh, hat­te ich doch vor zwei Wo­chen noch froh­lockt, daß es heu­er viel ein­fa­cher sei an die Long­list-Le­se­pro­ben zu kom­men als der­einst. Pus­te­ku­chen! Da­bei hat­te ich mich prä­pa­riert und mit dem Link zur La­ger­stät­te be­reits die rich­ti­ge Buch­hand­lung in ei­ner sehr nörd­li­chen Stadt Deutsch­lands ge­or­tet. Auf der Fahrt dort­hin ver­nahm ich die fro­he Kun­de, daß die Bro­schü­ren in ei­nem Ber­li­ner Buch­ge­schäft be­reit lie­gen. Al­so bin ich gleich sams­tags in die Fuß­gän­ger­zo­ne ge­stürmt, doch auf dem Holm gab es nicht nur kei­nen Gen­a­zi­no und kei­nen Kä­se­bier, son­dern auch kein ein­zi­ges Long­list­heft. Schlim­mer, man wun­der­te sich dort, ob und daß es schon ge­druckt wä­re, ver­sprach mir je­doch ei­nes bei Ab­ho­lung mei­ner Be­stel­lung. Ge­nau­es Zu­hö­ren er­gab, zu spät ge­or­dert und al­le schon reserviert.

Skep­tisch mach­te ich mich am fol­gen­den Mon­tag auf den Weg, der von der mit­rei­sen­den Misch­po­ke durch ei­nen Ab­ste­cher in die nörd­lichs­te Fi­lia­le ei­ner  „Long­list-Le­se­pro­ben“ weiterlesen

Deutscher Buchpreis 2016 — Die Longlist

Bewährtes, Überraschendes und ein Bestseller

Logo_dbp_16_RGBIm­mer­hin sie­ben Ti­tel mei­ner Tipps tau­chen auf der heu­te Mor­gen ver­öf­fent­lich­ten of­fi­zi­el­len Long­list auf: „Dreh­tür” von Kat­ja Lan­ge-Mül­ler, die be­reits 2007 mit „Bö­se Scha­fe” auf der Short­list stand.  Au­ßer­dem die Ös­ter­rei­che­rin Eva Schmidt mit  „Ein lan­ges Jahr”, der Dan­te-Ro­man der Büch­nerpreis­trä­ge­rin Si­byl­le Le­witschar­off, Ar­nold Stadt­lers „Rausch­zeit” ‑auch die­ser Au­tor ist ein häu­fi­ger dpb-Kan­di­da­t‑, Pe­ter Stamms kunst­vol­le Me­ta-Es­ka­pa­de „Weit über das Land”, und An­na Wei­den­hol­zer mit dem bi­zar­ren Ti­tel „Wes­halb die Her­ren See­ster­ne tra­gen”. Lei­der wur­de die von mir fa­vo­ri­sier­te An­na Ka­tha­ri­na Hahn nicht nominiert.

Wäh­rend beim S. Fi­scher Ver­lag die sechs Lis­ten­ti­tel von Händ­ler, Kai­ser-Mühle­cker, Stadt­ler, Stamm und Stei­n­ae­cker si­cher die Kor­ken zum Knal­len brin­gen, wird man sich auch bei „Deut­scher Buch­preis 2016 — Die Long­list“ weiterlesen