Auch heute Hunde!
Als große Lebensbeichte wird Hans Platzgumers „Am Rand“ angekündigt. Schon der erste Satz führt uns zur kleinsten Form des Randzonengebiets, den Gipfel. Dort stehe, liege oder sitze schließlich jeder irgendwann einmal. Auf dem Gipfel liegen scheint mir allerdings nicht sonderlich bequem. Platzgumers Gipfel ist konkret, soviel ist klar. Er lässt seinen Erzähler dort sitzen und lässt ihm nur zehn Stunden für seinen Bericht. Ein Countdown, das klingt spannend. Dem Appetithäppchen folgt leider eine Auslassung, und der wiederum eine detaillierte Aufzeichnung vom Aufbruch eines Wanderers. Eine Rückkehr plant er nicht. Ordnung muss trotzdem sein, vielleicht betritt noch jemand seine Wohnung. Seine Leser fordert er ausdrücklich dazu auf. Der Aufmerksame merkt hingegen bald, daß dazu wohl kaum eine Chance besteht. Weltuntergangsstimmung verbreiten schon zweieinhalb des 208 Seiten fassenden Romans. Eine nicht geschwätzige Zivilisationflucht in die Berge. Mich erinnert es an die beeindruckende Dystopie Erwin Uhrmanns.
Akos Doma ist laut eigenem Bekunden „als Schriftsteller (…) Deutscher, als Mensch (…) Ungar“. So wundert es kaum, daß sein auf Deutsch verfasster Roman „Der Weg der Wünsche“ mit einem ungarischen Familienfest beginnt. Gefeiert wird der Geburtstag des kleinen Misi. Alle Verwandten sind da, nur der Vater bleibt aus. Er besorgt das Überraschungsgeschenk. Vielleicht einen Hund, nach den vielen Hunden der letzten Leseproben wäre ich nciht überrascht. Ist das Vorkommen von Hunden ein geheimes Kriterium bei der diesjährigen Longlist?
Unklar ist die Jahreszeit. Es ist heiß, man feiert im Schatten eines Kirschbaums. Neben Kuchen stehen auf der Kaffeetafel Erdbeeren, Johannisbeeren und Kirschen, dazwischen frisch gepflückte Tulpen und Flieder. Seltsame botanische Koinzidenz. Aber vielleicht ist das ja so in Ungarn?
Ein Familientreffen findet auch in Michael Kumpfmüllers Roman „Die Erziehung des Mannes“ statt. Genauer gesagt, beschreibt sein Erzähler eine Erziehungsmaßnahme des Vaters, eine ungerechte, die auf einem Missverständnis gründen muss. Gelöst wird dies nicht auf den wenigen Seiten, das lässt mich eher verwirrt als gespannt zurück. Vielleicht wäre ein anderer Ausschnitt besser gewesen? Vielleicht der der Kindle-Leseprobe?
Den für jede Longlist obligatorischen DDR-Roman legt in dieser Saison André Kubiczek vor. In „Skizze eines Sommers“ erwarten den Leser die Abenteuer eines 16-jährigen allein zu Haus. 384 Seiten Pubertät und das in der DDR. Trotz kanariengelbem Trenchcoat und Friedenssülze, werde ich ihn ebenfalls in Ruhe lassen.
Weil es räumlich nahe liegt, nun zu Gerhard Falkners Berlin-Roman „Apollokalypse“. Schöner Titel, aber was hat Apoll mit dem Untergang zu tun? Spielt er dabei Kithara? Wurde mal wieder seine Mutter beleidigt und er greift zu Pfeil und Bogen?
Zur Beantwortung müsste man 432! Seiten lesen und ins Kreuzberg der frühen Achtziger eintauchen, präziser in „ein schwarzes Loch, über dem die bunteste aller möglichen Sonnen explodierte und in dem die Nacht sich durch die Straßen bewegte wie eine Künstlerin oder Kakerlake“. Klingt durchgeknallt! Kein Wunder, wir sind am Kottbuser Tor! Wo es, dies nur nebenbei, von Hunden wimmelt. Ansonsten: besetzte Buden, geheime Treffen, Schlupflöcher, blaue Badetücher mit und ohne Frau, und Chai-Tee. Chai-Tee? In den Achtzigern?
Verrückt geht es auch in Joachim Meyerhoffs drittem Band seiner Familiengeschichten zu. Nach seinem Austauschjahr und dem Aufwachsen in der Schleswiger Psychiatrie, hören wir nun von seiner Schauspielausbildung. In dieser Zeit lebt er bei den Großeltern, einem sympathisch, skurrilen Paar. Meyerhoff erzählt anstrengungslos und ebenso ist es zu lesen.
Mit dem Platzgumer hatte ich meine Schwierigkeiten, Akos Doma war okay, die anderen Bücher muß ich noch lesen.
Deine Meinung zu Platzgumer interessiert mich. Man erreicht sie ja leicht über den Hauptlink, ‑sei mir nicht böse, die Zusatzlinks habe ich rausgenommen.