Erinnern Sie sich noch an die Panikwelle, die vor zwei Jahren das beginnende Sommerloch öffnete? Oder war es die vorletzte Angst vor Ansteckung? Ich weiß es nicht mehr so genau, denn geschmacklich finde ich Gurken eher fad und Sprossen kaum verführerischer. Vielleicht besaßen die aus Bienenbüttel eine leichte Honigsüße, wer weiß?
Wie ich darauf komme, besser wie Wolf Haas über zahlreiche Sprachkapriolen und Zeilenschlenker schließlich beim EHEC-Herd landet, das lesen Sie in seinem neuen Roman. Doch beginnen wir vor den Terrorsprossen, der Porca Pazza, dem verrückten Huhn und der Kuhekrankheit, also ganz von vorne. Oder fast von vorn auf Seite 9.
„Eigentlich bin ich Vegetarier. Ich habe mir diesen Beefburger überhaupt nur gekauft, um mit dir ins Gespräch zu kommen“, hätte er fast gesagt. „Weil ich von der gegenüberliegenden Straßenseite deine Zähne aufblitzen sah, als dir der Verkäufer vom Lederjackenstand etwas zugerufen hat, und ich dachte, so strenger Vegetarier bin ich nicht, dass ich nicht auch mal einen Beefburger essen kann; immerhin lache ich auch über Veganer, die nicht einmal Eier essen, keine Lederschuhe tragen, und ich frage mich immer, ist es für eine Veganerin überhaupt erlaubt männliches Eiweiß in sich aufzunehmen oder greift da auch schon der Tierschutz?“
Dieser in eine Burgerverkäuferin verliebte Vegetarier und Sohn eines Hopi-Indianers und einer Hippie-Bajuwarin mit auffallender Ähnlichkeit mit dem berühmtesten bekloppten Indianer der Filmgeschichte ist die Hauptfigur in Wolf Haas’ neuem Roman.
Haas persönlich erzählt von ihm, er lässt dies nicht seinen Erzähler verrichten, um diesem dann, wie es gelegentlich Autoren zu unternehmen pflegen, haarsträubende Äußerungen in die Zeilen zu legen, von denen sie sich mit dem Hinweis, es würde ja nicht aus ihrer Feder dort hineinfließen, sondern aus dem Hirn der erfundenen Figur, wieder distanzieren können. Also, nein, bei diesem Haas gilt dies wieder mal nicht, er tritt selbst als Schriftsteller auf. Vielleicht nicht authentisch, wir wissen nicht, ob Wolf Haas tatsächlich einmal zur Untermiete bei einer geizigen Spießerin im Naziviertel Salzburgs gewohnt hat wie der Haas in seinem Roman. Dieser hat dort auf jeden Fall Benjamin Lee Baumgartner, den Hopi-Hippie-Abkömmling, kennengelernt. Sowie auch dessen zukünftige Frau, die der Kürze halber bei Baumgartner, Haas und im Roman nur als die Baum firmiert. Über diese berichtet der Ich-Erzähler Wolf Haas in Kapiteln, die er zwischen die eigentliche Handlung streut. Diese wiederum verfolgt das Leben und Lieben des Lee Ben, wie seine Mutter den Sohn zu nennen pflegte, und die erstaunliche Koinzidenz, mit denen Amor Pfeile auf Lee Ben und welcher Gott auch immer Pestpfeile auf den Rest der Menschheit abschiessen.
So wie Amor und wahrscheinlich war’s mal wieder Apoll ihre Waffen, beherrscht Haas die Waffe des Schriftstellers derart virtuos, daß er nicht nur Pirouetten dreht, sondern den gesamten Roman als Sprachakrobatik aufführt, die sich variantenreich über Wortspiele bis zu ganz konkreter Poesie erstreckt. So schaut das becircende Burgermädchen in der Imbissbude am Greenwich Market aus einer Öffnung, die als Wunschhineinsprechfenster, Beefburgerherausreich‑, Geldhineinreich‑, Zwiebelherausfrage- oder Hineinstarrfenster plötzlich unvermuteten Dekor zeigt. Derart präpariert wundert man sich kaum, wenn wenig später nicht nur der sich verlaufende Protagonist falsch abbiegt, sondern auch die Zeile auf der Buchseite. Wenn einer „nichts“ sagt, stellt dieses Wörtchen dies alleine auf einer Seite dar, sobald nicht gedacht wird, fehlt selbst dies, ein blankes Nichts als Symbol der Gehirnleere. Dass solche im Hirn des Autors kaum herrschte, beweisen derartige Ideen. Darunter einige Seiten in Mandarin, die auf uns Europäer spektakulär, da vollkommen chinesisch wirken, und die zudem wie einige Rezensionen zeigen zu den schönsten Spekulationen anregen.
Die für die Romanidee Aufschlussreichste offenbart sich auf den Seiten 127 bis 133. Dort zwingen diagonal verlaufende Zeilen zum Querlesen und erläutern mit wenigen Worten Tarskis Antinomie-Problem, die Schwierigkeit Objekt- und Metasprache zu vermischen. Für Wolf Haas ist es kein Tabu, „dass ein Satz nicht über sich selbst sprechen darf, und wie schön es ist, dass dieses Verbot nur für die Wissenschaft gilt“ beweist er in seinem Roman zum großen Vergnügen seines Verfassers wie seiner Leser. Ein Sprachspaß, dem es auch an inhaltlicher Ironie nie fehlt. Vieles gilt es zu entdecken in dieser Konstruktion aus Roman- und Metaebene, die beinahe mit einer Begegnung des Autors mit einer Leserin im noch nicht beendeten Roman endet, tatsächlich dann aber fast mit dem Ratschlag an alle Winterdepressiven mit einem Buch anzufangen.
Wenn Sie das lesenderweise tun wollen, nehmen sie dieses, gesetzt aus der Sabon und Alte Haas Grotesk.
Wolf Haase, Verteidigung der Missionarsstellung, Hoffmann und Campe Verlag, 2. Aufl. 2012