Kream Korner is Dream Korner”

Anna Katharina Fröhlich besingt in ihrem neuen Roman die Sehnsucht nach Indien

Der Ver­such zu be­grei­fen, wes­halb man In­di­en liebt, ist eben­so sinn­los wie der Ver­such zu er­klä­ren, wes­halb man das Le­ben liebt.“

Kream Kor­ner ist nicht nur der blu­mi­ge Na­me ei­ner Gar­kü­che auf dem Dach in ei­ner in­di­schen Pro­vinz­stadt, Kream Kor­ner wird nach der Lek­tü­re des gleich­na­mi­gen Ro­mans zum In­be­griff für ganz In­di­en. Doch be­vor die Le­ser ge­gen En­de des Bu­ches die wack­li­gen In­stal­la­tio­nen die­ses Eta­blis­se­ment be­tre­ten, führt die Au­torin sie in die de­ka­den­te Welt der in­di­schen Ober­schicht. Prunk­vol­le Stadt­pa­läs­te be­geg­nen uns dort, in de­nen ei­ne „nach nas­sem Da­ckel­fell und Mot­ten­ku­geln rie­chen­de Küh­le“ herrscht und der Haus­herr sich in Gon­del­pan­tof­feln vor ei­nem ana­chro­nis­tisch an­mu­ten­den Flach­bild­schirm re­kelt. Es han­delt sich um Ma­ri­pal Singh Bill, das Ober­haupt ei­ner über­aus wohl­ha­ben­den Sikh-Fa­mi­lie, mit der Lord Les­lie, der ver­stor­be­ne On­kel der Ich-Er­zäh­le­rin, ei­ne di­plo­ma­ti­sche Freund­schaft ver­band. Frü­her wa­ren sie häu­fig Gäs­te der Bills, wel­che die Tan­te ger­ne als ei­ne „Ban­de ver­wöhn­ter Faul­pel­ze“ be­zeich­net, von de­nen man­cher „der­art von sei­nen Pri­vi­le­gi­en ver­blö­det war, dass er nur noch die Wet­ter­la­ge klar ein­zu­schät­zen ver­stand“.

Ge­mein­sam mit ih­rer Tan­te trifft die jun­ge Frau nun an­läss­lich ei­ner Hoch­zeits­ein­la­dung er­neut bei den Bills ein. Sie hat­te sich nach der Auf­ga­be ih­res Theo­lo­gie­stu­di­ums auf das süd­fran­zö­si­sche Land­gut des On­kels zu­rück­ge­zo­gen, um dort ge­mäß dem an­ti­ken Oti­um ihr Le­ben mit Lek­tü­re, Schrift­stel­le­rei und Land­ar­beit aus­zu­fül­len. Er­neut in In­di­en, dem Land, wel­ches sie wirk­lich lieb­te und dem sie na­he sein woll­te, er­in­nert sie sich, wie sie die­ses Ziel einst zu er­rei­chen ver­such­te. Da­mals hat­te sich der äl­tes­te Sohn der Bills ih­ren Ver­füh­rungs­ver­su­chen wi­der­setzt, jetzt ist er der Bräu­ti­gam ei­ner ar­ran­gier­ten Hoch­zeit. Trotz kon­ku­bi­nen­haf­ter „sul­ta­ni­scher Aus­stat­tung“ war ihr da­mals kein ein­zi­ger Kuss ge­lun­gen. Viel­leicht lag dies an ei­ner platt­na­si­gen Hel­lo-Kit­ty-Ja­pa­ne­rin, oder noch mehr an ih­rer feh­len­den Wahr­haf­tig­keit. Denn, so be­kennt sie: „Ich war auch nicht in ihn ver­liebt. Es war nur der fass­ba­re Kör­per, durch den ich das be­rüh­ren woll­te, was ich wirk­lich lieb­te. Durch ei­nen ein­zi­gen Kuss auf sei­nen Mund wä­re ich viel­leicht da hin­ein ge­ra­ten, wo­hin ich seit mei­ner Kind­heit ge­ra­ten woll­te, in das Herz die­ses mich bis in die Träu­me ver­fol­gen­den Indiens.“

Nun war sie wie­der dort im Land ih­rer Träu­me. Zu­sam­men mit ih­rer Tan­te, die als „Be­für­wor­te­rin von Im-Dun­keln-Sit­zen“ und „Kalt­was­ser­künst­le­rin“ ih­re Be­stim­mung im rus­ti­kal-fran­zö­si­schen Land­le­ben ge­fun­den zu ha­ben schien, ih­rer Nich­te aber ein an­de­res Glück und vor al­lem ei­nen Mann ver­schrieb. Dies lässt sich nicht in der Ein­sam­keit der halb ver­fal­le­nen Burg­mau­ern von „Le Per­tuis“ fin­den. Si­cher, dort gibt es den gro­ßen Gar­ten, der ste­te Be­schäf­ti­gung for­dert, dort gibt es aber auch ei­ne un­gu­te „Viel­heit ka­tho­li­scher Düf­te“, nach Weih­rauch, Bi­bel­pa­pier und et­was, „das an süß­lich-sau­ren Mund­ge­ruch er­in­ner­te“, und dort gibt es ei­ne Bi­blio­thek, die ih­rer Nich­te die Be­kannt­schaft mit geist­rei­chen Män­nern er­mög­licht, was ih­re Hei­rats­chan­cen je­doch verringert.

So sitzt die­se nun auf der Gar­ten­mau­er, in Hän­den die Ein­la­dung zur Hoch­zeit und phan­ta­siert sich In­di­en und die in­di­sche Braut als ver­meint­li­che Bol­ly­wood­di­va her­bei, die sie „mit Hass um ihr Schick­sal be­nei­de­te“.

Doch, wie der Le­ser im drit­ten Teil er­fah­ren wird, kommt es zu ei­ner un­er­war­te­ten Be­geg­nung mit ei­nem Rik­scha­fah­rer. Die Ge­schich­te wen­det sich und mit ihr die Plä­ne von Tan­te und Nich­te. Wer nun ein bol­ly­wood­haf­tes En­de er­war­tet, liegt zum Glück falsch. Zwei Bau­ls, in­di­sche Aus­ga­ben eu­ro­päi­scher En­gel, wei­sen den Bei­den den Weg zu eben­die­sem. „All is Karma.“

Der zum Leip­zi­ger Buch­preis no­mi­nier­te Ro­man schil­dert ver­schie­de­ne Ver­su­che, das Glück im Le­ben zu fin­den, und ver­sucht, die Lie­be zu In­di­en zu er­klä­ren. An­na Ka­tha­ri­na Fröh­lich ge­lingt dies mit köst­li­cher Iro­nie, ih­re wun­der­ba­re, bild­haf­te Spra­che evo­ziert ein sinn­li­ches Bild die­ses Lan­des, oh­ne die Pro­ble­me der in­di­schen Ge­sell­schaft zu ne­gie­ren trotz al­ler der Be­geis­te­rung ge­schul­de­ten Romantisierung.

Auf den Märk­ten scho­ben Händ­ler höl­zer­ne Hand­kar­ren vor sich her, mit Obst­al­ta­ren, Py­ra­mi­den aus Pa­pa­yas, Was­ser­me­lo­nen, Zi­tro­nen, Oran­gen und Ba­na­nen, ge­krönt von Räu­cher­stäb­chen­ge­ruch, der die Flie­gen ver­scheuch­te und das Obst weih­te. Wie Knüp­pel lehn­ten gro­ße, pral­le Kür­bis­se an ka­no­nen­run­den Was­ser­me­lo­nen, aus de­nen, durch ei­nen Mes­ser­hieb des Obst­händ­lers, Seg­men­te des Frucht­flei­sches und die schwarz­schim­mern­den Me­lo­nen­ker­ne wie Ei­sen­split­ter her­vor­sprüh­ten. Der An­blick von Ro­te-Bee­te-Hau­fen, von klei­nen Erd­beer­hü­geln sti­mu­lier­te das Herz, Grün­kohl, Spi­nat, grü­ne Zwie­beln und Brok­ko­li be­ru­hig­ten es. Mit den Far­ben lehn­te sich die Be­völ­ke­rung ge­gen den Staub auf, ge­gen den Schmutz, ge­gen die durch die Stra­ßen rin­nen­den brau­nen Ge­wäs­ser, ge­gen Aas- und Ex­kre­men­ten­ge­ruch, ge­gen das Grau der Plas­tik­fo­li­en, die die Be­hau­sun­gen be­deck­ten, und das Grau des Schlam­mes, in dem sie al­le wa­te­ten. Des­we­gen wo­ben sie Gold­fä­den in ih­re Baum­woll­schals, da­her glit­zer­te auch am Ohr ei­ner ster­ben­den Bett­le­rin ein gol­de­ner Ohr­ring, des­we­gen klirr­ten bun­te Glas­arm­rei­fen um die Hand­ge­len­ke al­ler Frau­en, weil Far­ben und Mu­sik, Räu­cher­stäb­chen und Ro­sen­gir­lan­den Schutz­geis­ter ge­gen Tod und Krank­heit sind.“ (S. 97f.)

 

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