Sex and Drugs and Literature

Gwendoline Riley erzählt in ihrem neuem Roman „Joshua Spassky“ vom Drumherumreden

Ein Mäd­chen trifft ei­nen Jun­gen, bes­ser, ei­ne jun­ge Schrift­stel­le­rin trifft ei­nen jun­gen Thea­ter­au­tor. Sie ver­brin­gen ei­ni­ge Ta­ge mit­ein­an­der, sie füh­len sich zu­ein­an­der hin­ge­zo­gen, sie sind viel­leicht ver­liebt. Doch das kann kei­ner der bei­den sa­gen oder viel­leicht wa­gen sie es auch ein­fach nicht. Denn sie sind cool und bo­ckig, sehr jung und wahr­schein­lich sehr ver­letzt. Nicht nur gu­te Er­fah­run­gen lie­gen hin­ter ih­nen, nur in den we­nigs­ten Fa­mi­li­en ist es im­mer ganz ein­fach. Doch wer nichts er­lit­ten hat, hat auch nicht den Drang et­was zu er­zäh­len. Dies und die Lie­be zur Li­te­ra­tur ver­bin­det sie.

Trotz­dem ge­hen sie wie­der aus­ein­an­der. Jo­shua kehrt zu­rück nach Ame­ri­ka, Na­ta­lie bleibt in Man­ches­ter. Die ver­spro­che­nen Brie­fe und Te­le­fon­an­ru­fe wer­den sel­te­ner, der an­ge­kün­dig­te Be­such Jo­shu­as fällt aus. Na­ta­lie be­kämpft ih­ren Schmerz mit dem In­halt all’ der Fla­schen, die für die ge­mein­sa­men Ta­ge ge­dacht wa­ren. Nach dem Ex­zess fol­gen Er­nüch­te­rung und Ab­kehr. Vom Al­ko­hol nicht von Jo­shua. Die­se un­er­füll­te Lie­be hat Be­stand. Es kommt nach zwei Jah­ren zu ei­nem er­neu­ten Tref­fen in Leeds. Dann ist er wie­der weg und Na­ta­lie hält es nicht aus im eng­li­schen Man­ches­ter, wo „von al­len Häu­sern (..) die Fäul­nis ge­schei­ter­ter Lie­be (tropft).“ Schließ­lich bricht sie trotz ih­rer Flug­angst nach Ame­ri­ka auf.

Tref­fen wol­len sie sich in As­he­ville, North Ca­ro­li­na, der Stadt von Tho­mas Wol­fe und F. Scott Fitz­ge­rald. Na­ta­lie war­tet vol­ler Un­si­cher­heit am Bus­bahn­hof. „Jo­shua wür­de bald da sein. Er wür­de da sein oder eben nicht.“ Ver­bind­lich­kei­ten wer­den ver­mie­den, An­sprü­che nicht ge­stellt, Ge­füh­le ver­schwie­gen. Sie ge­hen sich aus dem Weg, re­den um den hei­ßen Brei her­um. Sie kön­nen sich ih­re Ge­füh­le nicht ein­ge­ste­hen, weil sie nicht an die Exis­tenz von Lie­be glau­ben. Mit den dunk­len Sei­ten des Le­bens, mit Tod und Selbst­mord, De­pres­si­on und Al­ko­hol schei­nen sie ver­trau­ter zu sein.

So ver­brin­gen sie al­so ih­re Ta­ge im Zim­mer des Day Inn und er­zäh­len sich nach dem Sex ih­re Er­in­ne­run­gen. Ih­re Träu­me spa­ren sie aus, da sie das Ta­bu, dar­in als Paar vor­zu­kom­men, nicht ver­let­zen dür­fen. „Viel­leicht kön­nen wir ja ab­wech­selnd Ord­nung in un­se­re flüch­ti­gen Din­ge brin­gen. Du in mei­ne, ich in dei­ne. Du lie­be Gü­te. Die­ses Ge­spräch be­hagt mir nicht. Wech­seln wir das The­ma.“ Sie wei­chen ein­an­der in ih­rer Zu­nei­gung aus als ob es ei­nen Wett­streit zu ge­win­nen gel­te. Und wenn Na­ta­lie doch ein­mal von ei­ner ge­mein­sa­men Zu­kunft phan­ta­siert, so wie vor zwei Jah­ren in Leeds, hat sie das Spiel ver­lo­ren und fühlt sich „wie ein to­ter Baum, an dem je­mand die gan­ze Zeit mit ei­ner Axt herumhackt.“

Dann lie­ber die Er­in­ne­run­gen an die Kind­heit, an die Be­zie­hung zu den El­tern, die durch Tod, Ge­walt und Di­stanz ge­prägt wurde.

Dann lie­ber Li­te­ra­tur. Die ei­ge­ne, die so spre­chen­de Ti­tel wie „In­tel­li­gen­tes Mäd­chen ge­sucht, für Sams­tags“ oder „Die Zeit ist wie ein Klum­pen“ her­vor­bringt, und sich oft mit der „grund­sätz­li­chen Un­ver­ein­bar­keit von Mann und Frau” be­schäf­tigt. Oder die Li­te­ra­tur der an­de­ren, Ri­ley ver­weist in ih­rem Ro­man auf et­li­che be­rühm­te Kol­le­gen. Ei­ne be­son­de­re Rol­le kommt Tho­mas Wol­fe und F. Scott Fitz­ge­rald zu, denn bei­de wa­ren mit As­he­ville, dem Treff­punkt von Na­ta­lie und Jo­shua, eng ver­bun­den. Ti­tel ih­rer Wer­ke, wie „Es führt kein Weg zu­rück“ oder „This Si­de of Pa­ra­di­se“, er­schei­nen ge­ra­de­zu als Hand­lungs­an­wei­sun­gen für den Fort­gang der li­te­ra­ri­schen Liebesgeschichte.

Die­se wird auf knapp 170 Sei­ten kom­plex er­zählt. Die zahl­rei­chen Er­in­ne­run­gen, teil­wei­se ganz im Sin­ne Prousts, er­zeu­gen ei­ne nicht li­nea­re und da­durch nie­mals lang­wei­li­ge Struk­tur. Zu­dem über­ra­schen die Sät­ze Gwen­do­li­ne Ri­leys mit un­ge­wöhn­li­chen Bil­dern, die Sig­rid Ru­schmei­er über­zeu­gend ins Deut­sche über­tra­gen hat.

In „Jo­shua Spass­ky“ macht Gwen­do­li­ne Ri­ley, das Auf­ein­an­der­zu­ge­hen zwei­er schrei­ben­der Ein­zel­gän­ger in un­kon­ven­tio­nel­ler und be­we­gen­der Wei­se nachvollziehbar.

 

Li­te­ra­tur­zi­ta­te:

Franz Kaf­ka, Tagebücher

Ar­thur Co­nan Doyle, Die Me­moi­ren des Sher­lock Holmes

Fjo­dor Dos­to­jew­skij, Wei­ße Nächte

id., Die Brü­der Karamasow

Ar­thur Rim­baud, Ei­ne Zeit in der Hölle

Jean-Paul Sart­re, Ge­schlos­se­ne Gesellschaft

Tho­mas Har­dy, Tess

id., Im Dunkeln

Do­nald Bart­hel­me, Der to­te Vater

To­ny But­tit­ta, The Lost Sum­mer: A Per­so­nal Me­moir of F. Scott Fitzgerald

Les­lie A. Field, Tho­mas Wol­fe: Th­ree De­ca­des of Criticism

F. Scott Fitz­ge­rald, Der Knacks

id., Dies­seits vom Paradies

id., Der gro­ße Gatsby

Tho­mas Wol­fe, Es führt kein Weg zurück

 

Er­wähnt wer­den Karl Marx, Wy­stan Hugh Au­den, De­nis Johnson.

Au­ßer­dem ver­weist Ri­ley in ih­rer Wid­mung auf Je­re­my Jim­me­re­e­no, den ein­ge­bil­de­ten Freund ei­nes Mäd­chens aus Sa­lin­gers Kurz­ge­schich­te „Un­cle Wig­gi­ly in Con­ne­ti­cut”, ver­öf­fent­licht in „Neun Er­zäh­lun­gen“.

 

3 Gedanken zu „Sex and Drugs and Literature“

  1. Gern ge­sche­hen. Kennst Du noch wei­te­re Ro­ma­ne die­ser Au­torin. Gibt es ei­nen, den Du emp­feh­len möchtest?

  2. Ich hab die drei an­de­ren auch (auf eng­lisch) ge­le­sen, zu „Op­po­sed po­si­ti­ons” hab ich ge­ra­de auf die-le­se­lust gepostet.

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