Zen oder die Kunst ein Mettbrötchen zu reichen

Christoph Peters erzählt in „Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln“ von deutsch-japanischen Begegnungen

Die Ver­pflich­tun­gen, die ei­ner ein­geht, wenn er sich zu ei­nem Meis­ter in die Leh­re be­gibt, blei­ben ein Le­ben lang be­stehen, und es gibt un­be­grenz­te Mög­lich­kei­ten, ih­nen nicht ge­recht zu werden.“

Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln von Christoph PetersWer im neu­en Ro­man von Chris­toph Pe­ters die Wid­mung an Jan Koll­witz ent­deckt, dem wird ei­ne Re­cher­che nicht nur des­sen Ver­wandt­schaft mit Kä­the Koll­witz, er ist Ur-En­kel der be­rühm­ten Künst­le­rin, son­dern auch des­sen Freund­schaft mit Chris­toph Pe­ters auf­de­cken. Der Schrift­stel­ler Pe­ters form­te aus den Er­fah­run­gen des Ke­ra­mi­kers Koll­witz, der in Ost­hol­stein ja­pa­ni­sche Töp­fer­kunst ze­le­briert, ein li­te­ra­ri­sches Ge­bil­de mit dem Ti­tel „Herr Ya­mas­hiro be­vor­zugt Kar­tof­feln.

Be­reits auf den ers­ten Sei­ten fällt ein Bon­mot, das die an Rück­schau­en rei­che Rom­an­struk­tur of­fen­bart. „Ganz gleich, an wel­cher Stel­le man an­fängt – im­mer ist vor­her schon viel pas­siert.“ Das als Pro­log zu fas­sen­de Ein­stiegs­ka­pi­tel führt zum Hand­lungs­ort, ei­nem klei­nen Kaff in der Hol­stei­ni­schen Schweiz, das ne­ben den Som­mer­tou­ris­ten ei­ne Künst­ler­ko­lo­nie be­her­bergt. Kon­kre­ter, zu ei­nem al­ten Pfarr­haus, das wie al­le Men­schen und Din­ge auf die­ser Welt, auf ei­ne nicht nur glück­li­che Ver­gan­gen­heit zu­rück blickt. Der letz­te Pfar­rer, den es be­her­berg­te, starb krank und un­glück­lich im Jahr 1979.

Die­sen gut zehn Jah­re von der ei­gent­li­chen Hand­lungs­zeit ent­fern­ten Mo­ment nutzt Pe­ters um sei­ne Le­ser auf den Schwin­gen der Pfar­rer­see­le nach Ja­pan zu ge­lei­ten. Dort er­in­nert sich der be­rühm­te Töp­fer­meis­ter Ito Hi­de­to­shi, wäh­rend er sei­nen Schü­ler bei der Be­feue­rung des Ana­ga­ma-Ofens be­auf­sich­tigt, an ein lan­ge zu­rück lie­gen­des Ver­spre­chen. Vor 50 Jah­ren hat­te er dem deut­schen Phi­lo­so­phen Er­win He­se­kiel, der bei der Su­che nach dem „Geis­te Ja­pans“ die Freund­schaft mit dem Töp­fer fand, zu­ge­sagt, daß ei­nes Ta­ges sei­ne Shi­no-Gla­sur auch in Deutsch­land ge­brannt werde.

Wie die­ses Ver­spre­chen schließ­lich von ei­nem Ke­ra­mi­ker ein­ge­löst wird, der sei­ne Kunst in Ja­pan lern­te, und von ei­nem Ja­pa­ner, der ei­nen Ana­ga­ma-Ofen in Deutsch­land baut, er­zählt Pe­ters in ei­nem Strang sei­nes Ro­mans. Ein Film­team, das die­ses exo­ti­sche Bau­vor­ha­ben be­glei­tet, über­nimmt die Au­ßen­per­spek­ti­ve und mit der Fi­gur der Ton­tech­ni­ke­rin den kri­ti­schen deut­schen Men­schen­ver­stand. In der zwei­ten zeit­lich zu­rück­lie­gen­den Ebe­ne be­glei­ten wir den jun­gen Deut­schen Ernst Lie­se­gang, der sich in Ja­pan bei ei­nem Töp­fer­meis­ter in die Leh­re be­gibt. Pe­ters er­zählt die Ge­schich­te ei­ner in der deut­schen Pro­vinz aus­ge­üb­ten ehr­wür­di­gen ja­pa­ni­schen Hand­werks­tra­di­ti­on als au­gen­zwin­kern­den in­ter­kul­tu­rel­len Dis­kurs. Wäh­rend wir in den Rück­schau­en von ja­pa­ni­scher Töp­fer­kunst, dem Ver­hält­nis zwi­schen Schü­ler und Meis­ter, von Ton, Feu­er und Gla­su­ren hö­ren, ser­viert an der Ost­see­küs­te ei­ne ge­wis­se Her­ta Möl­ders der Ofen­bau­trup­pe Kar­tof­feln, Mett­bröt­chen und Schnaps.

So oder bes­ser so ähn­lich könn­te es ge­we­sen sein als Jan Koll­witz nach sei­ner Lehr­zeit in Ja­pan von ei­nem ja­pa­ni­schen Ofen­bau­er ei­nen Ana­ga­ma-Ofen im ost­hol­stei­ni­schen Cis­mar in den Gar­ten ei­nes ehe­ma­li­gen Pfarr­hau­ses set­zen ließ. Chris­toph Pe­ters nimmt den Wer­de­gang sei­nes Freun­des zum Grund­stoff des Ro­mans. Sein Ernst Lie­se­gang hat den Klang mit dem Na­men des Vor­bilds ge­mein, wie ver­mut­lich auch das dar­in an­klin­gen­de We­sen. Auch sein Le­ben zeigt deut­li­che Par­al­le­len. Wie Koll­witz geht Lie­se­gang nach ei­ner Aus­bil­dung bei ei­nem deut­schen Töp­fer Mit­te der Acht­zi­ger Jah­re nach Ja­pan. Er lernt Ja­pa­nisch und wird nach vie­len ver­geb­li­chen Vor­spre­chen Schü­ler bei ei­nem Meis­ter in Echi­zen, ei­ner der Hoch­bur­gen ja­pa­ni­scher Töp­fer­kunst. Die Lehr­zeit, ge­prägt durch ab­so­lu­ten Ge­hor­sam und ri­gi­de Au­to­ri­tät ist äu­ßerst hart, für eu­ro­päi­sche Auf­fas­sung durch­aus er­nied­ri­gend. „Wäh­rend der ers­ten neun Mo­na­te sei­ner Lehr­zeit form­te er Tag für Tag bis zu zehn Stun­den lang den im­mer­glei­chen ein­fa­chen Tee­be­cher – et­wa sechs­hun­dert pro Wo­che, zwei­tau­send­fünf­hun­dert im Mo­nat, ins­ge­samt rund drei­und­zwan­zig­tau­send Stück, von de­nen im Blick des Meis­ters nicht ein ein­zi­ger Be­stand hatte.“

Ernst wird auf der Jah­res­aus­stel­lung der Echi­zen-Töp­fer auf die Shi­no-Ke­ra­mi­ken von Na­ka­ta Sei­ji, des letz­ten Schü­lers des be­rühm­ten Hi­de­to­shi, auf­merk­sam und er­ringt des­sen Freund­schaft. Am En­de sei­ner Lehr­zeit in Ja­pan über­rascht ihn Na­ka­ta mit dem An­ge­bot ihm ei­nen Ana­ga­ma-Ofen in Deutsch­land zu bau­en. Lie­se­gang, dem die Mit­tel zu die­sem Pro­jekt vor­erst feh­len, re­agiert mit po­si­tiv an­ge­hauch­ter In­dif­fe­renz. „Ne­ben der hand­werk­li­chen Aus­bil­dung war die ein­ma­li­ge Fä­hig­keit der Ja­pa­ner, Din­ge sprach­lich in ei­nem po­si­ti­ven Schwe­be­zu­stand zu be­las­sen, die nutz­brin­gends­te Fer­tig­keit, die Ernst sich in den ver­gan­ge­nen Mo­na­ten an­ge­eig­net hat­te.“ Ei­ne wei­te­re kul­tu­rel­le Dif­fe­renz, die Pe­ters mit sub­ti­lem Hu­mor schil­dert. So schickt er als Kom­men­tar zu der ja­pa­ni­schen Lehr­me­tho­de ei­ne De­le­ga­ti­on der Ke­ra­mik­hoch­schu­le Höhr-Grenz­hau­sen nach Echi­zen, die mit „un­gläu­bi­gem Stau­nen, ach­sel­zu­cken­dem Be­dau­ern oder ent­setz­tem Kopf­schüt­teln“ re­agiert. Ähn­li­ches Un­ver­ständ­nis zei­gen hin­ge­gen die ja­pa­ni­schen Ke­ra­mi­ker, wenn sie die brach­lie­gen­de Töp­fer­kunst Deutsch­lands be­trach­ten. Der Stand des Töp­fer­we­sens mar­kiert für sie den geis­ti­gen Stand ei­nes Vol­kes, Ke­ra­mik gilt ih­nen als Kul­tur­ba­ro­me­ter. Doch auch deut­sche Kli­schees über Ja­pan greift Pe­ters auf und be­schert dem Ro­man Sze­nen, die wie am Bei­spiel des miss­in­ter­pre­tier­ten Mund­schut­zes, sehr schön die Be­grenzt­heit des ei­ge­nen Blicks vorführen.

In der Fi­gur des Ofen­bau­meis­ters Ya­mas­hiro be­geg­nen wir ei­nem al­tern­den Ja­pa­ner, der in sei­ner Bo­den­stän­dig­keit nicht nur die ja­pa­ni­schen Gour­met­kü­che ab­lehnt, son­dern ihr so­gar deut­sche Kran­ken­haus­kost vor­zieht. Den as­ke­ti­schen Hand­wer­ker in Mi­li­tär­ho­sen er­fasst ei­ne re­gel­rech­te Zu­nei­gung zu dem Land, in dem er jetzt ei­nen Ofen setzt, im­mer­hin wa­ren Deutsch­land und Ja­pan einst Kriegs­ver­bün­de­te. Die An­nä­he­rung ge­lingt al­ler­dings auch durch die weit fried­li­che­re Kul­tur­tech­nik des Töpferns.

Wie, zeigt der Fort­gang des Ro­mans, in dem der Geis­ter­glau­be der Ja­pa­ner und ei­ne dis­kre­te Lie­bes­an­bah­nung es ver­mö­gen, Ge­sund­heits­pro­ble­me und Bau­ver­zö­ge­run­gen in den Schat­ten zu stellen.

Die Über­ein­stim­mun­gen zwi­schen dem Wer­de­gang des fik­ti­ven Ke­ra­mi­ker­künst­lers Ernst Lie­se­gang und dem des in Cis­mar wir­ken­den Jan Koll­witz las­sen sich auf des­sen In­ter­net­sei­te oder in dem von Chris­toph Pe­ters ver­fass­ten und von Götz Wra­ge mit Bil­dern ver­se­he­nen Buch „Ja­pan be­ginnt an der Ost­see nachlesen.

Wer in der Nä­he Pas­saus lebt, kann im dor­ti­gen Mu­se­um Mo­der­ner Kunst noch bis En­de Sep­tem­ber ei­ne Aus­stel­lung der Ke­ra­mi­ken von Jan Koll­witz besuchen.

Chris­toph Pe­ters, Herr Ya­mas­hiro be­vor­zugt Kar­tof­feln, Luch­ter­hand Li­te­ra­tur­ver­lag, 1. Aufl. 2014

2 Gedanken zu „Zen oder die Kunst ein Mettbrötchen zu reichen“

  1. lie­be atalante,

    ich dan­ke dir für die­se re­zen­si­on. vor ei­ni­gen jah­ren las ich ein ers­tes buch von pe­ters, mit­sukos re­stau­rant, das ich recht ne­ga­tiv be­schrieb. vllt ha­be ich sei­ner­zeit das buch auch ein­fach nicht rich­tig ver­stan­den, der ge­dan­ke ist mir nicht fremd, dei­ne be­spre­chung hier hat ihn wie­der auf­ge­weckt. da ich ge­ra­de ein paar mi­nu­ten vor­her wie­der an herrn de waal er­in­nert wur­de, den­ke ich, daß ich herrn pe­ters und mir noch ein­mal ei­ne chan­ce ge­be, zu­sam­men zu kommen!

    herz­lich
    fs

  2. Lie­ber Flattersatz,

    mich freut na­tür­lich Dir die Lek­tü­re die­ses Ro­mans schmack­haft ge­macht zu ha­ben, aber ob’s Dir dies­mal bei Herrn Pe­ters bes­ser schme­cken wird? Ich weiß es nicht.
    Ich könn­te Dir auch ein der­zeit viel ge­prie­sen und ge­preis­tes Werk nen­nen, wel­ches ich nach der Hälf­te an­ge­ödet neben’s So­fa leg­te. Da liegt es noch und das ist auch gut so.

    Freund­li­che Grüße,
    Atalante

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