Zen oder die Kunst ein Mettbrötchen zu reichen

Christoph Peters erzählt in „Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln“ von deutsch-japanischen Begegnungen

Die Ver­pflich­tun­gen, die ei­ner ein­geht, wenn er sich zu ei­nem Meis­ter in die Leh­re be­gibt, blei­ben ein Le­ben lang be­stehen, und es gibt un­be­grenz­te Mög­lich­kei­ten, ih­nen nicht ge­recht zu werden.“

Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln von Christoph PetersWer im neu­en Ro­man von Chris­toph Pe­ters die Wid­mung an Jan Koll­witz ent­deckt, dem wird ei­ne Re­cher­che nicht nur des­sen Ver­wandt­schaft mit Kä­the Koll­witz, er ist Ur-En­kel der be­rühm­ten Künst­le­rin, son­dern auch des­sen Freund­schaft mit Chris­toph Pe­ters auf­de­cken. Der Schrift­stel­ler Pe­ters form­te aus den Er­fah­run­gen des Ke­ra­mi­kers Koll­witz, der in Ost­hol­stein ja­pa­ni­sche Töp­fer­kunst ze­le­briert, ein li­te­ra­ri­sches Ge­bil­de mit dem Ti­tel „Herr Ya­mas­hiro be­vor­zugt Kar­tof­feln.

Be­reits auf den ers­ten Sei­ten fällt ein Bon­mot, das die an Rück­schau­en rei­che Rom­an­struk­tur of­fen­bart. „Ganz gleich, an wel­cher Stel­le man an­fängt – im­mer ist vor­her schon viel pas­siert.“ Das als Pro­log zu fas­sen­de Ein­stiegs­ka­pi­tel führt zum Hand­lungs­ort, ei­nem klei­nen Kaff in der Hol­stei­ni­schen Schweiz, das ne­ben den Som­mer­tou­ris­ten ei­ne Künst­ler­ko­lo­nie be­her­bergt. Kon­kre­ter, zu ei­nem al­ten Pfarr­haus, das wie al­le Men­schen und Din­ge auf die­ser Welt, auf ei­ne nicht nur glück­li­che Ver­gan­gen­heit zu­rück blickt. Der letz­te Pfar­rer, den es be­her­berg­te, starb krank und un­glück­lich im Jahr 1979.

Die­sen gut zehn Jah­re von der ei­gent­li­chen Hand­lungs­zeit ent­fern­ten Mo­ment nutzt „Zen oder die Kunst ein Mett­bröt­chen zu rei­chen“ weiterlesen

Zen oder die Kunst sich schweigend zu verlieben

Prolog

Um es vor­weg zu sa­gen, die­ser Au­tor be­glei­tet schon seit lan­gem mein Le­se­le­ben. Die Be­kannt­schaft be­gann mit der rö­mi­schen Goe­the-His­to­rie „Faus­ti­nas Küs­se“. Es folg­ten die üb­ri­gen die­ser Tri­lo­gie, „Die Nacht des Don Ju­an“ und „Im Licht der La­gu­ne“. Bis auf we­ni­ge Aus­nah­men ha­be ich auch an­de­re al­te und neue Bü­cher Ort­heils ge­le­sen. So auch nach „Die gro­ße Lie­be“ und „Das Ver­lan­gen nach Lie­be“ den letz­ten Band sei­ner Lie­bes­tri­lo­gie „Lie­bes­nä­he“.

Fast eben­so­lan­ge stellt sich mir die Fra­ge, was mir an sei­nen Bü­chern denn nun so ge­fällt. Si­cher ist es die Lie­be zu Ita­li­en, viel­leicht auch ei­ne ge­wis­se ro­man­ti­sche Me­lan­cho­lie. Bis­her war ich, ab­ge­se­hen von ei­ni­gen Ei­tel­kei­ten des er­wach­se­nen Jo­han­nes in „Die Er­fin­dung des Le­bens“ und von stär­ke­ren Ar­ro­gan­zen in Ort­heils Rom­füh­rer im­mer an­ge­nehm angetan.

Sich schweigend verlieben als Performance

Wer ist die­se Schwim­me­rin“ mit die­sem No­tat läu­tet Hanns-Jo­sef Ort­heil ein, was der Ti­tel sei­nes neu­en Ro­mans „Lie­bes­nä­he“ be­reits vor­weg nimmt.

Be­hut­sam ent­wi­ckelt der Au­tor die An­nä­he­rung zwei­er sich zu­nächst un­be­kann­ter Ein­zel­gän­ger, die an­schei­nend zu­fäl­lig im all­tags­fer­nen Mi­lieu ei­nes ein­sam ge­le­ge­nen Lu­xus­ho­tels ein­an­der be­mer­ken. Der Schrift­stel­ler Jo­han­nes Kirch­ner und die In­stal­la­ti­ons-Künst­le­rin Ju­le Dan­ner ver­mei­den zu­nächst di­rek­te Be­geg­nun­gen und be­vor­zu­gen sich aus der Di­stanz zu ent­de­cken. Klei­ne Bot­schaf­ten, die Ah­nun­gen be­stä­ti­gen, ge­hen tra­di­tio­nell als Zet­tel oder mo­dern als SMS hin und her und füh­ren schließ­lich zum Ge­gen­über. Die­se Be­we­gun­gen auf­ein­an­der zu wer­den äu­ßerst vor­sich­tig aus­ge­führt, ein kunst­vol­ler Balz­tanz, des­sen Cho­reo­gra­fie mal den In­sze­nie­run­gen der Vi­deo­künst­le­rin mal den Ein­fäl­len des Schrift­stel­lers folgt.

Nur ei­nes fin­det nie­mals statt, das ge­spro­che­ne Wort. Die­ses rich­ten bei­de je­weils se­pa­rat an Ka­tha­ri­na, die die klei­ne Buch­hand­lung des Ho­tels führt. Sie be­rät ih­re Kun­den nach de­ren Be­find­lich­keit und führt au­ßer die­ser Li­te­ra­tur­the­ra­pie nur Bü­cher im Sor­ti­ment, die ihr per­sön­lich gut ge­fal­len. Sie un­ter­hält zu Bei­den ei­ne ganz be­son­de­re Be­zie­hung, man könn­te sie als müt­ter­li­che Freun­din be­zeich­nen. Die De­tails der Per­so­nen­kon­stel­la­ti­on of­fen­bart der Au­tor erst nach und nach lang­sam vor­an­schrei­tend wie in ei­ner Zen-Me­di­ta­ti­on. Über­haupt gibt es viel Ja­pa­ni­sches. Li­te­ra­ri­sche In­spi­ra­ti­on bie­tet das Kopf­kis­sen­buch der Sei Shō­na­gon. Ja­pa­ni­sche Trom­meln und Bam­bus­flö­ten, Ki­mo­no, Tu­sche und Tee er­gän­zen das Ambiente.

Als wech­sel­sei­ti­ge Sicht sei­ner bei­den Haupt­per­so­nen kom­po­niert Ort­heil sei­nen Ro­man. Mal kom­men­tiert Jo­han­nes, mal Ju­le ihr auf­ein­an­der Zu­ge­hen. Das so zwei­mal das Glei­che aus dem je­weils an­de­ren Blick­win­kel er­zählt wird, macht den Reiz der Idee aus. Wenn je­doch Er­eig­nis­se wie die be­rühm­te Per­for­mance der Künst­le­rin Ma­ri­na Abra­mo­vić, die als Vor­la­ge für ei­ne Be­geg­nung dient, dem Le­ser  mehr­fach er­klärt wer­den, wirkt dies redundant.

Was ich an diesem Buch sehr mag:

Wie Hanns-Jo­sef Ort­heil ge­naue Wahr­neh­mung und Be­schrei­bung in Sät­ze ver­wan­delt. Er be­herrscht die­se Fä­hig­keit so gut, daß der Le­ser sich so­fort in das Am­bi­en­te sei­ner Ro­ma­ne hin­ein­ver­setzt fühlt. Land­schaf­ten und Räu­me, Na­tur und In­te­ri­eur, Gau­men- und Le­se­freu­den stellt er auf die­se Wei­se zum un­mit­tel­ba­ren Nach­voll­zug dar.

Wie rück­sichts­voll die Per­so­nen mit­ein­an­der um­ge­hen und wie em­pa­thisch Ort­heil Ge­füh­le zu schil­dern vermag.

Wie er die Lust und die In­spi­ra­tons­kraft von ein­sa­men Spa­zier­gän­gen dar­stellt. Be­we­gung be­wegt auch den Geist. Das mit sich Al­lein­sein lässt Raum für Kreativität.

Wie Na­tur und Kunst in ih­ren ver­schie­de­nen For­men mit­ein­an­der in Ein­klang ge­bracht werden.

Was ich an diesem Buch überhaupt nicht mag:

Wie die Wahl des Mi­lieus das Ge­sche­hen weit über das nor­ma­le Le­ben hebt, ein es­ka­pis­ti­scher Wun­der­ort in­mit­ten saf­tig grü­ner Al­men, wo so­gar Toast­brot­schei­ben stun­den­lang frisch ge­rös­tet bleiben.

Wie da­durch das Schloss­ho­tel El­mau, un­ver­kenn­ba­res Vor­bild die­ses Pa­ra­die­ses, als ein Ort ir­di­scher Ver­hei­ßun­gen be­wor­ben wird.

Wie die Rol­len­ebe­nen ge­wahrt wer­den. Die Künst­ler blei­ben welt­fern. Die Ho­tel­an­ge­stell­ten die­nen als gu­te Geis­ter und wer­den von oben her­ab cha­rak­te­ri­siert. Die üb­ri­gen Gäs­te sind läs­ti­ge Ge­räusch­ku­lis­se. Ka­tha­ri­na ver­mit­telt zwi­schen al­len und die jun­ge Emp­fangs­da­me des Ho­tels seufzt der gro­ßen Künst­ler­lie­be in frem­den La­ken nach.

Wie bei man­chen Be­schrei­bun­gen doch des Gu­ten zu viel ge­bo­ten wird. Der star­ke, gel­be Urin­strahl zählt nicht zu den Din­gen, von de­nen ich ger­ne le­sen möchte.

Wie der Le­ser be­lehrt wird über die rich­ti­ge Art Sekt zu trin­ken (Was­ser­glas), au­then­tisch Cam­pa­ri zu ge­nie­ßen (oh­ne Eis, da­für rand­voll), über gu­te Würs­te (ins­be­son­de­re die Milz­wurst), über das rich­ti­ge Früh­stück, rich­ti­ges Spei­sen, den rich­ti­gen Zeit­punkt zu ar­bei­ten und mehr.

Wie der Au­tor sein Buch­kon­zept er­klärt „ei­ne ero­ti­sche und bei­na­he un­er­träg­li­che Span­nung, die auf ei­ner streng ein­ge­hal­te­nen Di­stanz der bei­den Lie­ben­den ba­siert“ (S. 129).

Fazit

We­ni­ger Ei­tel­keit wä­re mir lie­ber ge­we­sen und auch mehr Acht­sam­keit. Da­mit nicht aus blon­dem Haar mit ro­ten Spit­zen am En­de blon­des Haar mit ro­ten An­sät­zen wird, und aus ei­nem hell­grü­nen Ba­de­man­tel in­ner­halb von drei Sei­ten ein dunkelgrüner.

So weit, so gut. Viel­leicht kommt ja noch­mal ein Ro­man wie „He­cke“ oder „Mo­sel­rei­se“ oder et­was Historisches.

Rät­sel­haft bleibt mir zu­letzt noch die Ab­bil­dung auf dem Schutz­um­schlag. Die dun­kel­haa­ri­ge Schö­ne kann we­der die blon­de Ju­le noch die ja­pa­ni­sche Hof­da­me sein.

Wer ist die Dargestellte?