Prolog
Um es vorweg zu sagen, dieser Autor begleitet schon seit langem mein Leseleben. Die Bekanntschaft begann mit der römischen Goethe-Historie „Faustinas Küsse“. Es folgten die übrigen dieser Trilogie, „Die Nacht des Don Juan“ und „Im Licht der Lagune“. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich auch andere alte und neue Bücher Ortheils gelesen. So auch nach „Die große Liebe“ und „Das Verlangen nach Liebe“ den letzten Band seiner Liebestrilogie „Liebesnähe“.
Fast ebensolange stellt sich mir die Frage, was mir an seinen Büchern denn nun so gefällt. Sicher ist es die Liebe zu Italien, vielleicht auch eine gewisse romantische Melancholie. Bisher war ich, abgesehen von einigen Eitelkeiten des erwachsenen Johannes in „Die Erfindung des Lebens“ und von stärkeren Arroganzen in Ortheils Romführer immer angenehm angetan.
Sich schweigend verlieben als Performance
„Wer ist diese Schwimmerin“ mit diesem Notat läutet Hanns-Josef Ortheil ein, was der Titel seines neuen Romans „Liebesnähe“ bereits vorweg nimmt.
Behutsam entwickelt der Autor die Annäherung zweier sich zunächst unbekannter Einzelgänger, die anscheinend zufällig im alltagsfernen Milieu eines einsam gelegenen Luxushotels einander bemerken. Der Schriftsteller Johannes Kirchner und die Installations-Künstlerin Jule Danner vermeiden zunächst direkte Begegnungen und bevorzugen sich aus der Distanz zu entdecken. Kleine Botschaften, die Ahnungen bestätigen, gehen traditionell als Zettel oder modern als SMS hin und her und führen schließlich zum Gegenüber. Diese Bewegungen aufeinander zu werden äußerst vorsichtig ausgeführt, ein kunstvoller Balztanz, dessen Choreografie mal den Inszenierungen der Videokünstlerin mal den Einfällen des Schriftstellers folgt.
Nur eines findet niemals statt, das gesprochene Wort. Dieses richten beide jeweils separat an Katharina, die die kleine Buchhandlung des Hotels führt. Sie berät ihre Kunden nach deren Befindlichkeit und führt außer dieser Literaturtherapie nur Bücher im Sortiment, die ihr persönlich gut gefallen. Sie unterhält zu Beiden eine ganz besondere Beziehung, man könnte sie als mütterliche Freundin bezeichnen. Die Details der Personenkonstellation offenbart der Autor erst nach und nach langsam voranschreitend wie in einer Zen-Meditation. Überhaupt gibt es viel Japanisches. Literarische Inspiration bietet das Kopfkissenbuch der Sei Shōnagon. Japanische Trommeln und Bambusflöten, Kimono, Tusche und Tee ergänzen das Ambiente.
Als wechselseitige Sicht seiner beiden Hauptpersonen komponiert Ortheil seinen Roman. Mal kommentiert Johannes, mal Jule ihr aufeinander Zugehen. Das so zweimal das Gleiche aus dem jeweils anderen Blickwinkel erzählt wird, macht den Reiz der Idee aus. Wenn jedoch Ereignisse wie die berühmte Performance der Künstlerin Marina Abramović, die als Vorlage für eine Begegnung dient, dem Leser mehrfach erklärt werden, wirkt dies redundant.
Was ich an diesem Buch sehr mag:
Wie Hanns-Josef Ortheil genaue Wahrnehmung und Beschreibung in Sätze verwandelt. Er beherrscht diese Fähigkeit so gut, daß der Leser sich sofort in das Ambiente seiner Romane hineinversetzt fühlt. Landschaften und Räume, Natur und Interieur, Gaumen- und Lesefreuden stellt er auf diese Weise zum unmittelbaren Nachvollzug dar.
Wie rücksichtsvoll die Personen miteinander umgehen und wie empathisch Ortheil Gefühle zu schildern vermag.
Wie er die Lust und die Inspiratonskraft von einsamen Spaziergängen darstellt. Bewegung bewegt auch den Geist. Das mit sich Alleinsein lässt Raum für Kreativität.
Wie Natur und Kunst in ihren verschiedenen Formen miteinander in Einklang gebracht werden.
Was ich an diesem Buch überhaupt nicht mag:
Wie die Wahl des Milieus das Geschehen weit über das normale Leben hebt, ein eskapistischer Wunderort inmitten saftig grüner Almen, wo sogar Toastbrotscheiben stundenlang frisch geröstet bleiben.
Wie dadurch das Schlosshotel Elmau, unverkennbares Vorbild dieses Paradieses, als ein Ort irdischer Verheißungen beworben wird.
Wie die Rollenebenen gewahrt werden. Die Künstler bleiben weltfern. Die Hotelangestellten dienen als gute Geister und werden von oben herab charakterisiert. Die übrigen Gäste sind lästige Geräuschkulisse. Katharina vermittelt zwischen allen und die junge Empfangsdame des Hotels seufzt der großen Künstlerliebe in fremden Laken nach.
Wie bei manchen Beschreibungen doch des Guten zu viel geboten wird. Der starke, gelbe Urinstrahl zählt nicht zu den Dingen, von denen ich gerne lesen möchte.
Wie der Leser belehrt wird über die richtige Art Sekt zu trinken (Wasserglas), authentisch Campari zu genießen (ohne Eis, dafür randvoll), über gute Würste (insbesondere die Milzwurst), über das richtige Frühstück, richtiges Speisen, den richtigen Zeitpunkt zu arbeiten und mehr.
Wie der Autor sein Buchkonzept erklärt „eine erotische und beinahe unerträgliche Spannung, die auf einer streng eingehaltenen Distanz der beiden Liebenden basiert“ (S. 129).
Fazit
Weniger Eitelkeit wäre mir lieber gewesen und auch mehr Achtsamkeit. Damit nicht aus blondem Haar mit roten Spitzen am Ende blondes Haar mit roten Ansätzen wird, und aus einem hellgrünen Bademantel innerhalb von drei Seiten ein dunkelgrüner.
So weit, so gut. Vielleicht kommt ja nochmal ein Roman wie „Hecke“ oder „Moselreise“ oder etwas Historisches.
Rätselhaft bleibt mir zuletzt noch die Abbildung auf dem Schutzumschlag. Die dunkelhaarige Schöne kann weder die blonde Jule noch die japanische Hofdame sein.
Wer ist die Dargestellte?