Klangschalenklöppel

Hajo Steinerts „Der Liebesidiot“ erzählt von der Last an der Lust

Der Liebesidiot von Hajo SteinertDen Ich-Er­zäh­ler ei­nes Ro­mans nicht mit des­sen Au­tor gleich­zu­set­zen muss Le­sern und erst recht Re­zen­sen­ten nicht erst ge­sagt wer­den. Doch beim De­büt Der Lie­bes­idi­otvon Ha­jo Stei­nert, den ich als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker schät­ze, wer­den so­wohl der Au­tor wie auch des­sen Haupt­fi­gur nicht mü­de dies zu betonen.

Nach­zu­prü­fen ist dies bei der Lek­tü­re des Ro­mans und bei dem Ge­spräch, das Wolf­gang Her­les mit dem Au­tor führ­te. Lag es nur dar­an, daß Her­les im In­ter­view auf dem Blau­en Buch­mes­se­so­fa das Al­ter von Au­tor und Haupt­fi­gur ver­wech­sel­te? Oder liegt es an der The­ma­tik des Ro­mans, der auf je­der zwei­ten Sei­te Ein­bli­cke in das voy­eu­ris­ti­sche Po­ten­ti­al ei­nes äl­te­ren Man­nes bietet?

Mit Si­cher­heit könn­ten die bei­den spe­zi­fi­schen Fä­hig­kei­ten, die der Au­tor mit sei­ner Fi­gur teilt, zu Ver­wechs­lun­gen füh­ren. Zum ei­nen ist dies die Sen­si­bi­li­tät für die ge­spro­che­ne Spra­che. Stei­nert wie sein Prot­ago­nist Sig­mund Sei­ler be­sit­zen die aus­ge­bil­de­te Stim­me und „Klang­scha­len­klöp­pel“ weiterlesen

Metaebenen in Liebe und Literatur

Peter Stamm erzählt in „Agnes“ über die Schwierigkeit von Nähe

Das Ma­nu­skript die­ses Ro­mans reich­te Pe­ter Stamm bei meh­re­ren Ver­la­gen ver­geb­lich ein, be­vor es im Zü­ri­cher Ar­che Ver­lag zum er­folg­rei­chen De­büt wur­de. Viel­leicht war es so lan­ge ver­kannt, weil Stamm auf den ers­ten Blick ei­ne alt­be­kann­te Ge­schich­te er­zählt, die ei­ner Be­zie­hung, auf die ein gleich und gleich eben­so zu­trifft wie die sich an­zie­hen­den Gegensätze.

Stamm sie­delt sein Paar in Chi­ca­go an, wo es im Le­se­saal der Pu­blic Li­bra­ry ein­an­der be­geg­net. Un­gleich im Al­ter sind die bei­den, sie 25, er, der fast ihr Va­ter sein könn­te, um die 40, auch in ih­ren In­ter­es­sen ver­schie­den. Agnes pro­mo­viert in Phy­sik, der Schwei­zer Sach­buch­au­tor schreibt über Lu­xus­wa­gons von Pull­mann. Bei­de agie­ren scheu in ih­ren An­nä­he­run­gen, doch ei­ni­ge Zi­ga­ret­ten und Kaf­fees spä­ter wer­den sie ein Paar. Das Schüch­ter­ne und die Schwie­rig­keit über Ge­füh­le zu spre­chen bleiben.

Ein un­spek­ta­ku­lä­res Su­jet, das al­ler­dings durch das Spiel mit der Me­ta­ebe­ne „Me­ta­ebe­nen in Lie­be und Li­te­ra­tur“ weiterlesen

Die Kunst Liebesbriefe zu schreiben

Martin Walsers „Das dreizehnte Kapitel“ ist voll vollendet formulierter Verführungen

Das drei­zehn­te Ka­pi­tel“, die­ser an­spie­lungs­rei­che Ti­tel des Ro­mans ist ein Ge­schenk. Ba­sil Schlupp, der Schrift­stel­ler im Ro­man, er­hält es von sei­ner Frau Iris, ei­ner dreh­buch­schrei­ben­den stu­dier­ten Ve­te­ri­nä­rin, ei­ner der bei­den wich­ti­gen Ne­ben­fi­gu­ren des Ro­mans. Mit ih­rem Schrift­stel­ler­ge­heim­nis ver­rät Ba­sil sei­ne Ehe­frau und ge­winnt das Ver­trau­en von Ma­ja Schnei­lin, der zwei­ten Haupt­fi­gur des Romans.

Seit Ma­jas schö­ner An­blick sei­ne Auf­merk­sam­keit im gleich­na­mi­gen Schloss des Bun­des­prä­si­den­ten er­reg­te fühlt sich Ba­sil von ihr an­ge­zo­gen. Schließ­lich schickt der be­rühm­te Ver­fas­ser des Best­sel­lers „Strand­ha­fer“ ihr, der Phy­si­ker­gat­tin und Theo­lo­gie­pro­fes­so­rin, ei­nen Brief. Die der­art amü­sant und elo­quent An­ge­schrie­be­ne kann ei­ner Ant­wort nicht wi­der­ste­hen. Zwar fällt die­se zu­nächst zu­rück­hal­tend aus, aber der ers­te Schritt ist ge­tan. Der Brief­ro­man be­ginnt. Die bei­den Schrei­ben­den be­rich­ten in der fol­gen­den Kor­re­spon­denz von­ein­an­der, von ih­ren Ehe­part­nern, von Ge­heim­nis­sen und Wün­schen. Es ent­steht ei­ne Ge­schich­te zwi­schen ih­nen, die oh­ne die Ge­gen­wart des An­de­ren, oh­ne tie­fe Au­gen­bli­cke aus­kommt, Ver­trau­en und Ero­tik ent­steht al­lei­ne durch Ge­dan­ken, die sich in Zei­len auf dem Brief­pa­pier ma­ni­fes­tie­ren. „Un­se­re Buch­sta­ben­ket­ten sind Hän­ge­brü­cken über ei­nem Ab­grund na­mens Wirklichkeit.“

Ba­sil, der sich sei­ner Rol­le als „Zu­dring­lich­keits­ver­fas­ser“ im ers­ten Brief durch­aus be­wusst ist, ju­bi­liert nach dem ers­ten Ant­wort­schrei­ben sei­ner An­ge­be­te­ten: „So oft wie Ih­ren Brief ha­be ich noch nie Ge­schrie­be­nes ge­le­sen.“. Ei­ne Lie­bes­brief­plat­ti­tü­de mag man den­ken, die al­ler­dings von ei­nem Bild ab­ge­löst wird, das die Le­se­er­fah­rung der­ar­ti­ger Schrei­ben bes­ser nicht tref­fen könn­te. „Ihr Brief ist ei­ne Wie­se. Ich ha­be auf die­ser Wie­se gegrast.Tag und Nacht. Jetzt ver­ab­schie­de ich das Bild Wie­se und Gra­sen. Ich ha­be näm­lich noch ge­grast, als auf ei­ner wirk­li­chen Wie­se längt al­les ab­ge­grast ge­we­sen wä­re. In Ih­rem Brief aber wuchs al­les im­mer wie­der nach.“ Um Schlupp ist’s ge­schehn, im­mer­zu an die An­ge­schrie­be­ne den­kend, war­tet er auf Ant­wort. Ih­rer Ge­gen­wart ist er sich auch bei den ge­rings­ten All­tags­ver­rich­tun­gen be­wusst, er emp­fin­det sein ex­klu­si­ves In­nen­le­ben, wel­ches er mit die­ser noch Un­be­kann­ten tei­len möch­te, we­ni­ger mit sei­ner Ehe­frau, auch wenn er sie liebt. „Es geht in uns of­fen­bar an­dau­ernd et­was vor, was wir dem, der da ist, nicht sa­gen können.“

Bei Ma­ja meint er „die täg­li­che Last los­wer­den“ zu kön­nen. Was be­las­tet den Schrift­stel­ler? Ver­zweif­lung oder eher To­des­ah­nung, wie fol­gen­der Aus­ruf na­he­legt: „Wenn ich nur schon er­trun­ken wä­re! Im­mer noch die­se Schwimm­be­we­gun­gen ge­gen das Er­trin­ken. Die­ses Hin­aus­schie­ben des­sen, was kom­men muss.“ Die Ant­wort­schrei­ben der Theo­lo­gin ge­ra­ten phi­lo­so­phisch. Sie spricht mit Kier­ke­gaard von Ver­ant­wor­tung und wech­selt qua pro­fes­sio­ne auf re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sches Ter­rain, Bi­bel­zi­ta­te in­be­grif­fen. Schließ­lich er­öff­net sie Ba­sil ih­re gro­ße Lie­be zu Karl Barth, dem Re­form­theo­lo­gen, ih­rem Meis­ter. Ihr Ehe­mann, der Phy­si­ker Kor­bi­ni­an, ist ih­rem Idol ge­gen­über skep­tisch, die Theo­lo­gin fühlt sich her­aus­ge­for­dert, die­ses Ver­ständ­nis in ih­rem Mann noch zu er­we­cken. Ba­sil, dem Ma­ja zu­dem von der ne­ben­ehe­li­chen Lei­den­schaft Karl Barths zu Char­lot­te von Kirsch­baum be­rich­tet und die Lek­tü­re ih­rer Brie­fe emp­fiehlt, re­agiert mit Iro­nie. Er wer­de dem Re­for­mer ei­ne Mes­se le­sen las­sen. An­ders als das his­to­ri­sche Lie­bes­brief­paar wer­den sich Ba­sil und Ma­ja nur ein­mal wäh­rend ih­rer Kor­re­spon­denz be­geg­nen, auf dem Frank­fur­ter Flug­ha­fen. Auch das nur im Vor­rü­ber­ge­hen, die Zeit reicht ge­ra­de, sich die Mail­adres­se zu zu­ru­fen, sonst wird Ba­sil nie dort sein wo Ma­ja ist. „Ich sit­ze nir­gends. Nir­gends, wo sie sind. Denn es ist nichts. Und es war nichts. Und es wird sein: nichts.“. Trotz die­ser fast schon bi­bli­schen Sen­ten­zen, kommt es zur Un­ter­bre­chung ih­res Brief­ver­kehrs. Ba­sil schreibt, Ma­ja ant­wor­tet nicht. Ver­ant­wort­lich für das Von­ein­an­der­ent­fer­nen ist Ba­sils Ei­tel­keit, die von Ma­ja er­mög­licht das Wiederzusammenkommen.

So­weit ist die ge­neig­te Ro­man­le­se­rin sehr ein­ver­stan­den mit den schön ge­schrie­be­nen Brie­fen und den ver­ständ­li­chen Re­ak­tio­nen. Doch ein un­vor­her­ge­se­he­nes Er­eig­nis wen­det dies. Kor­bi­ni­an er­krankt, er braucht Zeit, Ma­ja nimmt sie sich für ihn. Nach ei­ner Ope­ra­ti­on bre­chen sie zu ei­ner Rad-Tour durch Ka­na­da auf. Wäh­rend die­ses Ex­trem­sports, dem sich Ma­ja ex­trem er­gibt, lässt sich be­reits das En­de ah­nen. Im­mer wie­der be­fragt Kor­bi­ni­an sei­ne Frau, ob sie bei ihm blei­be, und sie ant­wor­tet „Im­mer und ewig.“. Auch wenn der Traum vom Schier­lings­blü­ten­strauß das En­de klar vor­her­sagt, so hat es mich über­rascht und ein we­nig ent­täuscht. Ba­sil Schlupp wird kei­ne Brie­fe mehr schrei­ben und Mar­tin Wal­ser spart sich die Schwie­rig­keit, den wei­te­ren Ver­lauf die­ser Af­fä­re sei­nen Fi­gu­ren und sei­nen Le­sern zu erklären.

Die­ser klei­nen Ent­täu­schung un­ge­ach­tet, wer das Schrei­ben in­tel­li­gen­ter Lie­bes­brie­fe ler­nen will, der le­se diese.

Ei­ne Le­se­pro­be fin­det sich auf den Sei­ten des Ro­wohlt-Ver­la­ges.

Mar­tin Wal­ser, Das drei­zehn­te Ka­pi­tel, Ro­wohlt Ver­lag, 1.Aufl. 2012

Wühlen im Gestrüpp der Vergangenheit

In „Das Liebesspiel“ schreibt Dawn Tripp vom Scrabblespielen und Origamifalten

Scrabble.“…„Fünf Be­deu­tun­gen als Verb,“ sag­te ich. „Vier, mei­ne ich, als Sub­stan­tiv. Krat­zen und wüh­len. Sich pla­gen, krab­beln und krit­zeln. Ge­strüpp kann es auch hei­ßen – als Sub­stan­tiv, wie ge­sagt. Aber das Spiel stand nicht als Be­deu­tung dabei.“

So wie man beim Scrabb­le vor ei­ner Men­ge Buch­sta­ben sitzt und an­ge­strengt über­legt, wie man aus die­sen ein ein­zi­ges Wort kom­po­nie­ren kann, war auch der Ver­such zum ver­wi­ckelt kon­stru­ier­ten neu­en Ro­mans von Dawn Tripp ei­ne Re­zen­si­on zu ver­fas­sen nicht unanstrengend.

Die­ses Buch er­zählt die Ge­schich­te der Frau­en Ada und Ju­ne, die sich auf­grund ver­gan­ge­ner Er­eig­nis­se ei­gent­lich has­sen müss­ten, sich je­doch sehr na­he sind. Ada war einst die Ge­lieb­te von Ju­nes Va­ter und der Grund, wes­halb die­ser sich von sei­ner Ehe­frau trenn­te. Sei­ne Toch­ter Ja­ne sah er je­doch nach wie vor re­gel­mä­ßig bis er 1957 ei­nes Ta­ges spur­los ver­schwand. Als fünf Jah­re spä­ter beim Bau der neu­en Stra­ße ein Schä­del mit Ein­schuss­loch ent­deckt wird ist klar, daß Luce nie mehr auf­tau­chen wird. Wer die­se Mord­tat ver­rich­tet hat, scheint den Be­woh­nern des klei­nen Or­tes eben­so klar, Si­las, der ge­walt­tä­ti­ge und ei­fer­süch­ti­ge Ehe­mann Adas.

Dies ist die Aus­gangs­la­ge der Ge­schich­te, de­ren Haupt­hand­lung im Jahr 2004 spielt. Ada und Ja­ne sind nun zwei al­te Da­men, die sich wö­chent­lich zum Scrabb­le­spiel tref­fen wäh­rend ih­re er­wach­se­nen Kin­der ei­ge­ne We­ge ge­hen. Die jüngs­te Toch­ter Ju­nes, Mar­ne, hat ihr Weg wie­der nach Hau­se in ei­ne klei­ne Pro­vinz­stadt Neu­eng­lands ge­führt, wi­der­wil­lig, strebt sie doch eher in die wei­te Welt. Aber das selt­sam, ver­rück­te Ver­hal­ten der Mut­ter weck­te ihr Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl und den Wunsch für die­se da zu sein. Nun sitzt sie in dem Küs­ten­ort, kell­nert, rutscht in al­te Rol­len­mus­ter und ver­liebt sich. Aus­ge­rech­net in Ray, den Sohn Adas, für den sie schon als Teen­ager schwärmte.

Die bei­den an­de­ren Haupt­per­so­nen des Ro­mans, Ada und Ja­ne, ver­bin­det das Ver­schwin­den Luces, die Ver­liebt­heit ih­rer bei­den Kin­der und wei­te­re trau­ma­ti­sche Er­eig­nis­se. Viel­fäl­ti­ge Par­al­le­len, die stets von Lie­be und Ver­lust handeln.

Dies al­les ge­schieht im som­mer­li­chen Küs­ten­licht. Tripp er­zeugt in stim­mungs­vol­len Sät­zen die At­mo­sphä­re des Som­mers, sie schil­dert die Land­schaft, die Ve­ge­ta­ti­on, das Was­ser in bild­haf­ter Poe­sie. Die Hit­ze auf der Haut sitzt man so am Meer oder auf dem Pick-up, ist bei der Heu­ern­te oder har­pu­niert ei­nen Schwert­fisch, fal­tet Hun­der­te von Ori­ga­mi­vö­geln, spielt Mi­ni­golf oder doch meist Scrabb­le. Wo­bei man stets ver­sucht ist, aus den im Spiel ge­leg­ten Wor­ten die Grün­de des Ge­sche­hens zu deu­ten. Wei­te­re Hin­wei­se las­sen sich aus den li­te­ra­ri­schen Ein­spreng­seln le­sen. Zi­tiert wer­den Frag­men­te aus „Wind­ab­ge­wor­fe­nes Licht“ von Dy­lan Tho­mas, Ge­dich­te von T.S. Eli­ot und W. H. Au­den. Als Buch im Buch er­hält „Ge­heim­nis des Lich­tes“ von Wal­ter Rus­sell ei­ne be­son­de­re Rolle.

Das Lie­bes­spiel“, im Ori­gi­nal „Game of Se­crets“, des­sen Ti­tel mit „Scrabb­le“ doch viel tref­fen­der ge­wählt wä­re, weist ei­ne über­bor­den­de Fül­le von De­tails auf, die bis­wei­len ins Lee­re lau­fen. Trotz­dem ha­be ich die­sen span­nungs­rei­chen und gleich­zei­tig poe­tisch me­lan­cho­li­schen Ro­man sehr ger­ne gelesen.

Ein be­son­de­res Au­gen­merk sei auf sei­ne Kon­struk­ti­on ge­rich­tet. Die Au­torin kom­po­niert ihn aus meh­re­ren Stim­men. Wir ver­neh­men vor­wie­gend, in je­wei­li­gen Ka­pi­teln se­pa­riert, Ju­ne und Mar­ne, die im Jahr 2004 ih­re Sicht der Din­ge schil­dern. Ja­nes Ge­dan­ken ver­folgt der Le­ser stets beim Scrabb­le­spiel mit Ada. Mar­ne schil­dert ih­re An­nä­he­rung an Ray. Wei­te­re Ka­pi­tel spie­len 1962, dem Jahr in dem sich vie­les än­der­te. Die neue Stra­ße wird ge­baut, die sieb­zehn­jäh­ri­ge Ja­ne ver­liebt sich, und auch Huck, der vier­zehn­jäh­ri­ge Jun­ge Adas wird zum Ak­teur. Zwei Ka­pi­tel lässt Tripp im Jahr 1957 spie­len. Zu­dem ist der Ro­man in sie­ben ti­tel­tra­gen­de Tei­le ge­glie­dert. Die­sen Auf­bau er­wäh­ne ich hier so ex­pli­zit, weil auch die Au­torin Wert auf prä­zi­se An­ga­ben legt. Je­des Ka­pi­tel ver­zeich­net zu Be­ginn Prot­ago­nist und Zeit­raum, manch­mal so­gar die ge­naue Uhr­zeit. Dies mag zur Ori­en­tie­rung nütz­lich sein, wird al­ler­dings be­son­ders, wenn in die­sen Ka­pi­teln aber­mals Rück­bli­cke statt­fin­den, ob­so­let. Der Ro­man­auf­bau wirkt da­durch über­struk­tu­riert. Auch oh­ne die über­bor­den­de Zahl an Roman­tei­len, Ka­pi­tel­über­schrif­ten und Per­so­nen­an­ga­ben hät­te die Le­se­rin gut in die Ge­schich­te hin­ein­ge­fun­den, denn Dawn Tripp be­herrscht das span­nen­de Er­zäh­len. Sie lässt ih­re Prot­ago­nis­ten nicht nur beim Scrabb­le su­chen, son­dern sie wüh­len im Ge­strüpp der ver­gan­ge­nen Un­aus­sprech­lich­keit so­lan­ge bis al­le Wor­te auf dem Tisch sind.

 

Dawn Tripp, Das Lie­bes­spiel, übers. v. An­drea Fi­scher, Ar­che Li­te­ra­tur Ver­lag, 1. Aufl. 2012

Zen oder die Kunst sich schweigend zu verlieben

Prolog

Um es vor­weg zu sa­gen, die­ser Au­tor be­glei­tet schon seit lan­gem mein Le­se­le­ben. Die Be­kannt­schaft be­gann mit der rö­mi­schen Goe­the-His­to­rie „Faus­ti­nas Küs­se“. Es folg­ten die üb­ri­gen die­ser Tri­lo­gie, „Die Nacht des Don Ju­an“ und „Im Licht der La­gu­ne“. Bis auf we­ni­ge Aus­nah­men ha­be ich auch an­de­re al­te und neue Bü­cher Ort­heils ge­le­sen. So auch nach „Die gro­ße Lie­be“ und „Das Ver­lan­gen nach Lie­be“ den letz­ten Band sei­ner Lie­bes­tri­lo­gie „Lie­bes­nä­he“.

Fast eben­so­lan­ge stellt sich mir die Fra­ge, was mir an sei­nen Bü­chern denn nun so ge­fällt. Si­cher ist es die Lie­be zu Ita­li­en, viel­leicht auch ei­ne ge­wis­se ro­man­ti­sche Me­lan­cho­lie. Bis­her war ich, ab­ge­se­hen von ei­ni­gen Ei­tel­kei­ten des er­wach­se­nen Jo­han­nes in „Die Er­fin­dung des Le­bens“ und von stär­ke­ren Ar­ro­gan­zen in Ort­heils Rom­füh­rer im­mer an­ge­nehm angetan.

Sich schweigend verlieben als Performance

Wer ist die­se Schwim­me­rin“ mit die­sem No­tat läu­tet Hanns-Jo­sef Ort­heil ein, was der Ti­tel sei­nes neu­en Ro­mans „Lie­bes­nä­he“ be­reits vor­weg nimmt.

Be­hut­sam ent­wi­ckelt der Au­tor die An­nä­he­rung zwei­er sich zu­nächst un­be­kann­ter Ein­zel­gän­ger, die an­schei­nend zu­fäl­lig im all­tags­fer­nen Mi­lieu ei­nes ein­sam ge­le­ge­nen Lu­xus­ho­tels ein­an­der be­mer­ken. Der Schrift­stel­ler Jo­han­nes Kirch­ner und die In­stal­la­ti­ons-Künst­le­rin Ju­le Dan­ner ver­mei­den zu­nächst di­rek­te Be­geg­nun­gen und be­vor­zu­gen sich aus der Di­stanz zu ent­de­cken. Klei­ne Bot­schaf­ten, die Ah­nun­gen be­stä­ti­gen, ge­hen tra­di­tio­nell als Zet­tel oder mo­dern als SMS hin und her und füh­ren schließ­lich zum Ge­gen­über. Die­se Be­we­gun­gen auf­ein­an­der zu wer­den äu­ßerst vor­sich­tig aus­ge­führt, ein kunst­vol­ler Balz­tanz, des­sen Cho­reo­gra­fie mal den In­sze­nie­run­gen der Vi­deo­künst­le­rin mal den Ein­fäl­len des Schrift­stel­lers folgt.

Nur ei­nes fin­det nie­mals statt, das ge­spro­che­ne Wort. Die­ses rich­ten bei­de je­weils se­pa­rat an Ka­tha­ri­na, die die klei­ne Buch­hand­lung des Ho­tels führt. Sie be­rät ih­re Kun­den nach de­ren Be­find­lich­keit und führt au­ßer die­ser Li­te­ra­tur­the­ra­pie nur Bü­cher im Sor­ti­ment, die ihr per­sön­lich gut ge­fal­len. Sie un­ter­hält zu Bei­den ei­ne ganz be­son­de­re Be­zie­hung, man könn­te sie als müt­ter­li­che Freun­din be­zeich­nen. Die De­tails der Per­so­nen­kon­stel­la­ti­on of­fen­bart der Au­tor erst nach und nach lang­sam vor­an­schrei­tend wie in ei­ner Zen-Me­di­ta­ti­on. Über­haupt gibt es viel Ja­pa­ni­sches. Li­te­ra­ri­sche In­spi­ra­ti­on bie­tet das Kopf­kis­sen­buch der Sei Shō­na­gon. Ja­pa­ni­sche Trom­meln und Bam­bus­flö­ten, Ki­mo­no, Tu­sche und Tee er­gän­zen das Ambiente.

Als wech­sel­sei­ti­ge Sicht sei­ner bei­den Haupt­per­so­nen kom­po­niert Ort­heil sei­nen Ro­man. Mal kom­men­tiert Jo­han­nes, mal Ju­le ihr auf­ein­an­der Zu­ge­hen. Das so zwei­mal das Glei­che aus dem je­weils an­de­ren Blick­win­kel er­zählt wird, macht den Reiz der Idee aus. Wenn je­doch Er­eig­nis­se wie die be­rühm­te Per­for­mance der Künst­le­rin Ma­ri­na Abra­mo­vić, die als Vor­la­ge für ei­ne Be­geg­nung dient, dem Le­ser  mehr­fach er­klärt wer­den, wirkt dies redundant.

Was ich an diesem Buch sehr mag:

Wie Hanns-Jo­sef Ort­heil ge­naue Wahr­neh­mung und Be­schrei­bung in Sät­ze ver­wan­delt. Er be­herrscht die­se Fä­hig­keit so gut, daß der Le­ser sich so­fort in das Am­bi­en­te sei­ner Ro­ma­ne hin­ein­ver­setzt fühlt. Land­schaf­ten und Räu­me, Na­tur und In­te­ri­eur, Gau­men- und Le­se­freu­den stellt er auf die­se Wei­se zum un­mit­tel­ba­ren Nach­voll­zug dar.

Wie rück­sichts­voll die Per­so­nen mit­ein­an­der um­ge­hen und wie em­pa­thisch Ort­heil Ge­füh­le zu schil­dern vermag.

Wie er die Lust und die In­spi­ra­tons­kraft von ein­sa­men Spa­zier­gän­gen dar­stellt. Be­we­gung be­wegt auch den Geist. Das mit sich Al­lein­sein lässt Raum für Kreativität.

Wie Na­tur und Kunst in ih­ren ver­schie­de­nen For­men mit­ein­an­der in Ein­klang ge­bracht werden.

Was ich an diesem Buch überhaupt nicht mag:

Wie die Wahl des Mi­lieus das Ge­sche­hen weit über das nor­ma­le Le­ben hebt, ein es­ka­pis­ti­scher Wun­der­ort in­mit­ten saf­tig grü­ner Al­men, wo so­gar Toast­brot­schei­ben stun­den­lang frisch ge­rös­tet bleiben.

Wie da­durch das Schloss­ho­tel El­mau, un­ver­kenn­ba­res Vor­bild die­ses Pa­ra­die­ses, als ein Ort ir­di­scher Ver­hei­ßun­gen be­wor­ben wird.

Wie die Rol­len­ebe­nen ge­wahrt wer­den. Die Künst­ler blei­ben welt­fern. Die Ho­tel­an­ge­stell­ten die­nen als gu­te Geis­ter und wer­den von oben her­ab cha­rak­te­ri­siert. Die üb­ri­gen Gäs­te sind läs­ti­ge Ge­räusch­ku­lis­se. Ka­tha­ri­na ver­mit­telt zwi­schen al­len und die jun­ge Emp­fangs­da­me des Ho­tels seufzt der gro­ßen Künst­ler­lie­be in frem­den La­ken nach.

Wie bei man­chen Be­schrei­bun­gen doch des Gu­ten zu viel ge­bo­ten wird. Der star­ke, gel­be Urin­strahl zählt nicht zu den Din­gen, von de­nen ich ger­ne le­sen möchte.

Wie der Le­ser be­lehrt wird über die rich­ti­ge Art Sekt zu trin­ken (Was­ser­glas), au­then­tisch Cam­pa­ri zu ge­nie­ßen (oh­ne Eis, da­für rand­voll), über gu­te Würs­te (ins­be­son­de­re die Milz­wurst), über das rich­ti­ge Früh­stück, rich­ti­ges Spei­sen, den rich­ti­gen Zeit­punkt zu ar­bei­ten und mehr.

Wie der Au­tor sein Buch­kon­zept er­klärt „ei­ne ero­ti­sche und bei­na­he un­er­träg­li­che Span­nung, die auf ei­ner streng ein­ge­hal­te­nen Di­stanz der bei­den Lie­ben­den ba­siert“ (S. 129).

Fazit

We­ni­ger Ei­tel­keit wä­re mir lie­ber ge­we­sen und auch mehr Acht­sam­keit. Da­mit nicht aus blon­dem Haar mit ro­ten Spit­zen am En­de blon­des Haar mit ro­ten An­sät­zen wird, und aus ei­nem hell­grü­nen Ba­de­man­tel in­ner­halb von drei Sei­ten ein dunkelgrüner.

So weit, so gut. Viel­leicht kommt ja noch­mal ein Ro­man wie „He­cke“ oder „Mo­sel­rei­se“ oder et­was Historisches.

Rät­sel­haft bleibt mir zu­letzt noch die Ab­bil­dung auf dem Schutz­um­schlag. Die dun­kel­haa­ri­ge Schö­ne kann we­der die blon­de Ju­le noch die ja­pa­ni­sche Hof­da­me sein.

Wer ist die Dargestellte?