In „Das Liebesspiel“ schreibt Dawn Tripp vom Scrabblespielen und Origamifalten
„Scrabble.“…„Fünf Bedeutungen als Verb,“ sagte ich. „Vier, meine ich, als Substantiv. Kratzen und wühlen. Sich plagen, krabbeln und kritzeln. Gestrüpp kann es auch heißen – als Substantiv, wie gesagt. Aber das Spiel stand nicht als Bedeutung dabei.“
So wie man beim Scrabble vor einer Menge Buchstaben sitzt und angestrengt überlegt, wie man aus diesen ein einziges Wort komponieren kann, war auch der Versuch zum verwickelt konstruierten neuen Romans von Dawn Tripp eine Rezension zu verfassen nicht unanstrengend.
Dieses Buch erzählt die Geschichte der Frauen Ada und June, die sich aufgrund vergangener Ereignisse eigentlich hassen müssten, sich jedoch sehr nahe sind. Ada war einst die Geliebte von Junes Vater und der Grund, weshalb dieser sich von seiner Ehefrau trennte. Seine Tochter Jane sah er jedoch nach wie vor regelmäßig bis er 1957 eines Tages spurlos verschwand. Als fünf Jahre später beim Bau der neuen Straße ein Schädel mit Einschussloch entdeckt wird ist klar, daß Luce nie mehr auftauchen wird. Wer diese Mordtat verrichtet hat, scheint den Bewohnern des kleinen Ortes ebenso klar, Silas, der gewalttätige und eifersüchtige Ehemann Adas.
Dies ist die Ausgangslage der Geschichte, deren Haupthandlung im Jahr 2004 spielt. Ada und Jane sind nun zwei alte Damen, die sich wöchentlich zum Scrabblespiel treffen während ihre erwachsenen Kinder eigene Wege gehen. Die jüngste Tochter Junes, Marne, hat ihr Weg wieder nach Hause in eine kleine Provinzstadt Neuenglands geführt, widerwillig, strebt sie doch eher in die weite Welt. Aber das seltsam, verrückte Verhalten der Mutter weckte ihr Verantwortungsgefühl und den Wunsch für diese da zu sein. Nun sitzt sie in dem Küstenort, kellnert, rutscht in alte Rollenmuster und verliebt sich. Ausgerechnet in Ray, den Sohn Adas, für den sie schon als Teenager schwärmte.
Die beiden anderen Hauptpersonen des Romans, Ada und Jane, verbindet das Verschwinden Luces, die Verliebtheit ihrer beiden Kinder und weitere traumatische Ereignisse. Vielfältige Parallelen, die stets von Liebe und Verlust handeln.
Dies alles geschieht im sommerlichen Küstenlicht. Tripp erzeugt in stimmungsvollen Sätzen die Atmosphäre des Sommers, sie schildert die Landschaft, die Vegetation, das Wasser in bildhafter Poesie. Die Hitze auf der Haut sitzt man so am Meer oder auf dem Pick-up, ist bei der Heuernte oder harpuniert einen Schwertfisch, faltet Hunderte von Origamivögeln, spielt Minigolf oder doch meist Scrabble. Wobei man stets versucht ist, aus den im Spiel gelegten Worten die Gründe des Geschehens zu deuten. Weitere Hinweise lassen sich aus den literarischen Einsprengseln lesen. Zitiert werden Fragmente aus „Windabgeworfenes Licht“ von Dylan Thomas, Gedichte von T.S. Eliot und W. H. Auden. Als Buch im Buch erhält „Geheimnis des Lichtes“ von Walter Russell eine besondere Rolle.
„Das Liebesspiel“, im Original „Game of Secrets“, dessen Titel mit „Scrabble“ doch viel treffender gewählt wäre, weist eine überbordende Fülle von Details auf, die bisweilen ins Leere laufen. Trotzdem habe ich diesen spannungsreichen und gleichzeitig poetisch melancholischen Roman sehr gerne gelesen.
Ein besonderes Augenmerk sei auf seine Konstruktion gerichtet. Die Autorin komponiert ihn aus mehreren Stimmen. Wir vernehmen vorwiegend, in jeweiligen Kapiteln separiert, June und Marne, die im Jahr 2004 ihre Sicht der Dinge schildern. Janes Gedanken verfolgt der Leser stets beim Scrabblespiel mit Ada. Marne schildert ihre Annäherung an Ray. Weitere Kapitel spielen 1962, dem Jahr in dem sich vieles änderte. Die neue Straße wird gebaut, die siebzehnjährige Jane verliebt sich, und auch Huck, der vierzehnjährige Junge Adas wird zum Akteur. Zwei Kapitel lässt Tripp im Jahr 1957 spielen. Zudem ist der Roman in sieben titeltragende Teile gegliedert. Diesen Aufbau erwähne ich hier so explizit, weil auch die Autorin Wert auf präzise Angaben legt. Jedes Kapitel verzeichnet zu Beginn Protagonist und Zeitraum, manchmal sogar die genaue Uhrzeit. Dies mag zur Orientierung nützlich sein, wird allerdings besonders, wenn in diesen Kapiteln abermals Rückblicke stattfinden, obsolet. Der Romanaufbau wirkt dadurch überstrukturiert. Auch ohne die überbordende Zahl an Romanteilen, Kapitelüberschriften und Personenangaben hätte die Leserin gut in die Geschichte hineingefunden, denn Dawn Tripp beherrscht das spannende Erzählen. Sie lässt ihre Protagonisten nicht nur beim Scrabble suchen, sondern sie wühlen im Gestrüpp der vergangenen Unaussprechlichkeit solange bis alle Worte auf dem Tisch sind.
Dawn Tripp, Das Liebesspiel, übers. v. Andrea Fischer, Arche Literatur Verlag, 1. Aufl. 2012