Mittelalterliches Mirakel oder wie Piper mir ein Zeichen sandte

Die Welfenkaiserin“ – Martina Kempffs mittelalterliche Frauenpower

Uuaaaahhhh, zu Be­ginn hat’s mich ganz ge­wal­tig ge­graust. Nicht vor der im­mer noch als fins­te­res Mit­tel­al­ter in den Köp­fen her­um­schwir­ren­den Epo­che, son­dern vor dem His­to­ri­schen Ro­man, der letz­ten Le­se­auf­ga­be un­se­res Literatur-Kreises.

Mit der Wel­fen­kai­se­rin soll­te ich nun al­so ins frü­he Mit­tel­al­ter hin­ab­tau­chen ge­nau­er an den Hof des Ka­ro­lin­gers Lud­wigs I., ge­nannt der From­me. Mir schwan­te nichts Gu­tes. Ein­ge­schla­ge­ne Köp­fe, ver­ge­wal­tig­te Frau­en, tot­ge­bo­re­ne Kin­der, meist in die­ser Chro­no­lo­gie, auf­ge­lo­ckert von ex­pli­zi­ten Gräu­el­ta­ten und def­ti­gen Sex­sze­nen, sind das Holz aus dem His­to­ri­sche Ro­ma­ne ge­schnitzt sind. So die Ein­sich­ten, die mich längst zu­rück lie­gen­de Le­se­er­fah­run­gen lehr­ten. Die Ti­tel­ge­bung weckt zu­dem Re­mi­nis­zen­zen an Bü­cher, von de­nen ich ei­gent­lich über­haupt nichts wis­sen will.

Nun denn, es ward be­stellt und auf­ge­blät­tert. Dies je­doch nicht auf der ers­ten Sei­te, son­dern an ei­ner Stel­le, die der Ver­lag mir mar­kiert hat­te. Ge­nau zwi­schen Sei­te 116 und 117 lag das als Post­kar­te ge­tarn­te Zei­chen an die vor­ur­teils­rei­che Historikerin.

Sprach­los blick­te der Kai­ser auf die nackt vor ihm ste­hen­de Frau. Nicht ein­mal der Schreck über den ho­hen Leib ver­hin­der­te das so­for­ti­ge Ein­set­zen sei­ner Begierde.“

Sprach­los auch ich, Wun­der und Zei­chen in ei­nem Mit­tel­al­ter­ro­man, wer hät­te das gedacht.

Auch im wei­te­ren Ver­lauf la­gen die Lei­ber hie und da bei­ein­an­der, doch die an­de­ren Er­schei­nun­gen blie­ben weit­ge­hend aus. Köp­fe wur­den dis­kret ab­ge­schla­gen, Fol­ter­rei­en ne­ben­her er­le­digt, Ver­ge­wal­ti­gun­gen so­fort wie­der ver­ges­sen und schwe­re Ge­bur­ten fan­den hin­ter ver­schlos­se­nen Tü­ren statt. Uffa!

Mar­ti­na Kempff stellt Ju­dith, die Toch­ter des Gra­fen Welf aus dem schwä­bi­schen Alt­dorf, in den Mit­tel­punkt ih­res Ro­mans. Sie zeich­net das Le­ben der an­ge­hen­den Kai­se­rin von der Braut­schau bis zu ih­rem Tod. Ei­ne Wel­fen­kai­se­rin war und wur­de sie al­ler­dings nicht, son­dern ei­ne Fran­ken­kai­se­rin oder bes­ten­falls Ka­ro­lin­ger­kai­se­rin. Die Frau­en­ge­stal­ten ste­hen in die­sem Ro­man im Vor­der­grund. Die po­li­ti­schen Zeit­läuf­te, Lud­wigs Rin­gen um die Ein­heit des von Karl dem Gro­ßen auf ihn ge­kom­me­nen Groß­rei­ches, Ver­wal­tungs­re­for­men und Erb­fol­ge­re­ge­lun­gen ein­ge­schlos­sen, bil­den das Ge­rüst. In die­ses bet­tet Kempff das Schick­sal der jun­gen, schö­nen aber oft viel zu mo­dern wir­ken­den Kai­se­rin. Nicht die In­tri­gen um Macht und Ge­winn bil­den die Es­senz die­ses Ro­mans son­dern das Per­sön­li­che. Wie füg­te sich die zwar durch­set­zungs­fä­hi­ge, aber un­er­fah­re­ne Frau in die Ge­folg­schaft des Kai­sers? Wie er­trug sie Ma­ni­pu­la­ti­on, Lie­be und Leid?

Die­se Rol­len als Ge­lieb­te und als Mut­ter sind ty­pi­sche Frau­en­bil­der, die Kempff ihr je­doch in ei­ner viel zu eman­zi­pier­ten Wei­se auf den Leib schreibt. Das stört mich und das emp­fin­de ich als ahis­to­risch. Trotz al­ler Quel­len kön­nen wir nicht wis­sen, wie es da­mals zu­ge­gan­gen ist in den Kam­mern und Zel­ten des Pa­la­ti­ums. Aber Frau­en des frü­hen Mit­tel­al­ters, die wie toug­he Ver­tre­te­rin­nen der Ge­ne­ra­ti­on Face­book auf­tre­ten, wir­ken un­glaub­wür­dig. Das ist oft das größ­te Man­ko des His­to­ri­schen Ro­mans, des­sen Fans ger­ne die gu­te Re­cher­che ih­rer Au­toren anführen.

Die­se Au­torin hält sich an die Fak­ten aus Wi­ki­pe­dia und der äl­te­ren Se­kun­där­li­te­ra­tur, die sie als „Quel­len“ auf­führt. Ei­ne der pri­mä­ren Quel­len, der bio­gra­phi­sche Be­richt ei­nes an­ony­men Ver­fas­sers, des so­ge­nann­ten As­tro­no­mus, in­spi­rier­te sie wohl je­dem Ro­man­ka­pi­tel ei­ne Chro­nik vor­an­zu­stel­len. Die­se um­fasst die Er­eig­nis­se ei­ner an­ge­ge­be­nen Zeit­span­ne und setzt so das Ge­sche­hen in ei­nen his­to­ri­schen Zu­sam­men­hang. Ver­fas­se­rin die­ser auf mit­tel­alt ge­mach­ten, aber doch mit mo­der­nen Be­grif­fen aus­ge­stat­te­ten Chro­nik ist ei­ne eben­falls an­ony­me As­tro­no­ma ali­as Mar­ti­na Kempff.

Doch was will mir die­ses Buch ver­mit­teln? Le­se ich es um mich der his­to­ri­schen Epo­che an­zu­nä­hern? Dem Le­bens­ge­fühl „Mit­tel­al­ter“, oder bes­ser dem, was man land­läu­fig dar­un­ter ver­steht dank der Hor­den ost­eu­ro­päi­scher Schau­spiel­sta­tis­ten un­ter der Fan­ta­sie ei­nes ge­wis­sen Fernsehhistorikers?

Für mein Emp­fin­den blei­ben die Per­so­nen des Ro­mans selt­sam blass, sie durch­le­ben kaum ei­ne Ent­wick­lung und die­nen nur als Fi­gu­ren um die Il­lus­tra­ti­on des Mit­tel­al­ters zu be­völ­kern. Mich ha­ben sie kalt ge­las­sen, so kalt wie zu­ge­fro­re­ne Tei­che, in die sie äu­ßerst ger­ne auf me­ta­pho­ri­sche Wei­se blicken.

Wem die­ser Ro­man ge­fal­len hat, mag noch „Die Beu­te­frau“ le­sen, der das Le­ben Gerswinds und da­mit die An­fän­ge der Ka­ro­lin­ger­herr­schaft schildert.

Wer wis­sen möch­te, war­um Karl der Kah­le wirk­lich so hieß, bli­cke in „War Karl der Kah­le wirk­lich kahl?“ von Rein­hard Lebe.

Wer sich his­to­risch für die­se Zeit in­ter­es­siert, dem sei die Bio­gra­phie „Lud­wig, der From­me“ des His­to­ri­kers Egon Bos­hof emp­foh­len. Sie setzt sich kri­tisch, aber gut les­bar mit den zur Ver­fü­gung ste­hen­den Quel­len und For­schun­gen zu die­sem Ka­ro­lin­ger aus­ein­an­der. Ga­ran­tiert gut recherchiert.

Wer lie­ber hö­ren und se­hen und nicht le­sen möch­te, der sei auf die „Ein­füh­rungs­vor­le­sung Mit­tel­al­ter“ von Stuart Jenks ver­wie­sen, die die­ser an der Uni­ver­si­tät Er­lan­gen-Nürn­berg ge­hal­ten hat. Sie ist in der Me­dia­thek der Uni­ver­si­tät als Au­dio- und Vi­deo­down­load abrufbar.

Jenks be­rich­tet fun­diert und kurz­wei­lig von der bun­ten Viel­falt der an­geb­lich so dunk­len Zei­ten und zieht zu­dem Ver­glei­che zu äu­ßerst mo­der­nen Vor­komm­nis­sen, sei­en es Ban­ken- oder Fußballkrisen.

Mar­ti­na Kempff, Die Wel­fen­kai­se­rin, Pi­per Ver­lag, 2009

Zen oder die Kunst sich schweigend zu verlieben

Prolog

Um es vor­weg zu sa­gen, die­ser Au­tor be­glei­tet schon seit lan­gem mein Le­se­le­ben. Die Be­kannt­schaft be­gann mit der rö­mi­schen Goe­the-His­to­rie „Faus­ti­nas Küs­se“. Es folg­ten die üb­ri­gen die­ser Tri­lo­gie, „Die Nacht des Don Ju­an“ und „Im Licht der La­gu­ne“. Bis auf we­ni­ge Aus­nah­men ha­be ich auch an­de­re al­te und neue Bü­cher Ort­heils ge­le­sen. So auch nach „Die gro­ße Lie­be“ und „Das Ver­lan­gen nach Lie­be“ den letz­ten Band sei­ner Lie­bes­tri­lo­gie „Lie­bes­nä­he“.

Fast eben­so­lan­ge stellt sich mir die Fra­ge, was mir an sei­nen Bü­chern denn nun so ge­fällt. Si­cher ist es die Lie­be zu Ita­li­en, viel­leicht auch ei­ne ge­wis­se ro­man­ti­sche Me­lan­cho­lie. Bis­her war ich, ab­ge­se­hen von ei­ni­gen Ei­tel­kei­ten des er­wach­se­nen Jo­han­nes in „Die Er­fin­dung des Le­bens“ und von stär­ke­ren Ar­ro­gan­zen in Ort­heils Rom­füh­rer im­mer an­ge­nehm angetan.

Sich schweigend verlieben als Performance

Wer ist die­se Schwim­me­rin“ mit die­sem No­tat läu­tet Hanns-Jo­sef Ort­heil ein, was der Ti­tel sei­nes neu­en Ro­mans „Lie­bes­nä­he“ be­reits vor­weg nimmt.

Be­hut­sam ent­wi­ckelt der Au­tor die An­nä­he­rung zwei­er sich zu­nächst un­be­kann­ter Ein­zel­gän­ger, die an­schei­nend zu­fäl­lig im all­tags­fer­nen Mi­lieu ei­nes ein­sam ge­le­ge­nen Lu­xus­ho­tels ein­an­der be­mer­ken. Der Schrift­stel­ler Jo­han­nes Kirch­ner und die In­stal­la­ti­ons-Künst­le­rin Ju­le Dan­ner ver­mei­den zu­nächst di­rek­te Be­geg­nun­gen und be­vor­zu­gen sich aus der Di­stanz zu ent­de­cken. Klei­ne Bot­schaf­ten, die Ah­nun­gen be­stä­ti­gen, ge­hen tra­di­tio­nell als Zet­tel oder mo­dern als SMS hin und her und füh­ren schließ­lich zum Ge­gen­über. Die­se Be­we­gun­gen auf­ein­an­der zu wer­den äu­ßerst vor­sich­tig aus­ge­führt, ein kunst­vol­ler Balz­tanz, des­sen Cho­reo­gra­fie mal den In­sze­nie­run­gen der Vi­deo­künst­le­rin mal den Ein­fäl­len des Schrift­stel­lers folgt.

Nur ei­nes fin­det nie­mals statt, das ge­spro­che­ne Wort. Die­ses rich­ten bei­de je­weils se­pa­rat an Ka­tha­ri­na, die die klei­ne Buch­hand­lung des Ho­tels führt. Sie be­rät ih­re Kun­den nach de­ren Be­find­lich­keit und führt au­ßer die­ser Li­te­ra­tur­the­ra­pie nur Bü­cher im Sor­ti­ment, die ihr per­sön­lich gut ge­fal­len. Sie un­ter­hält zu Bei­den ei­ne ganz be­son­de­re Be­zie­hung, man könn­te sie als müt­ter­li­che Freun­din be­zeich­nen. Die De­tails der Per­so­nen­kon­stel­la­ti­on of­fen­bart der Au­tor erst nach und nach lang­sam vor­an­schrei­tend wie in ei­ner Zen-Me­di­ta­ti­on. Über­haupt gibt es viel Ja­pa­ni­sches. Li­te­ra­ri­sche In­spi­ra­ti­on bie­tet das Kopf­kis­sen­buch der Sei Shō­na­gon. Ja­pa­ni­sche Trom­meln und Bam­bus­flö­ten, Ki­mo­no, Tu­sche und Tee er­gän­zen das Ambiente.

Als wech­sel­sei­ti­ge Sicht sei­ner bei­den Haupt­per­so­nen kom­po­niert Ort­heil sei­nen Ro­man. Mal kom­men­tiert Jo­han­nes, mal Ju­le ihr auf­ein­an­der Zu­ge­hen. Das so zwei­mal das Glei­che aus dem je­weils an­de­ren Blick­win­kel er­zählt wird, macht den Reiz der Idee aus. Wenn je­doch Er­eig­nis­se wie die be­rühm­te Per­for­mance der Künst­le­rin Ma­ri­na Abra­mo­vić, die als Vor­la­ge für ei­ne Be­geg­nung dient, dem Le­ser  mehr­fach er­klärt wer­den, wirkt dies redundant.

Was ich an diesem Buch sehr mag:

Wie Hanns-Jo­sef Ort­heil ge­naue Wahr­neh­mung und Be­schrei­bung in Sät­ze ver­wan­delt. Er be­herrscht die­se Fä­hig­keit so gut, daß der Le­ser sich so­fort in das Am­bi­en­te sei­ner Ro­ma­ne hin­ein­ver­setzt fühlt. Land­schaf­ten und Räu­me, Na­tur und In­te­ri­eur, Gau­men- und Le­se­freu­den stellt er auf die­se Wei­se zum un­mit­tel­ba­ren Nach­voll­zug dar.

Wie rück­sichts­voll die Per­so­nen mit­ein­an­der um­ge­hen und wie em­pa­thisch Ort­heil Ge­füh­le zu schil­dern vermag.

Wie er die Lust und die In­spi­ra­tons­kraft von ein­sa­men Spa­zier­gän­gen dar­stellt. Be­we­gung be­wegt auch den Geist. Das mit sich Al­lein­sein lässt Raum für Kreativität.

Wie Na­tur und Kunst in ih­ren ver­schie­de­nen For­men mit­ein­an­der in Ein­klang ge­bracht werden.

Was ich an diesem Buch überhaupt nicht mag:

Wie die Wahl des Mi­lieus das Ge­sche­hen weit über das nor­ma­le Le­ben hebt, ein es­ka­pis­ti­scher Wun­der­ort in­mit­ten saf­tig grü­ner Al­men, wo so­gar Toast­brot­schei­ben stun­den­lang frisch ge­rös­tet bleiben.

Wie da­durch das Schloss­ho­tel El­mau, un­ver­kenn­ba­res Vor­bild die­ses Pa­ra­die­ses, als ein Ort ir­di­scher Ver­hei­ßun­gen be­wor­ben wird.

Wie die Rol­len­ebe­nen ge­wahrt wer­den. Die Künst­ler blei­ben welt­fern. Die Ho­tel­an­ge­stell­ten die­nen als gu­te Geis­ter und wer­den von oben her­ab cha­rak­te­ri­siert. Die üb­ri­gen Gäs­te sind läs­ti­ge Ge­räusch­ku­lis­se. Ka­tha­ri­na ver­mit­telt zwi­schen al­len und die jun­ge Emp­fangs­da­me des Ho­tels seufzt der gro­ßen Künst­ler­lie­be in frem­den La­ken nach.

Wie bei man­chen Be­schrei­bun­gen doch des Gu­ten zu viel ge­bo­ten wird. Der star­ke, gel­be Urin­strahl zählt nicht zu den Din­gen, von de­nen ich ger­ne le­sen möchte.

Wie der Le­ser be­lehrt wird über die rich­ti­ge Art Sekt zu trin­ken (Was­ser­glas), au­then­tisch Cam­pa­ri zu ge­nie­ßen (oh­ne Eis, da­für rand­voll), über gu­te Würs­te (ins­be­son­de­re die Milz­wurst), über das rich­ti­ge Früh­stück, rich­ti­ges Spei­sen, den rich­ti­gen Zeit­punkt zu ar­bei­ten und mehr.

Wie der Au­tor sein Buch­kon­zept er­klärt „ei­ne ero­ti­sche und bei­na­he un­er­träg­li­che Span­nung, die auf ei­ner streng ein­ge­hal­te­nen Di­stanz der bei­den Lie­ben­den ba­siert“ (S. 129).

Fazit

We­ni­ger Ei­tel­keit wä­re mir lie­ber ge­we­sen und auch mehr Acht­sam­keit. Da­mit nicht aus blon­dem Haar mit ro­ten Spit­zen am En­de blon­des Haar mit ro­ten An­sät­zen wird, und aus ei­nem hell­grü­nen Ba­de­man­tel in­ner­halb von drei Sei­ten ein dunkelgrüner.

So weit, so gut. Viel­leicht kommt ja noch­mal ein Ro­man wie „He­cke“ oder „Mo­sel­rei­se“ oder et­was Historisches.

Rät­sel­haft bleibt mir zu­letzt noch die Ab­bil­dung auf dem Schutz­um­schlag. Die dun­kel­haa­ri­ge Schö­ne kann we­der die blon­de Ju­le noch die ja­pa­ni­sche Hof­da­me sein.

Wer ist die Dargestellte?

 

 

Obelix lernt lieben

Marie-Sabine Roger schildert in „Das Labyrinth der Wörter” eine rosarote Bildungserweckung

Ger­main, ein gut in­te­grier­ter Bil­dungs­be­nach­tei­lig­ter, vul­go Dorf­trot­tel, kommt zu­recht in sei­ner klei­nen Welt. Die­se be­steht aus sel­te­nen To­ma­ten­sor­ten, ei­nem Wohn­wa­gen, ei­ner her­ri­schen Mut­ter, ei­ner Ge­le­gen­heits­ge­lieb­ten und di­ver­sen Knei­pen­kum­peln. Dass Ger­main nicht ganz bei Trost ist, merkt man spä­tes­tens bei des­sen un­ab­läs­si­gem Ver­such sei­nen Na­men auf dem Krie­ger­denk­mal zu ver­ewi­gen. Ei­nes Ta­ges trifft er beim Tau­ben­zäh­len im Park Mar­gue­rit­te, ei­ne net­te Al­te, die mit ihm ein Er­zie­hungs­expe­ri­ment sta­tu­ie­ren möchte.

Oh­ne den hier und da auf­blit­zen­den fran­zö­si­schen Charme hät­te ich es wohl nicht über die ers­te CD der Hör­buch­ver­si­on die­ses päd­ago­gi­schen Mär­chens hin­aus ge­schafft. Als die Lek­tü­ren ins Spiel ka­men wur­de es et­was in­ter­es­san­ter. Viel­leicht soll­te man sei­ne Zeit eher mit die­sen zu­brin­gen. Ge­le­sen wur­de au­ßer Die Pest von Ca­mus; Ju­les Su­per­viel­le, Das Kind vom ho­hen Meer; Lou­is Sepúl­ve­da, Der Al­te, der Lie­bes­ro­ma­ne las und Ro­main Ga­ry, Frü­hes Ver­spre­chen. Wenn Ro­gers Buch da­zu ani­mie­ren soll­te die Pest oder viel­leicht ei­nes der an­de­ren Bü­cher zu le­sen, hat es doch ei­nen Sinn ge­habt. An­sons­ten fand ich sie ziem­lich ro­sa­rot, die­se Piep-piep-piep-ich-hab-euch-al­le-lieb-Li­te­ra­tur, die zu­dem noch je­de Men­ge frau­en­feind­li­che An­sich­ten transportiert.

Mein größ­ter Spaß wäh­rend des Hö­rens war, ab­ge­se­hen da­von, daß ich ne­ben­bei Fens­ter put­zen durf­te, die so­for­ti­ge As­so­zia­ti­on dem gu­ten, al­ten Obe­lix zu lau­schen. Ist Ste­phan Ben­son, der das Hör­buch ein­ge­le­sen hat, tat­säch­lich der deut­sche Syn­chron­spre­cher von Gé­rard De­par­dieu oder wur­de ich durch die Film­pla­ka­te manipuliert?

Für mich ist es von An­fang an Obe­lix, der sei­ne Bil­dungs­ge­schich­te er­zählt. Dass er sich „Obe­lix lernt lie­ben“ weiterlesen

LOVOS in der Jurte — Manufacere versus Intellegere

Birgit Vanderbeke lobt in ihrem Roman „Das lässt sich ändern” das einfache Leben

Ich hab nix, und du hast nix, lass uns was draus ma­chen.“-Ton, Stei­ne, Scherben

Wer fei­ge ist hat Mut, nur was bil­lig scheint, ist gut.“ ‑Die Ärzte

Dei­ne Sehn­sucht hat jetzt Sinn, nimm sie mit, du weißt, wo­hin.“ –Ton, Stei­ne, Scherben

Und noch mehr die­ser un­säg­li­chen Rei­me, die einst die Müs­li­bar­den dich­te­ten, drän­gen sich auf den knapp 150 Sei­ten des neu­en Ro­mans von Bir­git Van­der­be­ke. Er spielt in den frü­hen Acht­zi­gern, als sie be­gann, die Re­nais­sance der gu­ten, ein­fa­chen Din­ge, und er er­zählt die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen ei­nem LOVOS und ei­ner Stu­den­tin, die sich nach der Re­pa­ra­tur ei­nes ver­stopf­ten Wasch­be­ckens zum be­wuss­ten Le­ben be­keh­ren lässt. Ein biss­chen viel Alt-68­zi­ger und 80ziger Jah­re Flo­ka­tis­ten mu­tet Van­der­be­ke ih­rer Le­se­rin zu. Gut­men­schen, die die wah­ren Wer­te auf dem Floh­markt fin­den, La­ger von viel­leicht LOVOS in der Jur­te — Ma­nu­face­re ver­sus In­tel­le­ge­re“ weiterlesen

Man hört nur mit den Ohren gut

Tausendundeine birmanische Erbaulichkeit serviert von Jan-Philipp Sendker — Literaturkreis 2/2011

Ich dach­te ja schon al­les hin­ter mir zu ha­ben seit den einst im Fran­zö­sisch­un­ter­richt zwangs­wei­se ver­ord­ne­ten Weis­hei­ten ei­nes ge­wis­sen klei­nen Prin­zen und den Nai­vi­tä­ten ei­nes be­zopf­ten Best­sel­le­re­so­te­ri­kers. Aber, so wür­den mir die Adep­ten die­ser Ver­kün­der zu­ru­fen, die Prü­fun­gen hö­ren nie­mals auf! Folg­lich er­war­te­te mich im ak­tu­el­len Buch un­se­res Li­te­ra­tur­krei­ses ei­ne neue Her­aus­for­de­rung. „Das Her­zen­hö­ren“, die­ser Ti­tel klang in mei­nen Oh­ren be­reits ver­däch­tig rühr­se­lig, auch das hell­blau apri­cot­far­be­ne, ei­ne ge­wis­se Süß­lich­keit aus­strah­len­de Co­ver und der ali­te­ra­ri­sche Gold­mann-Ver­lag tru­gen nicht ge­ra­de er­heb­lich zur Zu­ver­sicht bei.

Der Klap­pen­text kün­digt ei­ne Ge­schich­te vol­ler Wun­der und Weis­hei­ten an, die Su­che nach der Ver­gan­gen­heit des Va­ters und dem Ge­heim­nis der ewi­gen Lie­be. Die­ses Ge­heim­nis trägt als Span­nungs­bo­gen die ge­sam­te Handlung.

Ein äl­te­rer Mann bir­ma­ni­scher Her­kunft ver­schwin­det aus sei­ner ge­si­cher­ten „Man hört nur mit den Oh­ren gut“ weiterlesen

Möbiusband-Manufaktur

Literarische Nähanleitungen in María Cecilia Barbettas Roman „Änderungsschneiderei Los Milagros” — Literaturkreis 11/2010

Tan­ten, Müt­ter, Schwes­tern und Töch­ter, jun­ge Hüh­ner, al­te Schach­teln nä­hen gel­be, wei­ße, grü­ne, ocker­far­be­ne, vio­let­te, blaue, ro­te, him­mel­blaue Baum­wol­le, Ga­bar­di­ne, Fall­schirm­sei­de, Taft, Lei­nen zu Hoch­zeits­klei­dern, Hoch­zeits­schlei­ern, Hoch­zeits­schlep­pen, Hoch­zeits­hand­schu­hen, tref­fen Hoch­zeits­vor­be­rei­tun­gen, ha­ben Hoch­zeits­pa­ra­noia, um­schwärmt von Schmet­ter­lin­gen, Ka­ker­la­ken, Flie­gen, Amei­sen, Glüh­würm­chen und na­tür­lich von Män­nern, Ma­chos, Ge­lieb­ten, Ker­len, Ty­pen, Ver­füh­rern, Vä­tern und Ehe­män­nern, trin­ken sie hei­ße Scho­ko­la­de, hei­ße Milch, hei­ßen Tee und es­sen Scho­ko­la­den­kek­se mit Scho­ko­la­den­über­zug und Ka­ra­mell­fül­lung und mer­ken erst am Schluss, dass sie be­tro­gen, ver­schau­kelt, be­lo­gen und ver­gack­ei­ert wurden.

Wer der­ar­ti­ge Auf­zäh­lun­gen mag, der soll­te zu die­sem Buch grei­fen. Sei­ne Au­torin liebt die­ses Stil­mit­tel min­des­tens ge­nau­so wie die li­te­ra­ri­sche Selbst­re­fe­renz, wel­che sich „Mö­bi­us­band-Ma­nu­fak­tur“ weiterlesen

Die Beute der Bücherdiebin

Was hat es nun mit den „ge­stoh­le­nen” Bü­chern auf sich?

We­nig fin­det sich  dar­über auf deutsch­spra­chi­gen Sei­ten. Selbst Wi­ki­pe­dia ist nicht ganz kor­rekt in der Auf­zäh­lung. Das ein oder an­de­re De­tail mag auch mir durch die Lap­pen ge­gan­gen sein. Wenn dies so ist, mel­det Euch.

Hier nun ei­ne Auf­stel­lung der Bü­cher, die im Lau­fe des Ro­mans in Lie­sels Be­sitz ge­lan­gen. Sei­en sie nun ge­fun­den, aus dem Feu­er ge­ret­tet, ge­schenkt oder tat­säch­lich ent­wen­det. Ei­ne kor­rek­te bi­blio­gra­phi­sche Er­fas­sung ist man­gels An­ga­ben lei­der nicht mög­lich. Das macht aber nichts, die Bü­cher sind fast al­le fiktiv.

1. Am 13.Januar 1939 fin­det Lie­sel nach dem Be­gräb­nis ih­res Bru­ders auf ei­nem Münch­ner Fried­hof das Hand­buch für To­ten­grä­ber. Es trägt den Un­ter­ti­tel In zwölf Schrit­ten zum Er­folg. Wie man ein gu­ter To­ten­grä­ber wird. Her­aus­ge­ge­ben von der Baye­ri­schen Fried­hofs­ver­wal­tung und er­weist sich so­mit als Ana­chro­nis­mus. Ei­ne Fried­hofs­ver­ord­nung in Ge­stalt ei­nes Kar­rie­re­rat­ge­bers des 20. Jahr­hun­derts, der ei­nem To­ten­grä­ber­lehr­ling an­no 1939 aus der Ta­sche fällt? „Die Beu­te der Bü­cher­die­bin“ weiterlesen

Markus Zusak, Die Bücherdiebin

Ausgewählt von meinem örtlichen Lesekreis las nun auch ich den Bestseller Die Bücherdiebin.

Die Ge­schich­te ei­nes Bü­cher steh­len­den Mäd­chens wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges in Deutsch­land weck­te ganz be­stimm­te Er­war­tun­gen in mir. Ich stell­te mir vor, daß die Bü­cher zum Über­le­bens­mit­tel wer­den, um die­se Zeit der Dik­ta­tur, des Krie­ges, der Ver­fol­gung, der Not und des Hun­gers zu über­ste­hen. Ich er­war­te­te, daß der Au­tor von den In­hal­ten der Bü­cher und von ih­ren Wir­kun­gen erzählt.

Dass der Er­zäh­ler der Ge­schich­te Ge­vat­ter Tod per­sön­lich ist, hat bei mir le­dig­lich un­spe­zi­fi­sche Fan­ta­sy­as­so­zia­tio­nen her­vor­ge­ru­fen. Ins­ge­samt war die­ser Tod eben kein „Meis­ter aus Deutsch­land”, son­dern eher ein Herr oh­ne Hut.

Wer ist ei­gent­lich das Pu­bli­kum die­ser Er­zähl­fi­gur? Die­se Fra­ge hat sich für mich nicht ge­klärt. „Mar­kus Zu­sak, Die Bü­cher­die­bin“ weiterlesen