„Die Welfenkaiserin“ – Martina Kempffs mittelalterliche Frauenpower
Uuaaaahhhh, zu Beginn hat’s mich ganz gewaltig gegraust. Nicht vor der immer noch als finsteres Mittelalter in den Köpfen herumschwirrenden Epoche, sondern vor dem Historischen Roman, der letzten Leseaufgabe unseres Literatur-Kreises.
Mit der Welfenkaiserin sollte ich nun also ins frühe Mittelalter hinabtauchen genauer an den Hof des Karolingers Ludwigs I., genannt der Fromme. Mir schwante nichts Gutes. Eingeschlagene Köpfe, vergewaltigte Frauen, totgeborene Kinder, meist in dieser Chronologie, aufgelockert von expliziten Gräueltaten und deftigen Sexszenen, sind das Holz aus dem Historische Romane geschnitzt sind. So die Einsichten, die mich längst zurück liegende Leseerfahrungen lehrten. Die Titelgebung weckt zudem Reminiszenzen an Bücher, von denen ich eigentlich überhaupt nichts wissen will.
Nun denn, es ward bestellt und aufgeblättert. Dies jedoch nicht auf der ersten Seite, sondern an einer Stelle, die der Verlag mir markiert hatte. Genau zwischen Seite 116 und 117 lag das als Postkarte getarnte Zeichen an die vorurteilsreiche Historikerin.
„Sprachlos blickte der Kaiser auf die nackt vor ihm stehende Frau. Nicht einmal der Schreck über den hohen Leib verhinderte das sofortige Einsetzen seiner Begierde.“
Sprachlos auch ich, Wunder und Zeichen in einem Mittelalterroman, wer hätte das gedacht.
Auch im weiteren Verlauf lagen die Leiber hie und da beieinander, doch die anderen Erscheinungen blieben weitgehend aus. Köpfe wurden diskret abgeschlagen, Folterreien nebenher erledigt, Vergewaltigungen sofort wieder vergessen und schwere Geburten fanden hinter verschlossenen Türen statt. Uffa!
Martina Kempff stellt Judith, die Tochter des Grafen Welf aus dem schwäbischen Altdorf, in den Mittelpunkt ihres Romans. Sie zeichnet das Leben der angehenden Kaiserin von der Brautschau bis zu ihrem Tod. Eine Welfenkaiserin war und wurde sie allerdings nicht, sondern eine Frankenkaiserin oder bestenfalls Karolingerkaiserin. Die Frauengestalten stehen in diesem Roman im Vordergrund. Die politischen Zeitläufte, Ludwigs Ringen um die Einheit des von Karl dem Großen auf ihn gekommenen Großreiches, Verwaltungsreformen und Erbfolgeregelungen eingeschlossen, bilden das Gerüst. In dieses bettet Kempff das Schicksal der jungen, schönen aber oft viel zu modern wirkenden Kaiserin. Nicht die Intrigen um Macht und Gewinn bilden die Essenz dieses Romans sondern das Persönliche. Wie fügte sich die zwar durchsetzungsfähige, aber unerfahrene Frau in die Gefolgschaft des Kaisers? Wie ertrug sie Manipulation, Liebe und Leid?
Diese Rollen als Geliebte und als Mutter sind typische Frauenbilder, die Kempff ihr jedoch in einer viel zu emanzipierten Weise auf den Leib schreibt. Das stört mich und das empfinde ich als ahistorisch. Trotz aller Quellen können wir nicht wissen, wie es damals zugegangen ist in den Kammern und Zelten des Palatiums. Aber Frauen des frühen Mittelalters, die wie toughe Vertreterinnen der Generation Facebook auftreten, wirken unglaubwürdig. Das ist oft das größte Manko des Historischen Romans, dessen Fans gerne die gute Recherche ihrer Autoren anführen.
Diese Autorin hält sich an die Fakten aus Wikipedia und der älteren Sekundärliteratur, die sie als „Quellen“ aufführt. Eine der primären Quellen, der biographische Bericht eines anonymen Verfassers, des sogenannten Astronomus, inspirierte sie wohl jedem Romankapitel eine Chronik voranzustellen. Diese umfasst die Ereignisse einer angegebenen Zeitspanne und setzt so das Geschehen in einen historischen Zusammenhang. Verfasserin dieser auf mittelalt gemachten, aber doch mit modernen Begriffen ausgestatteten Chronik ist eine ebenfalls anonyme Astronoma alias Martina Kempff.
Doch was will mir dieses Buch vermitteln? Lese ich es um mich der historischen Epoche anzunähern? Dem Lebensgefühl „Mittelalter“, oder besser dem, was man landläufig darunter versteht dank der Horden osteuropäischer Schauspielstatisten unter der Fantasie eines gewissen Fernsehhistorikers?
Für mein Empfinden bleiben die Personen des Romans seltsam blass, sie durchleben kaum eine Entwicklung und dienen nur als Figuren um die Illustration des Mittelalters zu bevölkern. Mich haben sie kalt gelassen, so kalt wie zugefrorene Teiche, in die sie äußerst gerne auf metaphorische Weise blicken.
Wem dieser Roman gefallen hat, mag noch „Die Beutefrau“ lesen, der das Leben Gerswinds und damit die Anfänge der Karolingerherrschaft schildert.
Wer wissen möchte, warum Karl der Kahle wirklich so hieß, blicke in „War Karl der Kahle wirklich kahl?“ von Reinhard Lebe.
Wer sich historisch für diese Zeit interessiert, dem sei die Biographie „Ludwig, der Fromme“ des Historikers Egon Boshof empfohlen. Sie setzt sich kritisch, aber gut lesbar mit den zur Verfügung stehenden Quellen und Forschungen zu diesem Karolinger auseinander. Garantiert gut recherchiert.
Wer lieber hören und sehen und nicht lesen möchte, der sei auf die „Einführungsvorlesung Mittelalter“ von Stuart Jenks verwiesen, die dieser an der Universität Erlangen-Nürnberg gehalten hat. Sie ist in der Mediathek der Universität als Audio- und Videodownload abrufbar.
Jenks berichtet fundiert und kurzweilig von der bunten Vielfalt der angeblich so dunklen Zeiten und zieht zudem Vergleiche zu äußerst modernen Vorkommnissen, seien es Banken- oder Fußballkrisen.
Martina Kempff, Die Welfenkaiserin, Piper Verlag, 2009
Liebe Atalante
Mir geht es wie dir, ich mach immer einen grossen Bogen um das Genre des historischen Romans. Stehe ich dann wieder einmal vor einer Burg, wo ich auf Tafeln nachlesen kann, was vor fünfhundert Jahren alles abgegangen ist, interessiert mich das brennend. Aber eben, echte Geschichte und nicht unbedingt als Roman. Doch wie es viele Mitmenschen gibt, die in ihrer Freizeit in Kostüme des Mittelalters hüpfen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich finde, es war eine schreckliche und düstere Zeit und überhaupt nicht nachahmenswert.
Danke für die diversen Hinweise.
LG buechermaniac
Liebe Büchermaniac,
schrecklich und düster mag es aus heutiger Sicht wirken, vor allem bei Zahnschmerzen und Schlimmeren. Andererseits wären wir ohne diese Epoche nicht das, was wir sind. Ob man dazu jedoch heute in Gemeinschaftszubern baden muss oder von Päpstinnen oder Wanderhuren fabulieren sollte, sei dahin gestellt.
Freundliche Grüße,
Atalante