Literarische Nähanleitungen in María Cecilia Barbettas Roman „Änderungsschneiderei Los Milagros” — Literaturkreis 11/2010
Tanten, Mütter, Schwestern und Töchter, junge Hühner, alte Schachteln nähen gelbe, weiße, grüne, ockerfarbene, violette, blaue, rote, himmelblaue Baumwolle, Gabardine, Fallschirmseide, Taft, Leinen zu Hochzeitskleidern, Hochzeitsschleiern, Hochzeitsschleppen, Hochzeitshandschuhen, treffen Hochzeitsvorbereitungen, haben Hochzeitsparanoia, umschwärmt von Schmetterlingen, Kakerlaken, Fliegen, Ameisen, Glühwürmchen und natürlich von Männern, Machos, Geliebten, Kerlen, Typen, Verführern, Vätern und Ehemännern, trinken sie heiße Schokolade, heiße Milch, heißen Tee und essen Schokoladenkekse mit Schokoladenüberzug und Karamellfüllung und merken erst am Schluss, dass sie betrogen, verschaukelt, belogen und vergackeiert wurden.
Wer derartige Aufzählungen mag, der sollte zu diesem Buch greifen. Seine Autorin liebt dieses Stilmittel mindestens genauso wie die literarische Selbstreferenz, welche sich in Wiederholung ganzer Textpassagen zeigt. Das Möbiusband taucht nicht nur als Stilmittel auf, sondern wird zudem mehrmals direkt ins Geschehen eingeflochten. Auch wenn ich mich frage, wie denn eine harmlose Fußspur sich zu einem solchen verbiegen kann, ist der Wink mit dem großen Zaunpfosten unmissverständlich. Er wird gerne hinterm Schuppen hervorgeholt, der Zaunpfahl, ebenso wie renommierte Vertreter der Weltliteratur. Das Resultat ist eine farbenfrohe Konstruktion der altbekannten Girl-in-Love-Story, mit zahlreichen Wortspielereien und Tricks aus der Zauberwerkstatt des Schreibseminars gewürzt. Leider hapert es manchmal mit der Logik, wenn zum Beispiel 33 weiße Stoffproben zwei Seiten zuvor als bunte Stoffschlängelchen aus der goldenen Tasche ragen.
Aufpassen muss der Leser, denn die Zeiten gehen stets hin und her, von einer durchgehenden Chronologie keine Spur. Das muss auch nicht sein und wer ein bißchen verwirrt sein sollte, den vermögen vielleicht die Bilder nach und zu den Kapiteln darüber hinweg trösten.
Ich jedenfalls fühlte mich sofort besänftigt beim Anblick der Artemis von Versailles. Auf welcher Jagd die schöne Kühle sich befand, ob gar zur Kammerjägerin deklassiert oder doch irgendwelche Hybris rächend, das wird mir auf immer ein Rätsel bleiben.
Denn, ich gestehe, auf S. 302 habe ich nicht weiter lesen wollen, zitierte halbwahre Wikipedia Weisheiten zum römischen Thermenwesen inklusive des falschen Genus bei Strigilis, ließen meinen Geduldsfaden reißen.
Dieses Pasticcio aus Literatur, Typographie, Zitaten und Abbildungen ist eindeutig kein Buch für mich.
Und wie ging es Euch mit dem Buch? Was hat Euch gefallen, was mir entgangen ist ?