Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt – Dritter Nachmittag, 7.7.2012
Leopold Federmair, literarischer Übersetzter und seit 2006 in Hiroshima lebend, eröffnete den Nachmittag des letzten Tages mit dem Text „Aki”. Vorgeschlagen wurde der Kandidat von Daniela Strigl. Federmair verblüffte durch die Ankündigung den mittleren Absatz auf Seite neun auszulassen. Weisungsgemäß habe ich mich des Lesens enthalten. Es gab schon genug fruchtige Geschlechtsteile in diesem pubertären Aknetext, der mich bei jeder Nahaufnahme zu einem Blick auf Federmairs Gesicht zwang. Bob Dylan hat’s nicht leichter gemacht. Während der Juryrunde filmte Federmair diese mit einer kleinen Digitalkamera. Das wirkte auf mich wie verschämtes Fanverhalten. Sollte es eine provokative Performance werden, wäre ein großer Camcorder doch viel wirkungsvoller gewesen.
Also eine weitere Coming-of-Age-Geschichte, beginnt Winkels, betont einfach.
Nicht gelungen, findet sie Meike Feßmann, weil sie durch die Maske einer weiblichen Erzählerin geschildert werde. Diese Tarnfigur, die die Geschichte sprenge, könne nicht über männliches Körperwissen verfügen.
Auf die Kellersche Nacherzählung folgte die Frage nach dem Erzählmotiv der Figur. Verschiedenes funktioniere nicht so ganz, aber die Sprache mit ihren poetischen Beschreibungen und wunderbaren Passagen gefällt Keller gut. Sie zweifelt allerdings, ob das zu einer Kellnerin passe.
Spinnen verbietet, Genderprobleme bei Erzählerstimmen anzumelden und erinnert sich an die irren Typen bei Kerouac und in seiner Jugend.
Dass es durchaus erzählende Kellnerinnen gebe, die dies sogar sehr interessant könnten, darüber klärt Daniela Strigl auf. Ihr gefällt die vergiftete Nostalgie dieser Geschichte, die so schlecht rieche und stark über die sinnliche Ebene arbeitete.
Feßmann argumentiert abermals mit dem unlogischen Körperwissen.
Dies sei, so Jandl, die Geschichte eines Spannungsabfalls, traurig und mit zu wenig Dramatik.
Caduff spricht endlich den performativen Akt des Autors an. Sie gesteht sich eine neutrale Haltung zu, da sie anfangs von einer japanischen Geschichte ausging, und diese Fehlinterpretation nicht mehr aus dem Kopf bekäme.
Wieder einmal holt Spinnen weit aus bevor er zum Text kam. Die letzten Zeilen gefallen ihm gut, sie bersten vor Bedeutung, im übrigen Text hingegen gebe es zu viele Leerstellen.
Strigl wendet ein, dies suggeriere den mündlichen Erzählton der Figur, was auch die vielen Redundanzen zeigen.
Nach Jandl sei der junge Mann nicht mit Talent, sondern mit Akne geschlagen. Das sei kein Irrer-Typen-Text, wie Spinnen meine, er spiele im Provinzmilieu, weit weg von Kerouac.
Feßmann konstatiert, diese Kindheitsgeschichte reiße alle nicht vom Hocker. Sie hatte, aufgrund der Auslandserfahrung des Autors, etwas ganz erwartet, ähnlich sei es ihr bei Moster ergangen. Die etwas abgestandenen heimatlichen Erinnerungen finde sie langweilig.
Daraufhin kritisiert Strigl, Feßmann wolle erklären, was sich der Autor gedacht habe. Außerdem sei eine stickige japanische Kindheit kaum interessanter als eine stickige österreichische Provinzkindheit.
Mit Geplauder schloss Spinnen die Diskussion.
Isabella Feimer beendete als Kandidatin von Corinna Caduff den Wettbewerb. Ihr Text „Abgetrennt“ erzählt vom Liebeskummer einer Frau.
Winkels eröffnet die Diskussion mit der aufmunternden Kritik, dies hätte ein guter Text werden können. Ihm schien die Dramatik in der Beziehung jedoch zu stark instrumentalisiert. Die hörige Frau identifiziere sich mit dem kopflosen Huhn. Vieles könne subtiler sein.
Meike Feßmann interpretiert den Text anders. Dies sei die Geschichte eines unnötigen Abschieds einer neurotischen Frau. Die Frau lebe eigentlich in einer glücklichen Beziehung, fürchte aber verlassen zu werden, und trenne sich deshalb.
Caduff führt den Deutungsreigen fort, die Frau sei schon verlassen worden. Sie spreche von der Verletzung heraus in das Ende hinein. Der Text sei ein Brief oder eine Retrorede.
Keller lobt die konzeptuelle Klarheit, dadurch wisse sie, was erzählt wird und warum. Trotzdem finde sie die Geschichte nicht besonders berührend, die Abhängigkeit habe sie nicht wahrgenommen.
Danieal Strigl findet das von Winkels eingeführte Attribut „hörig“ durchaus passend. Ihr Hauptproblem sei, daß der Text zu viel Gefühl zeige, der Vortrag habe dies noch betont, und damit eher geschadet. Außerdem gesteht sie ihre Allergie gegen die immer wieder auftauchenden Hühnerkopfabtrennungsgeschichten in der Literatur. Es sei auch keine glückliche Idee, die Geliebte mit einem kopflosen Huhn gleich zu setzen.
Jandl kritisiert den Text als klebrige Schlagerpoesie.
Caduff erklärt, die Ich-Erzählerin suche ihre Ich-Stimme, die sie erst in der Poesie der Schlusses wiedergewinne.
Nachfrage Jandls, ob sie gelesen habe, um welche Poesie es sich handele.
Winkels bezeichnet es als Masochismus-Poesie.
Keller hat keine Poesie gefunden und bittet um Hinweise.
Spinnen dankt Strigl wegen der Hühner-Allergie und gab zum Schluss der diesjährigen Lesungen Jandl einmal recht, auch wenn er mit der harten Form der Formulierung nicht einverstanden sei.