Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt –Der Nachmittag, 6.7.2012
Lisa Kränzler, die von Hubert Winkels vorgeschlagene Kandidatin eröffnete die Lesung am Nachmittag. Sie überzeugte durch einen souveränen Vortrag, indem sie die verschiedenen Handlungsebenen alleine durch die Modulation ihrer Stimme zu unterscheiden wusste. Auch sprachlich befindet sich der Text auf höchstem Niveau. Dies passt allerdings meiner Ansicht nach nicht zur Ich-Erzählerin dieser Geschichte. Es handelt sich um ein Mädchen im Kindergartenalter, das sich wohl kaum so eloquent und reflexionsreich äußern kann, wie eine Kandidatin im Bachmann-Wettbewerb. Dass dieses Kind im Alter zwischen drei und sechs auch noch sein sexuelles Erwachen erlebt, macht die ganze Sache für mich umso unglaubwürdiger. Schade, hätte die Autorin die Protagonistin nur um wenige Jahre älter gewählt, so daß wir vielleicht einer Fünftklässlerin oder einer frühreifen Grundschülerin folgen würden, wäre diese Geschichte preisverdächtig.
Doch dies ist meine Meinung, die Jury äußerte Folgendes.
Spinnen eröffnet die Diskussion mit der Erkenntnis, daß keiner von uns in die Kindheit zurückkehren könne. Manche Schriftsteller schaffen es, daß kindliche Bewußtsein in ihrem Werken darzustellen. Aber es stünde nun mal nicht mehr zur Verfügung. Er lobt die große sprachliche Souveränität des Textes, die Sätze haben die Aura des Perfekten. Dies seien Mittel, über die man allerdings erst verfüge, wenn die Kindheit vorbei sei.
Als böse Mädchengeschichte über Missbrauch und frühe Sexualisierung, in der vor allem auch der von den Medien ausgehende Missbrauch deutlich werde, deutet Meike Feßmann den Text. Er sei literarisch gut gemacht und sehr unheimlich.
Caduff hegt gespaltene Gefühle, da sie eine große Diskrepanz zwischen Sprache und Inhalt sieht. Die Sprache sei durchgearbeitet, sehr präzise und reflexionsgesättigt. Natürlich sei auch dieses Thema sehr diskursiv.
Auch Keller verweist auf die Schwierigkeit des Textes das kindliche Bewußtsein glaubwürdig abzubilden. Es werden Spiele zwar so dargestellt, als sei die Figur ein Kind, beschrieben werden sie jedoch aus der Erwachsenenperspektive. Als Beispiel nannte sie die Lösungsmittel des Eddingstiftes.
Von der erotischen Verzückung angetan zeigt sich Daniela Strigl. Ihr gefällt, daß Namen und Orte als austauschbar dargestellt wurden. Allerdings hat der Text sie nicht an allen Stellen überzeugt. So scheine das „Du“ unvermutet aufzutauchen.
Winkels wendet ein, daß „Du“ tauche auf als der Figur klar werde, daß sie verliebt sei. Er sei auch ganz hin und weg gewesen von dem Text, es habe ihn in den Sessel gedrückt. Die Diskrepanz zwischen kindlicher Figur und Sprache dürfe man einem literarischen Text nicht vorwerfen.
Im weiteren wird ein wenig über die verschiedenen Tiere gesprochen, bis Feßmann, zu Recht finde ich, einwirft, die Tiere verwandelten sich in diesem Text alle in Sexualobjekte.
Zum Schluss lobt Jandl das hohe ästhetische Reflexionsniveau, was über dem des Vormittags liege. Thema des Textes sei das Changieren zwischen Zärtlichkeit und Gewalt. Ein sprachlich intensiv durchgearbeiteter Text.
Simon Froehling las mit „Ich werde dich finden“ den Auszug aus einem Roman, der die medizinisch-technischen und die ethisch-religiösen Hintergründe einer Organspende zum Thema hat. Er ist der Kandidat von Corinna Caduff.
Nachdem Keller ihre Version des Textes nacherzählt hat, gesteht die Religionswissenschaftlerin, sie teile die Faszination für Figuren, die aus dem Jenseits sprechen.
Strigl bedauert, daß der Autor sich nicht an sein eigenes Storylehrbuch gehalten habe, und zitiert: „Das Erzählen von Storys ist die schöpferische Demonstration von Wahrheit. Eine Story ist der lebendige Beweis einer Idee, die Umwandlung einer Idee in Handlung.“ Der Text diskutiere die Transplantationsphilosophie, beantworte jedoch die interessanten Fragen nicht befriedigend. Eigentlich sei es eine biedere, hausbackene und vorhersagbare Philosophie. Strigl verweist auf: Sabine Gruber, Über Nacht.
Hubert Winkels stört die bräsige Schilderung des Nierenpatienten im Krankenhaus.
Paul Jandl amüsiert sich über die erzählende Niere und kritisiert bei dieser „Seelenwanderung qua Niere“ sei die Seele bereits ausgetrieben. Krankenhaustechnische Dinge werden im Überfluss genannt und die kitschige Grabszene mache es auch nicht besser.
Spinnen greift das Stichwort Transplantationsphilosophie wieder auf und überlegt, was E.T.A. Hoffmann wohl daraus gemacht hätte. Der Text zeige die metaphysische Herausforderung der Organspende.
Für Meike Feßmann funktioniert der Text leidlich gut. Ihr Literaturhinweis: Slavenka Drakulic, Leben spenden.
Jetzt steuert auch Winkels einen Titel bei: David Wagner, Für neue Leben, wofür der Autor stante pede seinen Dank twittert (sprichdaskind).
Die Textmentorin Corinna Caduff begrüßt leicht angesäuert die zusammengetragene Literatursammlung der Kollegen. Dann kritisiert sie selbst ihren Kandidaten, in dem sie ihren Lieblingseinwand, das Thema sei sehr diskursiv, einwirft. Aber die phantasmatische Beziehung zum verstorbenen Spender sei die literarische Aufgabe, der sich der Text gestellt habe.
Mir hat der Text nicht gefallen, zuviel Krankenhausprosa, fast schon Arztroman. Irritiert hat mich außerdem, daß der Autor ganz anders aussah als auf seinen Fotos, zugegeben besser, aber fast schon zu schön. Typberatung? Und dann dieser Anker auf der Innenseite des Unterarms, zum Glück trug er kein blaugestreiftes Hemd. Ja, gut, man muss sich davon freimachen und sollte auch die Vorstellungsvideos besser nicht beachten. Einen Literaturhinweis möchte ich nicht beisteuern.