TDDL 2014 – Katharina Gericke, Tex Rubinowitz, Georg Petz

Bachmannpreis 3. Tag — Drei mal Liebe und eine wohlgefüllte Arche

bachmann14Da ich ges­tern vor lau­ter Twit­ter-Zir­kus bei­na­he den ers­ten Eklat ver­passt hät­te, woll­te ich mich am die­sem Vor­mit­tag et­was zu­rück­hal­ten. Der Vor­satz wur­de durch kei­nen un­ter­ir­di­schen Text tor­pe­diert. An­ders als im letz­ten Jahr trat die­se Ka­te­go­rie nicht auf, selbst die ti­be­ta­ni­sche To­ten­me­di­ta­ti­on war mei­len­weit von der letzt­jäh­ri­gen Tee­beu­tel­pro­sa entfernt.

Nach­dem der Mo­de­ra­tor Chris­ti­an An­kowitsch dem Pu­bli­kum mit ei­nem li­te­ra­ri­schen Schuh­löf­fel in die Blecha­re­na ver­half, be­gann Ka­tha­ri­na Ge­ri­cke die ers­te Le­sung. Sie ist die Kan­di­da­tin Burk­hard Spin­nens. Ge­ri­cke, die als Dra­ma­tur­gin schon auf ei­ni­gen Büh­nen ar­bei­te­te, lebt in Ber­lin, wo auch ihr Vi­deo­por­trät spielt. Die Re­por­ta­ge zeig­te ihr En­ga­ge­ment für ein Thea­ter­pro­jekt in Moa­bit. Ob­wohl ich die­se In­tro­fil­me eher als Zeit­ver­schwen­dung se­he, fand ich die­sen an­ge­nehm und TDDL 2014 – Ka­tha­ri­na Ge­ri­cke, Tex Ru­bi­no­witz, Ge­org Petz“ weiterlesen

TDDL 2014 — Anne-Kathrin Heier, Birgit Pölzl, Senthuran Varatharajah, Michael Fehr, Romana Ganzoni

Bachmann-Wettbewerb — Sieger sangen am 2. Tag

bachmann14Der Vor­mit­tag des zwei­ten Ta­ges en­de­te mit der Le­sung des Sie­ger­tex­tes. Nicht nur, weil ich we­nig Kri­tik ver­nahm und na­tür­lich über­haupt nicht, weil der Au­tor nicht nur über ei­ne at­trak­ti­ve Spra­che ver­fügt, son­dern weil er der Arch­eIn­ge­borg kein wei­te­res Ge­schöpf hin­zu füg­te. Zwar wur­de im Vi­deo ei­ne Schlan­ge er­wähnt, aber die­se Vi­de­os neh­me ich ein­fach nicht ernst.

Der Tag be­gann mit An­ne-Kath­rin Hei­er aus Ber­lin. Sie stu­dier­te am Hil­des­hei­mer Li­te­ra­tur­in­sti­tut und ar­bei­tet als freie Lek­to­rin. Ihr Kla­gen­furt-Men­tor ist Burk­hard Spinnen.

Sie las den an­spruchs­vol­len Text „Icht­hys“, des­sen ge­wähl­te Spra­che vie­le schö­ne Sät­ze her­vor­brach­te. Nur zwei Bei­spie­le, „die ich den Da­men und Her­ren der Ge­schäfts­füh­rung un­ter den An­zug­stoff in al­le Kör­per­öff­nun­gen hin­ein­hau­che“ oder „Au­tos am Rand, die die Gren­zen nur in der Som­mer­zeit über­fah­ren.“ TDDL 2014 — An­ne-Kath­rin Hei­er, Bir­git Pölzl, Sen­th­uran Va­rat­ha­ra­jah, Mi­cha­el Fehr, Ro­ma­na Gan­zo­ni“ weiterlesen

TDDL 2014 — Roman Marchel, Kerstin Preiwuß, Tobias Sommer, Gertraud Klemm, Olga Flor

Arche Ingeborg

bachmann14Das dies­jäh­ri­ge Wett­le­sen be­gann mit ei­nem Kan­di­da­ten ei­nes neu­en Ju­rors. Ro­man Mar­chel, der Schrift­stel­ler aus dem Wald­vier­tel wur­de von Ar­no Du­si­ni, dem Pro­fes­sor aus Wien, ge­la­den. Schon Mar­chels Vi­deo­por­trät ver­mit­tel­te ei­ne me­lan­cho­li­sche Stim­mung, die sich im Text fort­setz­te. Die­ser er­zählt die Ge­schich­te ei­ner al­ten Frau, die mit dem Lei­den ih­res im Ster­ben lie­gen­den Man­nes über­for­dert ist und ihm schließ­lich mit ei­ge­ner Hand ein En­de be­rei­tet. Ku­rio­ser­wei­se ha­ben wir ge­ra­de ges­tern in un­se­rem Li­te­ra­tur­kreis über Mi­che­le Mur­gi­as Ro­man Ac­ca­ba­do­ra ge­spro­chen, der ein ähn­li­ches The­ma be­han­delt. Al­ler­dings längst nicht so vir­tu­os wie Mar­chel, der um das Er­eig­nis ein fei­nes Ge­we­be von Er­in­ne­run­gen spinnt. Mich hat der Text, den ich in der Mit­tags­pau­se noch­mals ge­le­sen ha­be, sehr be­ein­druckt. Le­dig­lich ei­ni­ge Aus­tria­zis­men wie „aus­ge­trock­ne­tes Tuch“ ha­ben mich et­was gestört.

Win­kels, der als ers­ter Ju­ror spricht, äu­ßer­te als ein­zi­ger Kri­tik. Ihm miss­fie­len TDDL 2014 — Ro­man Mar­chel, Kers­tin Prei­wuß, To­bi­as Som­mer, Ger­traud Klemm, Ol­ga Flor“ weiterlesen

Bachmannpreis – TDDL 2014

Lesen, Lauschen, Labnge Reden

bachmann14Heu­te Abend wer­den die 38. Ta­ge der Deut­schen Li­te­ra­tur mit ei­ner Re­de Ma­ja Ha­der­laps, der Preis­trä­ge­rin von 2011, er­öff­net. Zum Wett­be­werb am Wör­ther­see zu Eh­ren der in Kla­gen­furt ge­bo­re­nen Au­torin In­ge­borg Bach­mann tre­ten fol­gen­de 14 Schrift­stel­ler an: Mi­cha­el Fehr, Ol­ga Flor, Ro­ma­na Gan­zo­ni, Ka­tha­ri­na Ge­ri­cke, An­ne-Kath­rin Hei­er, Ger­traud Klemm, Ka­ren Köh­ler (ist er­krankt und kann lei­der nicht teil­neh­men), Ro­man Mar­chel, Ge­org Petz, Bir­git Pölzl, Kers­tin Prei­wuß, Tex Ru­bi­no­witz, To­bi­as Som­mer und Sen­th­uran Va­rat­ha­ra­jah. In­for­ma­tio­nen über Bio­gra­phie und Werk bie­tet die Sei­te des Bach­mann­wett­berbs.

Für mich sind dies neue Na­men, auch wenn acht der zwölf Au­toren schon lan­ge weit über Dreis­sig sind. Al­lei­ne die Ös­ter­rei­che­rin Ol­ga Flor ist mir durch ih­ren Ro­man „Kol­la­te­ral­scha­den“ be­kannt, der 2008 für den Deut­schen Buch­preis no­mi­niert war. Ei­ne Ent­de­ckung, die mich so­fort neu­gie­rig „Bach­mann­preis – TDDL 2014“ weiterlesen

Sie streiten um den Bachmannpreis – TDDL 2013

Bachmannpreis

La­ris­sa Boeh­ning, Han­nah Dü­b­gen, Ro­man Ehr­lich, Ve­re­na Günt­ner, Heinz Hel­le, Na­di­ne Ke­ge­le, Ben­ja­min Maack, Ni­ko­la An­ne Mehl­horn, Joa­chim Mey­er­hoff, Anousch Muel­ler, Kat­ja Pe­trows­ka­ja, Zé do Rock, Phil­ipp Schön­tha­ler, Cor­du­la Simon.

So lau­ten die Na­men der Be­wer­ber um den dies­jäh­ri­gen Bach­mann­preis. Die Lis­te liegt seit ges­tern Nach­mit­tag auf der of­fi­zi­el­len Sei­te vor. Die acht Au­torin­nen und sechs Au­toren, die bei den „Ta­gen der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur 2013“ aus ih­ren un­ver­öf­fent­lich­ten Tex­ten le­sen, sind deut­scher, ös­ter­rei­chi­scher und schwei­zer Na­tio­na­li­tät. Vie­le be­sit­zen al­ler­dings „Sie strei­ten um den Bach­mann­preis – TDDL 2013“ weiterlesen

Bachmannpreis 2012 — Rückschau

Kleine Kritik der Kritik

Der Wett­be­werb ist vor­bei, ge­won­nen hat ihn Ol­ga Mar­ty­n­o­va mit ih­rem Text „Ich wer­de sa­gen: Hi“. Wei­te­re Prei­se gin­gen an Nawrat, Kränz­ler und Mahl­ke. Trav­nicek er­hielt den Pu­bli­kums­preis, was we­nig überraschte.

Eben­so we­nig über­ra­schen konn­ten ei­ni­ge Mit­glie­der der Kri­ti­ker­run­de, sie neig­ten zu den im­mer glei­chen Aus­sa­gen und Ver­hal­tens­mus­tern. So kris­tal­li­sier­ten sich be­reits am Nach­mit­tag des ers­ten Ta­ges spe­zi­fi­sche Re­ak­tio­nen der ein­zel­nen Ju­ry­mit­glie­der her­aus. Co­ri­na Ca­duff be­müh­te ger­ne das Ar­gu­ment der Dis­kur­si­vi­tät. Sie hin­ter­frag­te die The­men­stel­lung der Tex­te und ob Li­te­ra­tur da­zu noch et­was bei­tra­gen kön­ne. Soll­te man dann das li­te­ra­ri­sche Schrei­ben nicht ganz auf­ge­ben, und sich auf Sprach­ex­pe­ri­men­te ver­le­gen, wie sie in die­sem Jahr Has­sin­ger ein­reich­te? Da­zu hat aber auch Ca­duff we­der Zeit noch Lust. Lieb­lings­wort: „dis­kur­siv“.

Hil­de­gard Eli­sa­beth Kel­ler prä­sen­tier­te sich und ih­ren Zu­hö­rern meist ei­ne klei­ne Nach­er­zäh­lung des Ge­hör­ten. An­statt Ver­ständ­nis er­zeug­te dies bei  mir eher das Ge­fühl hilf­los dem Re­de­schwall ei­ner Leh­re­rin aus­ge­lie­fert zu sein. Tref­fens­tes Wort: „Le­bens­plau­der­ton“.

Burk­hard Spin­nen führ­te viel Ge­re­de zu­nächst in sei­ne ei­ge­ne Ver­gan­gen­heit be­vor er zum Kern der Sa­che ge­lang­te. Wenn über­haupt. Ei­ni­ge Ma­le zö­ger­te er sei­ne Mei­nung zu äu­ßern  oder er­in­ner­te wei­se dar­an, daß je­der li­te­ra­ri­sche Text An­stren­gung er­for­de­re. Lieb­lings­satz: „Ich kann al­lem zu­stim­men, was bis­her ge­sagt wurde.“

Die an­de­ren Mit­glie­der ver­blüff­ten durch­aus, so Mei­ke Feß­mann mit ih­ren so­zi­al­the­ra­peu­ti­schen In­ter­pre­ta­ti­ons­an­sät­zen und den Ver­wei­sen auf Sur­rea­les. Kri­tischs­tes Wort: „Du“

Hu­bert Win­kels er­klär­te mit ei­nem in­ter­pre­ta­to­ri­schen Pfau­en­rad die In­fla­ti­on wil­der Hun­de­na­men. Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lichs­te Ana­ly­se: „Kon­tra­fak­tur des Dschungelbuchs“

Da­nie­la Stri­gl und Paul Jandl hör­te ich am liebs­ten zu, weil sie be­grün­det und klar ih­re Mei­nung äu­ßer­ten. Jandl ge­bührt der Preis für die amü­san­tes­ten Kurz­kri­ti­ken und Stri­gl für ih­ren Da­ckel Mowg­li und die Hüh­ner­kopf­ab­tren­nungs­all­er­gie. Die­se Bei­den müs­sen auf je­den Fall blei­ben, falls es im kom­men­den Jahr Än­de­run­gen in der Ju­ry­zu­sam­men­set­zung ge­ben sollte.

Auch Än­de­run­gen am Re­gle­ment wür­de ich be­grü­ßen. War­um kön­nen die Tex­te nicht ei­ni­ge Stun­den vor der Le­sung on­line ge­stellt wer­den? So hät­ten Au­toren und Zu­hö­rer der Sprach­ex­pe­ri­men­te grö­ße­res Verständnis.

Die Vor­stel­lungs­fil­me der Au­toren wir­ken meist pein­lich und aus der Not ge­bo­ren. Die be­ab­sich­tig­te Aus­sa­ge­kraft ist eher ge­ring. Kön­nen sich die Au­toren über­haupt da­mit iden­ti­fi­zie­ren? Ein gu­tes In­ter­view wä­re ei­ne Alternative.

Ei­ne klei­ne Re­form wür­de auch der Ju­ry­ab­stim­mung nicht scha­den. Bis­her zieht sie sich um­ständ­lich in die Län­ge, weil je­der Ju­ror zu­nächst für seine(n) ei­ge­nen Kan­di­da­ten stimmt. Wä­re es nicht bes­ser die­se Op­ti­on auszuschließen?

Ich er­war­te ge­spannt das nächs­te Jahr und hof­fe, daß die­ses Li­te­ra­tur­er­eig­nis wei­ter­hin live über­tra­gen wird.

Bis da­hin kann man sich auf fol­gen­den Blogs noch mal der bes­ten TDDL-Mo­men­te 2012 erinnern:

Die Bü­cher­säu­fer

Denk­ding

Jo­han­nes Steinberg

Li­te­ra­tur­ca­fe

Vor­spei­sen­plat­te

walk-the-li­nes

Zei­len­ki­no

Bachmannpreis 2012 –TDDL – Federmair, Feimer

Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt – Dritter Nachmittag, 7.7.2012

Leo­pold Fe­der­mair, li­te­ra­ri­scher Über­setz­ter und seit 2006 in Hi­ro­shi­ma le­bend, er­öff­ne­te den Nach­mit­tag des letz­ten Ta­ges mit dem Text „Aki”. Vor­ge­schla­gen wur­de der Kan­di­dat von Da­nie­la Stri­gl. Fe­der­mair ver­blüff­te durch die An­kün­di­gung den mitt­le­ren Ab­satz auf Sei­te neun aus­zu­las­sen. Wei­sungs­ge­mäß ha­be ich mich des Le­sens ent­hal­ten. Es gab schon ge­nug fruch­ti­ge Ge­schlechts­tei­le in die­sem pu­ber­tä­ren Ak­ne­text, der mich bei je­der Nah­auf­nah­me zu ei­nem Blick auf Fe­der­mairs Ge­sicht zwang. Bob Dy­lan hat’s nicht leich­ter ge­macht. Wäh­rend der Ju­ry­run­de film­te Fe­der­mair die­se mit ei­ner klei­nen Di­gi­tal­ka­me­ra. Das wirk­te auf mich wie ver­schäm­tes Fan­ver­hal­ten. Soll­te es ei­ne pro­vo­ka­ti­ve Per­for­mance wer­den, wä­re ein gro­ßer Cam­cor­der doch viel wir­kungs­vol­ler gewesen.

Al­so ei­ne wei­te­re Co­ming-of-Age-Ge­schich­te, be­ginnt Win­kels, be­tont einfach.

Nicht ge­lun­gen, fin­det sie Mei­ke Feß­mann, weil sie durch die Mas­ke ei­ner weib­li­chen Er­zäh­le­rin ge­schil­dert wer­de. Die­se Tarn­fi­gur, die die Ge­schich­te spren­ge, kön­ne nicht über männ­li­ches Kör­per­wis­sen verfügen.

Auf die Kel­ler­sche Nach­er­zäh­lung folg­te die Fra­ge nach dem Er­zähl­mo­tiv der Fi­gur. Ver­schie­de­nes funk­tio­nie­re nicht so ganz, aber die Spra­che mit ih­ren poe­ti­schen Be­schrei­bun­gen und wun­der­ba­ren Pas­sa­gen ge­fällt Kel­ler gut. Sie zwei­felt al­ler­dings, ob das zu ei­ner Kell­ne­rin passe.

Spin­nen ver­bie­tet, Gen­der­pro­ble­me bei Er­zäh­ler­stim­men an­zu­mel­den und er­in­nert sich an die ir­ren Ty­pen bei Ke­rouac und in sei­ner Jugend.

Dass es durch­aus er­zäh­len­de Kell­ne­rin­nen ge­be, die dies so­gar sehr in­ter­es­sant könn­ten, dar­über klärt Da­nie­la Stri­gl auf. Ihr ge­fällt die ver­gif­te­te Nost­al­gie die­ser Ge­schich­te, die so schlecht rie­che und stark über die sinn­li­che Ebe­ne arbeitete.

Feß­mann ar­gu­men­tiert aber­mals mit dem un­lo­gi­schen Körperwissen.

Dies sei, so Jandl, die Ge­schich­te ei­nes Span­nungs­ab­falls, trau­rig und mit zu we­nig Dramatik.

Ca­duff spricht end­lich den per­for­ma­ti­ven Akt des Au­tors an. Sie ge­steht sich ei­ne neu­tra­le Hal­tung zu, da sie an­fangs von ei­ner ja­pa­ni­schen Ge­schich­te aus­ging, und die­se Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on nicht mehr aus dem Kopf bekäme.

Wie­der ein­mal holt Spin­nen weit aus be­vor er zum Text kam. Die letz­ten Zei­len ge­fal­len ihm gut, sie bers­ten vor Be­deu­tung, im üb­ri­gen Text hin­ge­gen ge­be es zu vie­le Leerstellen.

Stri­gl wen­det ein, dies sug­ge­rie­re den münd­li­chen Er­zähl­ton der Fi­gur, was auch die vie­len Red­un­dan­zen zeigen.

Nach Jandl sei der jun­ge Mann nicht mit Ta­lent, son­dern mit Ak­ne ge­schla­gen. Das sei kein Ir­rer-Ty­pen-Text, wie Spin­nen mei­ne, er spie­le im Pro­vinz­mi­lieu, weit weg von Kerouac.

Feß­mann kon­sta­tiert, die­se Kind­heits­ge­schich­te rei­ße al­le nicht vom Ho­cker. Sie hat­te, auf­grund der Aus­lands­er­fah­rung des Au­tors, et­was ganz er­war­tet, ähn­lich sei es ihr bei Mos­ter er­gan­gen. Die et­was ab­ge­stan­de­nen hei­mat­li­chen Er­in­ne­run­gen fin­de sie langweilig.

Dar­auf­hin kri­ti­siert Stri­gl, Feß­mann wol­le er­klä­ren, was sich der Au­tor ge­dacht ha­be. Au­ßer­dem sei ei­ne sti­cki­ge ja­pa­ni­sche Kind­heit kaum in­ter­es­san­ter als ei­ne sti­cki­ge ös­ter­rei­chi­sche Provinzkindheit.

Mit Ge­plau­der schloss Spin­nen die Diskussion.

Isa­bel­la Fei­mer be­en­de­te als Kan­di­da­tin von Co­rin­na Ca­duff den Wett­be­werb. Ihr Text „Ab­ge­trennt“ er­zählt vom Lie­bes­kum­mer ei­ner Frau.

Win­kels er­öff­net die Dis­kus­si­on mit der auf­mun­tern­den Kri­tik, dies hät­te ein gu­ter Text wer­den kön­nen. Ihm schien die Dra­ma­tik in der Be­zie­hung je­doch zu stark in­stru­men­ta­li­siert. Die hö­ri­ge Frau iden­ti­fi­zie­re sich mit dem kopf­lo­sen Huhn. Vie­les kön­ne sub­ti­ler sein.

Mei­ke Feß­mann in­ter­pre­tiert den Text an­ders. Dies sei die Ge­schich­te ei­nes un­nö­ti­gen Ab­schieds ei­ner neu­ro­ti­schen Frau. Die Frau le­be ei­gent­lich in ei­ner glück­li­chen Be­zie­hung, fürch­te aber ver­las­sen zu wer­den, und tren­ne sich deshalb.

Ca­duff führt den Deu­tungs­rei­gen fort, die Frau sei schon ver­las­sen wor­den. Sie spre­che von der Ver­let­zung her­aus in das En­de hin­ein. Der Text sei ein Brief oder ei­ne Retrorede.

Kel­ler lobt die kon­zep­tu­el­le Klar­heit, da­durch wis­se sie, was er­zählt wird und war­um. Trotz­dem fin­de sie die Ge­schich­te nicht be­son­ders be­rüh­rend, die Ab­hän­gig­keit ha­be sie nicht wahrgenommen.

Da­nie­al Stri­gl fin­det das von Win­kels ein­ge­führ­te At­tri­but „hö­rig“ durch­aus pas­send. Ihr Haupt­pro­blem sei, daß der Text zu viel Ge­fühl zei­ge, der Vor­trag ha­be dies noch be­tont, und da­mit eher ge­scha­det. Au­ßer­dem ge­steht sie ih­re All­er­gie ge­gen die im­mer wie­der auf­tau­chen­den Hüh­ner­kopf­ab­tren­nungs­ge­schich­ten in der Li­te­ra­tur. Es sei auch kei­ne glück­li­che Idee, die Ge­lieb­te mit ei­nem kopf­lo­sen Huhn gleich zu setzen.

Jandl kri­ti­siert den Text als kleb­ri­ge Schlagerpoesie.

Ca­duff er­klärt, die Ich-Er­zäh­le­rin su­che ih­re Ich-Stim­me, die sie erst in der Poe­sie der Schlus­ses wiedergewinne.

Nach­fra­ge Jandls, ob sie ge­le­sen ha­be, um wel­che Poe­sie es sich handele.

Win­kels be­zeich­net es als Masochismus-Poesie.

Kel­ler hat kei­ne Poe­sie ge­fun­den und bit­tet um Hinweise.

Spin­nen dankt Stri­gl we­gen der Hüh­ner-All­er­gie und gab zum Schluss der dies­jäh­ri­gen Le­sun­gen Jandl ein­mal recht, auch wenn er mit der har­ten Form der For­mu­lie­rung nicht ein­ver­stan­den sei.

Bachmannpreis 2012 –TDDL –Nawrat, Senkel

Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt – Dritter Tag, Vormittag, 7.7.2012

Nach ei­ner sehr bier­phi­lo­so­phi­schen Film­vor­stel­lung er­öff­ne­te Mat­thi­as Nawrat den Vor­mit­tag des drit­ten Wett­be­werb­ta­ges. Der Kan­di­dat von Hil­de­gard Eli­sa­beth Kel­ler las den Text „Un­ter­neh­mer“. Ich-Er­zäh­le­rin ist die pu­ber­tie­ren­de Toch­ter ei­nes Elek­tro­schrott­aus­schlach­tungs­fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens im süd­li­chen Schwarz­wald. Zu­nächst schil­dert Nawrat die pre­kä­ren, le­bens­ge­fähr­li­chen Zu­stän­de die­ser Ar­beit mit vie­len me­tall­ur­gi­schen De­tails, dann kon­zen­triert sich der Text auf die früh­sexu­el­len Kör­per­er­fah­run­gen sei­ner Figur.

Stri­gl in­ter­pre­tiert die­se merk­wür­di­ge Fa­mi­lie, die ein Klein­un­ter­neh­men der spe­zi­el­len Art be­trei­be, als Par­odie auf das Fa­mi­li­en­idyll. Ele­men­te des Schel­men­ro­mans ent­de­cke sie, wenn selbst exis­ten­ti­el­le Nie­der­la­gen glo­ri­fi­ziert wer­den. Gleich­zei­tig sei es ei­ne Pu­ber­täts­ge­schich­te. Sie wür­dig­te die be­son­de­re Spra­che die­ses süß­schmerz­haf­ten Tex­tes, der ihr gefalle.

Auch Jandl wer­tet den Text po­si­tiv. Die Spra­che sei zart, der Text ori­gi­nell, er kön­ne ans Herz gehen.

Al­len bis­he­ri­gen po­si­ti­ven Ur­tei­len kann Spin­nen fol­gen. Er fragt nach, ob es sich um ei­nen ab­ge­schlos­se­nen Text han­de­le. Denn die Dar­stel­lung der schlich­ten selt­sam be­hü­te­ten Welt von ka­put­ten Din­gen schwen­ke un­ver­mit­telt in ei­ne sehr schlich­te Pubertätsgeschichte.

Win­kels be­stä­tig­te die­sen Ein­druck. Er emp­fand Un­ein­heit­lich­keit, der Text sei ver­rutscht und zu disparat.

Kel­ler er­greift das Wort um ih­ren bei­den Kol­le­gen auf die Sprün­ge zu hel­fen. (Pu­bli­kums­ap­plaus) Es gin­ge um die Rol­le des Mäd­chens in­ner­halb der Fa­mi­lie, die für die­ses Un­ter­neh­men als Fir­men­spre­che­rin fun­gie­re. Sie iden­ti­fi­zie­re sich so stark mit die­ser Auf­ga­be, daß sie auch die tech­ni­sier­te Spra­che über­neh­me. Die­se Kin­der­per­spek­ti­ve wer­de fast bis zum En­de durch­ge­hal­ten. Erst die Lie­be öff­ne ihr ein Fens­ter aus der Trost­lo­sig­keit. Ver­gleich mit John Stein­beck, Von Mäu­sen und Men­schen.

Schwie­rig­kei­ten, die Ebe­nen aus­zu­lo­ten, hat Co­rin­na Ca­duff. Sie be­kennt che­mi­sche Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, die sie durch Goog­le zu be­he­ben such­te. Toll fand sie die af­fir­ma­ti­ve Er­zähl­per­spek­ti­ve der Toch­ter. Sprach­lich sei der Text sehr in­ter­es­sant, nicht zu­letzt, weil der Au­tor ei­nen Lehr­gang in Biel be­legt ha­be. Sie be­grü­ße je­den Au­tor, der sich ei­ner li­te­ra­ri­schen Aus­bil­dung unterziehe.

Mei­ke Feß­mann hat in dem Text ei­ne mo­der­ne Va­ri­an­te von Hän­sel und Gre­tel ent­deckt. Sie wi­der­spricht der Par­odie­inter­pre­ta­ti­on Stri­gls. Als li­te­ra­ri­sche Par­al­le­le sieht sie ei­ne ins mär­chen­haft ge­wan­del­te Ago­ta Kristof.

Stri­gl weist dar­auf hin, daß die­se Fa­mi­lie, die ei­ne Ge­sund­heits­ge­fähr­dung ih­rer Mit­glie­der hin­nimmt, kei­nes­falls rea­lis­tisch ge­meint sein kön­ne. Ihr ge­fal­le die­ser Humor.

Paul Jandl kri­ti­siert Feß­manns Kris­tof-Ver­gleich. Auch Kel­lers In­ter­pre­ta­tio­nen miss­fal­len ihm.

Spin­nen kri­ti­siert zum En­de der Dis­kus­si­on noch ein mal, daß die Ge­schich­te der Fa­ve­la-Fa­mi­lie mit Kem­pow­ski-Sprü­chen nicht wei­ter ge­führt wird, son­dern in ei­ne Pu­ber­täts­ge­schich­te übergeht.

Mat­thi­as Sen­kel stell­te mit „Auf­zeich­nun­gen aus der Kur­an­stalt“ die noch feh­len­de Li­te­ra­tur­be­triebs­sa­ti­re die­ses Wett­be­werbs zur Dis­kus­si­on. No­mi­niert wur­de er von Paul Jandl.

Hu­bert Win­kels ge­fällt die klu­ge und wit­zi­ge Ge­schich­te. Die Li­te­ra­tur­be­trieb-Sa­ti­re der klas­si­schen Art sei wie ein Mö­bi­us­band kon­stru­iert. Al­les, was Au­ßen­welt sein könn­te, könn­te auch in der An­stalt ge­schrie­ben wor­den sein. So ent­ste­he die End­los­schlei­fe, in der Rea­li­tät und Phan­ta­sie ab­wech­seln. Der Pro­to­koll­stil je­doch hat Win­kels auf Dau­er ein we­nig ver­dros­sen. Er räumt al­ler­dings ein, daß die star­re Spra­che der Preis sei, da­mit die Sa­ti­re funktioniere.

Dies sei die ty­pi­sche Kla­gen­furt-Schreib­ge­schich­te, so Feß­mann. Sie ver­mis­se al­ler­dings den gu­ten Sprach­stil. Da der Sprach­witz feh­le, sei die Ge­schich­te langweilig.

Hin­ge­gen hät­te Ca­duff ger­ne mehr von Sen­kel ge­hört, aber in ei­nem 200-sei­ti­gen Ro­man. In der Idee lie­ge ganz viel Potential.

Jandl er­klärt, daß der Pro­to­koll­stil Mit­tel der Sa­ti­re sei. Dies ma­che den Witz erst deut­lich. Ge­schil­det wer­de ein pa­ra­nor­ma­ler Literaturbetrieb.

Mei­ke Feß­mann glaubt, Rein­hard Lettau hät­te ei­ne sol­che Ge­schich­te bes­ser geschrieben.

Jandl ver­wehrt sich über Rein­hard Lettau zu spre­chen. Der Stil ha­be sei­ne Be­rech­ti­gung, sei eben nur sehr subtil.

Feß­mann wirft ein, er sei sprach­lich arm. Ca­duff un­ter­stützt sie, Jandl ha­be ei­ne ganz an­de­re Lesart.

Stri­gl be­en­det den Dis­put mit der Fra­ge, war­um sie im­mer mehr von den Au­toren woll­ten als de­ren Tex­te be­inhal­ten. Die­ser sei sehr raf­fi­niert ge­macht. Die Spra­che kön­ne man dem Text nicht vor­wer­fen. Sie räumt ein, daß die Ge­schich­te al­ler­dings et­was an Fahrt verliere.

Der Text schenkt Kel­ler vie­le Aha-Ef­fek­te, ihr ge­fällt, daß er im­mer wie­der ei­ne neue Rich­tung einschlug.

In­ten­ti­on der Ge­schich­te sei es, die Künst­lich­keit von Li­te­ra­tur sicht­bar zu ma­chen und ein Nach­den­ken über die­se aus­zu­lö­sen, so Jandl.

Spin­nen hob zum Schluss­wort an, in­dem er sich wie­der ein­mal mit al­len Äu­ße­run­gen ein­ver­stan­den er­klär­te. Er lie­be zwar Tex­te über Schaf­fens­nö­te nicht, da sie sei­ne ei­ge­ne Si­tua­ti­on wie­der­spie­geln, le­se sie aber aus Be­rufs­in­ter­es­se den­noch. Es folgt ein lan­ger Ver­gleich mit ei­ner Zir­kus­vor­stel­lung, den Jandl mit der Aus­sa­ge „Ihr In­ter­es­se an In­tel­li­genz ist mir ge­läu­fig“ beendete.

Bis mor­gen die Preis­trä­ger ge­kürt wer­den, lohnt sich ein Blick auf die Au­to­ma­ti­sche Li­te­ra­tur­kri­tik der Rie­sen­ma­schi­ne.

Bachmannpreis 2012 –TDDL –Kränzler, Froehling

Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt –Der Nachmittag, 6.7.2012

Li­sa Kränz­ler, die von Hu­bert Win­kels vor­ge­schla­ge­ne Kan­di­da­tin er­öff­ne­te die Le­sung am Nach­mit­tag. Sie über­zeug­te durch ei­nen sou­ve­rä­nen Vor­trag, in­dem sie die ver­schie­de­nen Hand­lungs­ebe­nen al­lei­ne durch die Mo­du­la­ti­on ih­rer Stim­me zu un­ter­schei­den wuss­te. Auch sprach­lich be­fin­det sich der Text auf höchs­tem Ni­veau. Dies passt al­ler­dings mei­ner An­sicht nach nicht zur Ich-Er­zäh­le­rin die­ser Ge­schich­te. Es han­delt sich um ein Mäd­chen im Kin­der­gar­ten­al­ter, das sich wohl kaum so elo­quent und re­fle­xi­ons­reich äu­ßern kann, wie ei­ne Kan­di­da­tin im Bach­mann-Wett­be­werb. Dass die­ses Kind im Al­ter zwi­schen drei und sechs auch noch sein se­xu­el­les Er­wa­chen er­lebt, macht die gan­ze Sa­che für mich um­so un­glaub­wür­di­ger. Scha­de, hät­te die Au­torin die Prot­ago­nis­tin nur um we­ni­ge Jah­re äl­ter ge­wählt, so daß wir viel­leicht ei­ner Fünft­kläss­le­rin oder ei­ner früh­rei­fen Grund­schü­le­rin fol­gen wür­den, wä­re die­se Ge­schich­te preisverdächtig.

Doch dies ist mei­ne Mei­nung, die Ju­ry äu­ßer­te Folgendes.

Spin­nen er­öff­net die Dis­kus­si­on mit der Er­kennt­nis, daß kei­ner von uns in die Kind­heit zu­rück­keh­ren kön­ne. Man­che Schrift­stel­ler schaf­fen es, daß kind­li­che Be­wußt­sein in ih­rem Wer­ken dar­zu­stel­len. Aber es stün­de nun mal nicht mehr zur Ver­fü­gung.  Er lobt die gro­ße sprach­li­che Sou­ve­rä­ni­tät des Tex­tes, die Sät­ze ha­ben die Au­ra des Per­fek­ten. Dies sei­en Mit­tel, über die man al­ler­dings erst ver­fü­ge, wenn die Kind­heit vor­bei sei.

Als bö­se Mäd­chen­ge­schich­te über Miss­brauch und frü­he Se­xua­li­sie­rung, in der vor al­lem auch der von den Me­di­en aus­ge­hen­de Miss­brauch deut­lich wer­de, deu­tet Mei­ke Feß­mann den Text. Er sei li­te­ra­risch gut ge­macht und sehr unheimlich.

Ca­duff hegt ge­spal­te­ne Ge­füh­le, da sie ei­ne gro­ße Dis­kre­panz zwi­schen Spra­che und In­halt sieht. Die Spra­che sei durch­ge­ar­bei­tet, sehr prä­zi­se und re­fle­xi­ons­ge­sät­tigt. Na­tür­lich sei auch die­ses The­ma sehr diskursiv.

Auch Kel­ler ver­weist auf die Schwie­rig­keit des Tex­tes das kind­li­che Be­wußt­sein glaub­wür­dig ab­zu­bil­den. Es wer­den Spie­le zwar so dar­ge­stellt, als sei die Fi­gur ein Kind, be­schrie­ben wer­den sie je­doch aus der Er­wach­se­nen­per­spek­ti­ve. Als Bei­spiel nann­te sie die Lö­sungs­mit­tel des Eddingstiftes.

Von der ero­ti­schen Ver­zü­ckung an­ge­tan zeigt sich Da­nie­la Stri­gl. Ihr ge­fällt, daß Na­men und Or­te als aus­tausch­bar dar­ge­stellt wur­den. Al­ler­dings hat der Text sie nicht an al­len Stel­len über­zeugt. So schei­ne das „Du“ un­ver­mu­tet aufzutauchen.

Win­kels wen­det ein, daß „Du“ tau­che auf als der Fi­gur klar wer­de, daß sie ver­liebt sei. Er sei auch ganz hin und weg ge­we­sen von dem Text, es ha­be ihn in den Ses­sel ge­drückt. Die Dis­kre­panz zwi­schen kind­li­cher Fi­gur und Spra­che dür­fe man ei­nem li­te­ra­ri­schen Text nicht vorwerfen.

Im wei­te­ren wird ein we­nig über die ver­schie­de­nen Tie­re ge­spro­chen, bis Feß­mann, zu Recht fin­de ich, ein­wirft, die Tie­re ver­wan­del­ten sich in die­sem Text al­le in Sexualobjekte.

Zum Schluss lobt Jandl das ho­he äs­the­ti­sche Re­fle­xi­ons­ni­veau, was über dem des Vor­mit­tags lie­ge. The­ma des Tex­tes sei das Chan­gie­ren zwi­schen Zärt­lich­keit und Ge­walt. Ein sprach­lich in­ten­siv durch­ge­ar­bei­te­ter Text.

Si­mon Froeh­ling las mit „Ich wer­de dich fin­den“ den Aus­zug aus ei­nem Ro­man, der die me­di­zi­nisch-tech­ni­schen und die ethisch-re­li­giö­sen Hin­ter­grün­de ei­ner Or­gan­spen­de zum The­ma hat. Er ist der Kan­di­dat von Co­rin­na Caduff.

Nach­dem Kel­ler ih­re Ver­si­on des Tex­tes nach­er­zählt hat, ge­steht die Re­li­gi­ons­wis­sen­schaft­le­rin, sie tei­le die Fas­zi­na­ti­on für Fi­gu­ren, die aus dem Jen­seits sprechen.

Stri­gl be­dau­ert, daß der Au­tor sich nicht an sein ei­ge­nes Sto­ry­l­ehr­buch ge­hal­ten ha­be, und zi­tiert: „Das Er­zäh­len von Sto­rys ist die schöp­fe­ri­sche De­mons­tra­ti­on von Wahr­heit. Ei­ne Sto­ry ist der le­ben­di­ge Be­weis ei­ner Idee, die Um­wand­lung ei­ner Idee in Hand­lung.“ Der Text dis­ku­tie­re die Trans­plan­ta­ti­ons­phi­lo­so­phie, be­ant­wor­te je­doch die in­ter­es­san­ten Fra­gen nicht be­frie­di­gend. Ei­gent­lich sei es ei­ne bie­de­re, haus­ba­cke­ne und vor­her­sag­ba­re Phi­lo­so­phie. Stri­gl ver­weist auf: Sa­bi­ne Gru­ber, Über Nacht.

Hu­bert Win­kels stört die brä­si­ge Schil­de­rung des Nie­ren­pa­ti­en­ten im Krankenhaus.

Paul Jandl amü­siert sich über die er­zäh­len­de Nie­re und kri­ti­siert bei die­ser „See­len­wan­de­rung qua Nie­re“ sei die See­le be­reits aus­ge­trie­ben. Kran­ken­haus­tech­ni­sche Din­ge wer­den im Über­fluss ge­nannt und die kit­schi­ge Grab­sze­ne ma­che es auch nicht besser.

Spin­nen greift das Stich­wort Trans­plan­ta­ti­ons­phi­lo­so­phie wie­der auf und über­legt, was E.T.A. Hoff­mann wohl dar­aus ge­macht hät­te. Der Text zei­ge die me­ta­phy­si­sche Her­aus­for­de­rung der Organspende.

Für Mei­ke Feß­mann funk­tio­niert der Text leid­lich gut. Ihr Li­te­ra­tur­hin­weis: Slaven­ka Dra­ku­lic, Le­ben spen­den.

Jetzt steu­ert auch Win­kels ei­nen Ti­tel bei: Da­vid Wag­ner, Für neue Le­ben, wo­für der Au­tor stan­te pe­de sei­nen Dank twit­tert (sprich­das­kind).

Die Text­ment­o­rin Co­rin­na Ca­duff be­grüßt leicht an­ge­säu­ert die zu­sam­men­ge­tra­ge­ne Li­te­ra­tur­samm­lung der Kol­le­gen. Dann kri­ti­siert sie selbst ih­ren Kan­di­da­ten, in dem sie ih­ren Lieb­lings­ein­wand, das The­ma sei sehr dis­kur­siv, ein­wirft. Aber die phan­tas­ma­ti­sche Be­zie­hung zum ver­stor­be­nen Spen­der sei die li­te­ra­ri­sche Auf­ga­be, der sich der Text ge­stellt habe.

Mir hat der Text nicht ge­fal­len, zu­viel Kran­ken­haus­pro­sa, fast schon Arzt­ro­man. Ir­ri­tiert hat mich au­ßer­dem, daß der Au­tor ganz an­ders aus­sah als auf sei­nen Fo­tos, zu­ge­ge­ben bes­ser, aber fast schon zu schön. Typ­be­ra­tung? Und dann die­ser An­ker auf der In­nen­sei­te des Un­ter­arms, zum Glück trug er kein blau­ge­streif­tes Hemd. Ja, gut, man muss sich da­von frei­ma­chen und soll­te auch die Vor­stel­lungs­vi­de­os bes­ser nicht be­ach­ten. Ei­nen Li­te­ra­tur­hin­weis möch­te ich nicht beisteuern.

Bachmannpreis 2012 –TDDL –Mahlke, Travnicek, Martynova

Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt – Zweiter Vormittag, 6.7.2012

In­ger-Ma­ria Mahl­ke er­öff­ne­te mit der Le­sung ih­res sehr ein­dring­li­chen Tex­tes den zwei­ten Tag des Be­werbs. Vor­ge­schla­gen wur­de die Kan­di­da­tin von Burk­hard Spin­nen. Im vor­ge­stell­ten Ro­man­aus­schnitt er­zählt die Prot­ago­nis­tin in der Du-Form von ih­rem Sohn Lu­kas, den sie ver­las­sen will, von ih­rem Job im Back-Shop und der neu­en Kar­rie­re als Do­mi­na. Der Text nimmt mich so­fort ge­fan­gen. Es stellt sich ein ähn­li­ches Ge­fühl ein wie bei der Ha­der­lap-Le­sung im letz­ten Jahr. Für mich ist In­ger-Ma­ria Mahl­ke die Fa­vo­ri­tin auf den Bachmannpreis.

Als ers­te Stim­me der Ju­ry mel­det sich Hil­de­gard Kel­ler zu Wort. Nach­dem sie ih­re Ver­si­on des Tex­tes er­klär­te, sprach sie von Ein- und Aus­peit­sche­rei und stör­te sich sehr an dem „Du“. Die Au­torin scheue sich ins In­ne­re zu ge­hen. Kel­ler ver­miss­te ein Herz in der Geschichte.

Die­se ge­fiel Hu­bert Win­kels hin­ge­gen sehr gut. Be­son­ders die Nah­auf­nah­men der ver­schie­de­nen Wel­ten, sei es Back-Shop, Mut­ter­welt oder Sa­do­welt be­ein­druck­ten ihn. Ei­ni­ges blei­be je­doch un­klar, so die Be­weg­grün­de der Frau, ih­ren Sohn zu verlassen.

Spin­nen macht dar­auf auf­merk­sam, daß es sich ja nur um ei­nen Aus­schnitt aus ei­nem grö­ße­ren Text han­de­le. Die Frau tue Un­säg­li­ches und rin­ge darum.

Ca­duff wi­der­spricht Kel­lers Su­che nach dem Her­zen. Der Text zei­ge nur die Ober­flä­che, wol­le kei­ne Re­fle­xi­on und kei­ne Psy­cho­lo­gie. Sie fin­det ihn ganz toll. Ei­ne freud­lo­se Exis­tenz in Käl­te und Aus­weg­lo­sig­keit, die von Mahl­ke gna­den­los kon­se­quent dar­ge­stellt werde.

Mei­ke Feß­mann er­öff­net die „Du“-Interpretation. Sie be­zeich­net es als so­zi­al­the­ra­peu­ti­sche An­spra­che, die Kon­trol­le be­ab­sich­tigt. Sie fin­det den Text sprach­lich öde.

Spin­nen wi­der­spricht, das „Du“ sei not­wen­dig, um in die­ser Si­tua­ti­on am Le­ben zu bleiben.

Stri­gl, die im „Du“ ei­ne Selbst­an­spra­che sieht, emp­fin­det den Text wohl­tu­end, da er dem Le­ser nichts auf­drän­ge, nichts er­klä­re. Er funk­tio­nie­re nur mit die­sem „Du“ und er über­ra­sche auf meh­re­ren Ebenen.

Auch Jandl wi­der­spricht Feß­manns Du-Deu­tung. Dies sei kein Ikea-Du, es sei mo­ra­lisch bedingt.

Ca­duff führt die öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­se an, die die­ses „Du“ dar­stel­le, sie wie­der­spricht Stri­gls Selbstansprache-Interpretation.

Die wei­te­re Du-De­bat­te lie­fert ein Karl-Marx-Du von Spin­nen und Kel­lers Web-Cam-Du. Feß­mann er­wei­tert ih­re Kri­tik an dem Text durch den Vor­wurf von Kli­schees und Un­ge­reimt­hei­ten. Sie bleibt aber die Ein­zi­ge in der Run­de, der die­se Le­sung nicht ge­fal­len hat.

Als zwei­te Kan­di­da­tin des Ta­ges trat die von Win­kels no­mi­nier­te Cor­ne­lia Trav­nicek auf. Ihr Text „Jun­ge Hun­de“ er­zählt vom Ab­schied ei­ner jun­gen Frau von ih­rer Kind­heit, die zu­gleich ein Ab­schied von El­tern, Haus­tie­ren und Hei­mat ist. Der Grund ist al­ler­dings kein Um­zug, son­dern der Tod. Gleich zu Be­ginn stirbt der Hund Bag­heera. Die­se Dschun­gel­buch­na­men, es taucht ein wei­te­rer Hund na­mens Ba­loo auf, ver­an­lass­te mich zu ei­ner über­flüs­si­gen Grü­be­lei über die Na­mens­fin­dung von Haus­tie­ren, die mich lei­der vom kon­zen­trier­ten Zu­hö­ren ab­lenk­te. Kur­ze Zeit spä­ter merk­te ich, daß ich nicht mehr rein­kam. Der Text ist mir fad.

Ganz an­ders er­geht es Mei­ke Feß­mann, sie zeigt gro­ßen Re­spekt für den war­men Prag­ma­tis­mus der Ge­schich­te, in der die Tie­re end­lich ein­fach Tie­re blei­ben dür­fen. (Mit Dschungelbuchnamen?)

Stri­gl fin­det ihn sym­pa­tisch, vor al­lem, weil sie einst den Da­ckel „Mowg­li“ be­saß. (Schlimm ist das ös­ter­rei­chi­scher Humor?)

Ca­duff be­män­gelt die Spra­che, sie ha­be sich ihr als Kunst­raum nicht er­schlos­sen. Der Text ha­be Po­ten­ti­al, müs­se aber über­ar­bei­tet wer­den. Das ein­ge­bau­te Mär­chen be­ur­teilt sie als in­ter­es­san­te Versuchsanlage.

Hu­bert Win­kels end­lich er­klärt die Psy­cho­lo­gie hin­ter der Dschun­gel­buch­me­ta­pher. Ernst sei wie Mowg­li ad­op­tiert. (Mowg­li war doch der Da­ckel von Da­nie­la Strigl.)

Paul Jandl ist nicht klar, wo im Text der Hund be­gra­ben lie­ge. Er fin­det die Spra­che ba­nal und sim­pel und kann die tie­fen Ge­heim­nis­se des Tex­tes nicht finden.

Hu­bert Win­kels deckt sie für ihn auf. Der Va­ter sei ab­trans­por­tiert, die Mut­ter tot, das Haus wer­de ver­kauft und der Hund auch schon verstorben.

Jandl ist mit der Er­klä­rung nicht zu­frie­den, die Ge­schich­te bil­de ein Kind­heits­kon­ti­nu­um ab, das der Li­te­ra­tur nicht nütz­lich sein muss.

Hier greift Hil­de­gard Kel­ler zur Ver­tei­di­gung ein. Die man­geln­de Tie­fe sei Pro­gramm, sie pas­se zum Le­bens­plau­der­ton. Au­ßer­dem ge­be es hier und da ei­ne schö­ne Metapher.

Auch Feß­mann tritt für Trav­nicek ein. Sie kri­ti­siert ih­re Kol­le­gen, die Sprach­ar­beit nur dann wahr­neh­men wür­den, wenn sie mar­kant wä­re. Der Text las­se sich sehr wohl my­tho­lo­gisch und iko­no­gra­phisch le­sen (Dschun­gel­buch!).

Spin­nen scheint sich am liebs­ten ei­nes Kom­men­tars zu ent­hal­ten. Er kön­ne al­lem, was ge­sagt wur­de, zu­stim­men. Der Text ha­be ihn nicht be­un­ru­higt. Wor­auf Win­kels fragt, ob Li­te­ra­tur denn heu­te noch be­un­ru­hi­gen müsse.

Die aus Russ­land stam­men­de Ol­ga Mar­ty­n­o­va las den Text „Ich wer­de sa­gen „Hi““. Vor­ge­schla­gen wur­de sie von Paul Jandl. Sie schil­dert die Er­leb­nis­se und Be­ob­ach­tun­gen des Ju­gend­li­chen Mo­ritz, der sich zö­ger­lich ver­liebt und sich Ge­dan­ken über das selt­sa­me Ver­hal­ten der Er­wach­se­nen macht. End­lich mal ein amü­san­ter Text, der mit un­ge­wöhn­li­chen Set­tings und Fi­gu­ren spielt und voll sub­ti­ler Iro­nie steckt.

Win­kels ge­fällt der Text sehr gut. Er fin­det es schön, wie Mo­ritz durch die Zei­ten mä­an­dert. Dies sei har­mo­nisch und ele­gant dargestellt.

Stri­gl er­freut der hin­ter­sin­ni­ge, la­ko­nisch-an­ar­chi­sche Witz. Sie er­in­nert an den ver­meint­lich harm­lo­sen Ho­lun­der­blü­ten­ge­ruch. Die An­häu­fung des Verbs „sag­te“ sei ein­deu­tig ein Stilmittel.

Auch Feß­mann be­wer­tet den Text po­si­tiv, er sei sou­ve­rän und luf­tig er­zählt. Mo­ritz be­ob­ach­te wie ein Spi­on das Ehe­le­ben von On­kel und Tan­te, was sie an die Fi­gur von Stich­mann erinnere.

Jandl ver­spürt durch den Text die ero­ti­sche Auf­la­dung des klei­nen Städt­chens. Die Ge­schich­te zei­ge die Lust am Schrei­ben in ver­schie­de­nen Varianten.

Ca­duff, die vor­ab wür­digt, daß die rus­si­sche Au­torin, die Deutsch nicht als Mut­ter­spra­che be­sit­ze, an dem Wett­be­werb teil­neh­me. Sie lobt die er­fri­schen­de Spra­che und  fin­det die Ge­schich­te au­ßer­or­dent­lich wit­zig, was sich ihr erst durch den Vor­trag er­schlos­sen ha­be. Sie kri­ti­siert je­doch die Ver­wen­dung von Versatzstücken.

Stri­gl stellt dar­auf­hin zur Fra­ge, ob wir ei­nen Text an­ders le­sen, wenn er von ei­nem Au­tor mit aus­län­di­schen Wur­zeln ver­fasst wor­den sei. Sie er­klärt, der Text ste­he in sla­wi­scher Tra­di­ti­on und er­in­ne­re sie an den leicht skur­ri­len tsche­chi­schen Witz.