Bachmannpreis 3. Tag — Drei mal Liebe und eine wohlgefüllte Arche
Da ich gestern vor lauter Twitter-Zirkus beinahe den ersten Eklat verpasst hätte, wollte ich mich am diesem Vormittag etwas zurückhalten. Der Vorsatz wurde durch keinen unterirdischen Text torpediert. Anders als im letzten Jahr trat diese Kategorie nicht auf, selbst die tibetanische Totenmeditation war meilenweit von der letztjährigen Teebeutelprosa entfernt.
Nachdem der Moderator Christian Ankowitsch dem Publikum mit einem literarischen Schuhlöffel in die Blecharena verhalf, begann Katharina Gericke die erste Lesung. Sie ist die Kandidatin Burkhard Spinnens. Gericke, die als Dramaturgin schon auf einigen Bühnen arbeitete, lebt in Berlin, wo auch ihr Videoporträt spielt. Die Reportage zeigte ihr Engagement für ein Theaterprojekt in Moabit. Obwohl ich diese Introfilme eher als Zeitverschwendung sehe, fand ich diesen angenehm und informativ.
Katharina Gericke erzählte in balladenartigen Ton von der Annäherung eines älteren Paares, dessen aufkeimendes Interesse füreinander an einem fremden Paar strandet. Der Titel „Down Down Down to the Queen of Chinatown“ ist einem Song von Amanda Lear entnommen, was die Jury als literarische Referenz würdigte.
Der Text wurde von den Kritikern sehr gut aufgenommen, besonders vom Vortrag waren sie angetan. Das verwunderte mich sehr. Nach der harten Kritik an Romana Ganzonis Vortragsstil, hatte ich damit gerechnet, daß auch Gerickes gestenreiches Deklamieren missfallen würde. Mitnichten, Lesung wie Text erhielten von guter Laune gesättigtes Lob.
Daniela Strigl hatte die „Außenseitergeschichte“ mit großem Vergnügen gelesen. Sie lobte die Ironie und die „Blankversherrlichkeit“ der Sprache. Winkels gefiel wie die Autorin den Versuch über Liebe zu sprechen mit der Oper verschränkt. Auch Meike Feßmann zeigte sich angetan von diesem „schrägen Text“ über zwei Sprachlose. Zugleich stellte sie die Frage, ob er Pathos, Kunst oder Dilettantismus sei. Während das „kleines Zauberstück über eine Elende“ Keller in eine mittlere Lage des Vergnügens stimmte.
Dusini lobte die sehr gut gebaute Verschachtelung mit der Oper und sah dem Hund an, daß er der Divina Comedia entsprungen war. Lediglich die Jambisierung empfand er als überzogen.
Spinnens gewohnt lange Rede kreiste um die „romantische Ironie“.
Strigl widersprach den Vorwürfen Feßmanns und Dusinis und Hildegard Keller, die ich bei diesem Bachmannwettbewerb sehr schätzen gelernt habe, bittet die Kollegen nicht zu weitschweifig zu interpretieren. Sie sprach vom Rüden- und Höllenhundalarm und rief damit Dusini auf den Plan, der sich angesprochen fühlte.
Die Diskussion endete mit der meiner Meinung nach sehr berechtigten Frage Feßmanns, ob die Kollegen den Text jetzt nicht hochgepuscht hätten.
Bis auf einen deutschen Köter und Rimbaudsche Fliegen gab es keinen Zuwachs für Arche-Ingeborg. Ob das ein Indiz ist?
Der von Hannover nach Wien emigrierte Cartoonist, Musiker und Schriftsteller Tex Rubinowitz ersparte als Einziger dem Publikum das Video. Ihn führte in diesem Jahr die Einladung Daniela Strigls nach Klagenfurt, wo er zur Bachmannpreissaison fast zum Inventar gehört. Auch diesmal ist er neben seiner Rolle als Kandidat für musikalische Abendprogramme zuständig. In seinem Text „Wir waren niemals hier“ erinnert sich der Protagonist mit viel Selbstironie an eine lange zurück liegende wenig geglückte Beziehung.
Winkels zog eine Parallele zum vorher gehenden Text. Der Autor schildere seine Liebesgeschichte nicht in einer Literatur- sondern in der Umgangssprache, doch auch dies sei klug und schön.
„Erfrischend ohne literarische Bedeutungsschwere“ lautete Dusinis Lob für dieses „souveräne Stück Understatement“.
Feßmann war vom „seltsamen Missverhältnis des Liebespaars“ angetan, Keller vom „Sexappeal“ des lakonischen Protagonisten.
Strigl stellte heraus, daß Rubinowitz, auf den „vielleicht schon österreichische Tradition abgefärbt“ habe, einen ganz eigenen Ton besitze.
Spinnen hatte „nicht mehr viel hinzuzufügen“ bis auf eine „kleine Anmerkung“, der Autor habe „scheußlich gelesen“, was von Strigl vehement mit „kongenial gelesen“ widersprochen wurde.
Ich teile Spinnens Meinung in diesem Fall, die Lesung war schnell und schluderig, was sicher nicht bewusst so gestaltet wurde. Die Geschichte hat mich allerdings als einzige bisher zum Lachen gebracht und in ihrer Art an Sven Regeners „Herr Lehmann“ erinnert. Ich tippe auf den Publikumspreis, die Jury hat sich ja auch einnehmen lassen.
Zum Bachmannpreis reicht es aber wohl nicht, zuviel Getier für die Arche-Ingeborg, unter anderem Kuckuck, Spatz, Huhn, Hecht, Oktopus, Ameise sowie die gemeine Gebüschkatze und die skurrile Schulterschlange.
Der Grazer Literaturwissenschaftler Georg Petz hatte als letzter Bachmann-Vorleser eine ungute Position, wie sich erweisen sollte. Die Glückspillen, die am Morgen die Jury zu euphorischen Höhenflügen stimulierten, hatten in ihrer Wirkung wohl nachgelassen. Den Kandidaten von Hildegard Keller habe ich leider nicht live erlebt. Vielleicht wäre ich dann nicht so erstaunt über das teilweise harsche Urteil der Kritiker gewesen. So habe ich, ausgeruht und nicht durch vorrangegangene Lesungen strapaziert, Vortrag und Diskussion im Nachhinein gesehen und mich gewundert.
Petz’ Vortragsstil, der unter den Juroren diesmal nicht zur Debatte stand, war angenehm zurückhaltend und im richtigen Tempo. In „Millefleurs“ schildert er die Rivalität zweier junger Männer um die Liebe einer Frau. Durch die verschiedenen Nationalitäten und den Handlungsort an Kriegsschauplätzen der Normandie erhält die Geschichte Spiegelung und gleichzeitig Konfliktpotential.
Die Idee diese Konkurrenz historisch einzubetten gefiel Feßmann, sprachlich fand sie sie allerdings nicht gut bewältigt. Die Bilder seien „übertrieben blumig und blasig“.
Winkels empfand Beklemmung angesichts der Begegnung von individueller Geschichte und Kriegsgeschichte.
An die Blumenornamente spätgotischer Tapisserien fühlte sich Steiner erinnert, das zentrale Motiv des Textes verschwinde im Ornament.
Keller fand, daß Petz die „Verschachtelung der verschiedenen Ebenen sehr überzeugend gelöst“ habe. Aber auch Spinnen kritisierte, ihn störten die vielen Metaphern. Außerdem sei der Kampf im Wasser nicht präzise genug dargestellt. Er wollte genau wissen, wer wo wen angefasst habe, was auch Feßmann interessierte.
Dies sei eine „schwerblütige Antwort auf Jules und Jim“, so Strigl, aber zu viel Kunsthandwerk. Gut gefiel ihr das „gute Ende“.
Dusini äußerte sich unzufrieden über Nationalismus, Sprache, Körper, Macht und Erotisierung.
Die gehäufte, und wie ich finde auch überzogenen Kritik, ‑warum muss ein Kampf so dargestellt werden, daß er in allen Einzelheiten nachvollziehbar ist?-, versuchte Keller den Umständen zuzuschreiben. Dies sei die dritte Liebesgeschichte an diesem Morgen und weder eine Posse noch eine Parodie, darin liege das Problem, worauf ein kleiner Disput zwischen ihr und Feßmann um die poetischen Mittel des Textes aufkam.
Da Petz unter seinen Blumen auch mehrere Astern einstreute, rechnete ich fest damit, daß wenigstens ein Kritiker Gottfried Benn herbeiraunen würde. Das geschah nicht.
Mir hat die laut Keller „große Meditation über die Natur mit viel Pathos“ gut gefallen. Dank Petz hält auf der Arche Meeresfauna Einzug, Austern, Miesmuscheln, Korallen, Seesterne, Kraken, Krabben außerdem viele Vögel.
Siegerprognose:
Die Jury wird sicherlich Michael Fehr, Katharina Gericke, Gertraud Klemm, Tex Rubinowitz und Senthuran Varatharajah als Preisträger wählen.
Meine Favoriten sind Roman Marchel, Senthuran Varatharajah, Tex Rubinowitz, Georg Petz und Romana Ganzoni.
Hallo Atalante,
herzlichen Glückwunsch und Hut ab! Deine Prognose war 100% richtig!
Ich hinke noch hinterher, Freitag und Samstag konnte ich den Wettbewerb nicht verfolgen. Marchel gehört aber auch für mich schon zum Favoriten … und Gericke auch 🙂
LG und danke nochmals … für die ganze Zusammenstellung der Arche 🙂
Dana
Wenn man das Publikum mit seinem Preis einbezieht, dann hatte ich wirklich nur Treffer. Leider muss ich sagen.
Ich bin sehr dafür, künftig die Texte anonym und von ausgebildeten Sprechern vorlesen zu lassen. Das wäre interessant.
Ich habe mir vorgenommen, die Texte meiner Favoriten noch einmal ausführlich hier zu analysieren.
Tja, die Arche, da habe ich vielleicht das ein oder andere Viech vergessen? 😉
Herzliche Grüße und danke für Deinen Kommentar, Dana.