TddL ’18 — Well-made Wettbewerb?

Eine Nachlese

Al­les ist ei­ne Fra­ge der Spra­che“, der Satz In­ge­borg Bach­manns fiel häu­fig beim dies­jäh­ri­gen Bach­mann-Wett­be­werb und er lei­te­te auch die Ab­stim­mung am Sonn­tag­vor­mit­tag ein. Mo­de­ra­tor Chris­ti­an An­kowitch zi­tier­te al­ler­dings auch ei­nen Satz aus Fer­idun Za­i­mog­lus Er­öff­nungs­re­de, des­sen Aus­sa­ge „wir ste­hen bei den Ver­las­se­nen“ im Hin­blick auf die Preis­ver­ga­be fast pro­gram­ma­tisch scheint.

Mich hat das Spek­ta­kel sehr über­rascht. Ich war er­staunt, daß in­ter­es­san­te Tex­te die­ses Jahr­gangs auf der Short­list fehl­ten. Dort fan­den sich die Au­toren Bov Bjerg, Jo­shua Groß und die Au­torin­nen Öz­lem Öz­gül Dündar, Ra­pha­e­la Edel­bau­er, Al­ly Klein, Tan­ja Mal­jart­schuk und An­na Stern. Letz­te­re war ei­ne un­ver­ständ­li­che Wahl. Die ve­he­men­te Kri­tik an ih­rem Text wäh­rend der Ju­ry­dis­kus­si­on er­wies sich schließ­lich so­gar bei der Ab­stim­mung nicht als Hin­der­nis. Sie er­hielt für „War­ten auf Ava“ den 3sat-Preis, selbst  sehr über­rascht, wie ih­re ver­blüff­te Mie­ne zeig­te. Das Er­stau­nen war ver­ständ­lich nach den wech­seln­den Vo­tie­run­gen wäh­rend der Wahl­durch­gän­ge. Das Wahl­sys­tem ist un­be­frie­di­gend und kick­te im Lau­fe des Vor­mit­tags, wie be­reits in den Vor­jah­ren, oft no­mi­nier­te Kan­di­da­ten raus.

Zur Wahl des Bach­mann­prei­ses, der ers­te von vier von der Ju­ry ver­ge­be­nen, reich­ten zwei Wahl­gän­ge. Tan­ja Mal­jart­schuk be­ein­druck­te mit ih­rem Text „Frö­sche im Meer“ und si­cher auch mit ih­rer Vi­ta. Die 35-jäh­ri­ge Ukrai­ne­rin lebt seit sie­ben Jah­ren in Ös­ter­reich. Die prä­mier­te Er­zäh­lung ist ihr ers­tes li­te­ra­ri­sches Werk, das sie in deut­scher Spra­che ver­fasst hat. Dies ist ei­ne be­acht­li­che Leis­tung. Doch bringt der gut ge­mach­te Text auch in Struk­tur und In­halt neue Im­pul­se? Mal­jart­schuk er­zählt die Ge­schich­te zwei­er Au­ßen­sei­ter, ei­nes il­le­ga­len Im­mi­gran­ten und ei­ner de­men­ten Frau, die sich zur ge­gen­sei­ti­gen Stüt­ze wer­den. Die Au­torin greift die ak­tu­el­le Pfle­ge- und Asyl­de­bat­te auf, stat­tet sie al­ler­dings mit zahl­rei­chen Kli­schees aus. Ne­ben den Haupt­fi­gu­ren, Pe­tro, dem recht­schaf­fe­nen, hei­mat- und halt­los ge­wor­de­nen Fremd­ar­bei­ter und der lie­bens­wer­ten von An­ge­hö­ri­gen und al­len gu­ten Geis­tern ver­las­se­nen Frau Grill, fin­den sich Mi­gran­ten, die Be­hör­den be­trü­gen und ihr Heim­weh mit Al­ko­hol be­täu­ben, An­ge­hö­ri­ge, die ih­re Al­ten al­lei­ne las­sen, Pfle­ge­diens­te, die ver­sa­gen, „al­te Frem­de“, die Fein­de der „neu­en Frem­den“ sind.  So­gar die bö­se Deut­sche in Be­glei­tung schar­fer Hun­de und Po­li­zei fehlt nicht. Ge­krönt wird al­les von ei­nem of­fe­nen En­de, das ei­nen hoch­dra­ma­ti­schen Schluss na­he­legt. Der sprach­lich kon­ven­tio­nel­le Text bie­tet in sei­ner Ge­rad­li­nig­keit kaum Rück­bli­cke und ab­ge­se­hen von den ti­tel­ge­ben­den Frö­schen we­nig Metaphern.

Wie­viel reich­hal­ti­ger ist da­ge­gen Ra­pha­e­la Edel­bau­ers Text „Das Loch“. Edel­bau­er ver­knüpft ein his­to­risch in­ter­es­san­tes Su­jet mit den ak­tu­el­len Be­mü­hun­gen, die Ge­bäu­de ei­nes Dor­fes vor dem Zer­fall zu ret­ten. Ein­drucks­voll be­wirkt sie dies vor al­lem über Me­ta­phern, die das Zu­schüt­ten der Sub­struk­tio­nen ei­nes Berg­wer­kes und das Ver­drän­gen von Er­in­ne­rung be­schrei­ben. Die­se tech­ni­schen Vor­gän­ge, die so gut die in­ne­re Ver­fasst­heit der Be­woh­ner spie­geln, schil­dert der In­ge­nieur und Ich-Er­zäh­ler. Ob das Zu­schüt­ten von Schäch­ten und Er­in­ne­run­gen tat­säch­lich die Sta­bi­li­tät ei­nes Dorfs ret­ten wird und wel­che Rol­le der Auf­fül­lungs­ge­hil­fe da­bei spielt, mo­ti­viert zum Wei­ter­le­sen. Ein be­ein­dru­cken­der Ro­man­an­fang, der für mich weit vor­ne stand. Aus­ge­zeich­net wur­de er mit dem Pu­bli­kums­preis, ge­stif­tet von der BKS Bank.

Eben­so wie der poe­ti­sche Text „Schnitt­mus­ter“ von Mar­ti­na Cla­va­det­scher, die in bild­haf­ten Spra­che von ei­ner Frau er­zählt, der erst im Ster­ben die Be­frei­ung von ih­rem Schick­sal ge­lingt. Ein er­schüt­tern­des The­ma und ei­ne nur an­schei­nend sanf­te Ab­rech­nung mit der Ungerechtigkeit.

Ei­nen neu­en Ton traf auch Co­rin­na T. Sie­vers pro­vo­kan­te Pro­sa „Der Nächs­te, bit­te!“. Die Dar­stel­lung ei­ner Ob­ses­si­on mit na­tur­wis­sen­schaft­li­chem Be­steck er­zeug­te ge­woll­te Ver­wir­rung, zu der die Über­schnei­dung von Au­torin und Fi­gur bei­tru­gen. Auch die­ser Text hät­te auf die Short­list gepasst.

Zu­recht ei­nen Preis er­hielt Bov Bjerg für sei­ne psy­cho­lo­gi­sche Er­zäh­lung „Ser­pen­ti­nen“ , in der je­des Wort ge­nau ge­setzt ist. Emo­tio­na­ler schil­dert Öz­lem Öz­gül Dündar in „und ich bren­ne“ die Not und die Trau­er nach ei­nem An­schlag. Ih­re Mo­no­lo­ge, ge­spro­chen von Müt­tern der Op­fer und Tä­ter, er­hal­ten durch Klein­schrei­bung und den Ver­zicht auf Satz­zei­chen et­was un­ge­heu­er Drängendes.

Eben­falls auf der Short­list stand Jo­shua Groß, sein Text fiel ähn­lich wie Edel­bau­ers Text dem Wahl­pro­ze­de­re zum Op­fer. War­um sein „Fle­xen in Mi­ami“ je­doch mehr ge­fiel als Len­nardt Loß‘ span­nen­der Flug­zeug­ab­sturz mit RAF-Ein­spreng­seln er­schließt sich mir nicht.

Ach ja, fast hät­te ich Al­ly Klein ver­ges­sen, ge­nau wie die Ju­ry, die ih­re Short­list­kan­di­da­tin totschwieg.

Ei­ni­ges bleibt rät­sel­haft beim dies­jäh­ri­gen Bachmann-Wettbewerb.

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