Eine Nachlese
„Alles ist eine Frage der Sprache“, der Satz Ingeborg Bachmanns fiel häufig beim diesjährigen Bachmann-Wettbewerb und er leitete auch die Abstimmung am Sonntagvormittag ein. Moderator Christian Ankowitch zitierte allerdings auch einen Satz aus Feridun Zaimoglus Eröffnungsrede, dessen Aussage „wir stehen bei den Verlassenen“ im Hinblick auf die Preisvergabe fast programmatisch scheint.
Mich hat das Spektakel sehr überrascht. Ich war erstaunt, daß interessante Texte dieses Jahrgangs auf der Shortlist fehlten. Dort fanden sich die Autoren Bov Bjerg, Joshua Groß und die Autorinnen Özlem Özgül Dündar, Raphaela Edelbauer, Ally Klein, Tanja Maljartschuk und Anna Stern. Letztere war eine unverständliche Wahl. Die vehemente Kritik an ihrem Text während der Jurydiskussion erwies sich schließlich sogar bei der Abstimmung nicht als Hindernis. Sie erhielt für „Warten auf Ava“ den 3sat-Preis, selbst sehr überrascht, wie ihre verblüffte Miene zeigte. Das Erstaunen war verständlich nach den wechselnden Votierungen während der Wahldurchgänge. Das Wahlsystem ist unbefriedigend und kickte im Laufe des Vormittags, wie bereits in den Vorjahren, oft nominierte Kandidaten raus.
Zur Wahl des Bachmannpreises, der erste von vier von der Jury vergebenen, reichten zwei Wahlgänge. Tanja Maljartschuk beeindruckte mit ihrem Text „Frösche im Meer“ und sicher auch mit ihrer Vita. Die 35-jährige Ukrainerin lebt seit sieben Jahren in Österreich. Die prämierte Erzählung ist ihr erstes literarisches Werk, das sie in deutscher Sprache verfasst hat. Dies ist eine beachtliche Leistung. Doch bringt der gut gemachte Text auch in Struktur und Inhalt neue Impulse? Maljartschuk erzählt die Geschichte zweier Außenseiter, eines illegalen Immigranten und einer dementen Frau, die sich zur gegenseitigen Stütze werden. Die Autorin greift die aktuelle Pflege- und Asyldebatte auf, stattet sie allerdings mit zahlreichen Klischees aus. Neben den Hauptfiguren, Petro, dem rechtschaffenen, heimat- und haltlos gewordenen Fremdarbeiter und der liebenswerten von Angehörigen und allen guten Geistern verlassenen Frau Grill, finden sich Migranten, die Behörden betrügen und ihr Heimweh mit Alkohol betäuben, Angehörige, die ihre Alten alleine lassen, Pflegedienste, die versagen, „alte Fremde“, die Feinde der „neuen Fremden“ sind. Sogar die böse Deutsche in Begleitung scharfer Hunde und Polizei fehlt nicht. Gekrönt wird alles von einem offenen Ende, das einen hochdramatischen Schluss nahelegt. Der sprachlich konventionelle Text bietet in seiner Geradlinigkeit kaum Rückblicke und abgesehen von den titelgebenden Fröschen wenig Metaphern.
Wieviel reichhaltiger ist dagegen Raphaela Edelbauers Text „Das Loch“. Edelbauer verknüpft ein historisch interessantes Sujet mit den aktuellen Bemühungen, die Gebäude eines Dorfes vor dem Zerfall zu retten. Eindrucksvoll bewirkt sie dies vor allem über Metaphern, die das Zuschütten der Substruktionen eines Bergwerkes und das Verdrängen von Erinnerung beschreiben. Diese technischen Vorgänge, die so gut die innere Verfasstheit der Bewohner spiegeln, schildert der Ingenieur und Ich-Erzähler. Ob das Zuschütten von Schächten und Erinnerungen tatsächlich die Stabilität eines Dorfs retten wird und welche Rolle der Auffüllungsgehilfe dabei spielt, motiviert zum Weiterlesen. Ein beeindruckender Romananfang, der für mich weit vorne stand. Ausgezeichnet wurde er mit dem Publikumspreis, gestiftet von der BKS Bank.
Ebenso wie der poetische Text „Schnittmuster“ von Martina Clavadetscher, die in bildhaften Sprache von einer Frau erzählt, der erst im Sterben die Befreiung von ihrem Schicksal gelingt. Ein erschütterndes Thema und eine nur anscheinend sanfte Abrechnung mit der Ungerechtigkeit.
Einen neuen Ton traf auch Corinna T. Sievers provokante Prosa „Der Nächste, bitte!“. Die Darstellung einer Obsession mit naturwissenschaftlichem Besteck erzeugte gewollte Verwirrung, zu der die Überschneidung von Autorin und Figur beitrugen. Auch dieser Text hätte auf die Shortlist gepasst.
Zurecht einen Preis erhielt Bov Bjerg für seine psychologische Erzählung „Serpentinen“ , in der jedes Wort genau gesetzt ist. Emotionaler schildert Özlem Özgül Dündar in „und ich brenne“ die Not und die Trauer nach einem Anschlag. Ihre Monologe, gesprochen von Müttern der Opfer und Täter, erhalten durch Kleinschreibung und den Verzicht auf Satzzeichen etwas ungeheuer Drängendes.
Ebenfalls auf der Shortlist stand Joshua Groß, sein Text fiel ähnlich wie Edelbauers Text dem Wahlprozedere zum Opfer. Warum sein „Flexen in Miami“ jedoch mehr gefiel als Lennardt Loß‘ spannender Flugzeugabsturz mit RAF-Einsprengseln erschließt sich mir nicht.
Ach ja, fast hätte ich Ally Klein vergessen, genau wie die Jury, die ihre Shortlistkandidatin totschwieg.
Einiges bleibt rätselhaft beim diesjährigen Bachmann-Wettbewerb.