Die universale Benetton-Farbe des Bluts“

Marie Darrieussecq hinterfragt in „Man muss die Männer sehr lieben“ den subtilen Rassismus

Darrieussecq_24902_MR.inddEr war ein Mann mit ei­ner Gro­ßen Idee. Die sah sie in sei­nen Au­gen leuch­ten. Sei­ne Pu­pil­le roll­te sich zum glü­hen­den Band zu­sam­men. Sie drang in sei­ne Au­gen ein, um mit ihm dem Fluss zu fol­gen (…) aber wer war der Mann auf dem Fo­to? Wer ist der Mann, des­sen Fo­tos in den Klatsch­blät­tern von Hol­ly­wood kur­sie­ren? Wer ist der Mann, der sie an­ge­blickt hat­te, der sie in ih­rer Er­in­ne­rung an­blickt? Ih­re Haut weist von ihm kei­ner­lei Spu­ren mehr auf, nur die Spu­ren der Zeit (…).“

Bleibt das Ge­gen­über nicht im­mer ein Rät­sel, egal wie nah man ihm kommt? Sein In­ners­tes ist un­zu­gäng­lich. Ge­pan­zert durch die Fas­sa­de des Kör­pers, mit der Haut als letz­tem Wall, als si­che­re Schutz­schicht, egal wel­che Far­be sie hat.

Far­be? Ei­ne Ka­te­go­rie, die in un­se­rer Zeit nichts mehr ver­lo­ren hat? Ver­lo­ren ha­ben soll­te? Erst recht im Be­wusst­sein ei­ner to­le­ran­ten, li­be­ra­len, ge­bil­de­ten, wei­ßen eu­ro­päi­schen Frau?

Ei­ne sol­che Frau, So­lan­ge, Mit­te 30 und Schau­spie­le­rin, macht die fran­zö­si­sche Au­torin Ma­rie Dar­rieu­ss­ecq zur Haupt­fi­gur ih­res neus­ten Werks. Der Be­zie­hungs­ro­man trägt den programmatischen

Ti­tel „Man muss die Män­ner sehr lie­ben“ und ist doch viel mehr als die schon oft er­zähl­te Ge­schich­te zwi­schen Mann und Frau.

So­lan­ge hat es mit klei­ne­ren Rol­len bis nach Hol­ly­wood ge­schafft. Auf Par­tys be­geg­net sie be­rühm­ten Kol­le­gen und ei­nes Nachts im Ge­fol­ge ei­nes ge­wis­sen Ge­or­ges ei­nem fas­zi­nie­ren­den Mann. Vom at­trak­ti­vem Äu­ße­ren die­ses Schau­spie­lers be­ein­druckt So­lan­ge be­son­ders eins, sei­ne Haut. An­ders als ih­re ei­ge­ne blas­se, durch­schei­nen­de Fran­zö­sin­nen­haut ist sie dun­kel und schwarz, der Ka­na­di­er Ko­u­houesso kommt aus Ka­me­run. Die­se An­ders­ar­tig­keit evo­ziert ei­nen Exo­tis­mus in So­lan­ges Ge­dan­ken­welt, die Dar­rieu­ss­ecq, pro­mo­vier­te Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin und Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin, zur Haupt­büh­ne der Ge­schich­te macht.

Wir tref­fen auf das Be­wusst­sein die­ser ver­zwei­felt Lie­ben­den. Er­le­ben, wie sie im­mer stär­ker von ih­rer Ob­ses­si­on be­setzt wird, wie sie sich ge­gen die emo­tio­na­le Ab­hän­gig­keit wehrt. Das Ob­jekt ih­rer Be­gier­de bleibt un­durch­dring­lich. Nur in der kur­zen Sze­ne ei­nes Films, in Ko­u­houessos ver­sun­ke­nem Blick aufs Meer, meint So­lan­ge ei­nen Schlüs­sel zu sei­nem Ich zu fin­den. Sonst gibt er sich zu­rück­hal­tend, mel­det sich nicht, hält Ver­ab­re­dun­gen nicht ein. Doch So­lan­ge hält an ihm fest, nicht oh­ne sich ih­rer ei­ge­nen Kri­tik aus­zu­set­zen. Sie fragt, ob nicht al­lei­ne sei­ne Her­kunft, sei­ne Haut­far­be ihn für sie so an­zie­hend macht. Und kann um­ge­kehrt nicht den Ge­dan­ken ver­hin­dert, ob er sie nur be­gehrt, weil sie weiß ist.

Dar­rieu­ss­ecq er­zählt nicht nur ei­ne Be­zie­hungs­ge­schich­te, son­dern dis­ku­tiert an die­ser Vor­la­ge den noch im­mer exis­ten­ten Ras­sis­mus. Kli­schees und Ste­reo­ty­pe ver­deut­li­chen ihr An­lie­gen und kon­fron­tie­ren den Le­ser mit der ihm ver­trau­ten eu­ro­zen­tris­ti­schen Sicht eben­so wie mit dem frem­den Blick.

Ei­ne Be­ar­bei­tung die­ser ko­lo­nia­len Bil­der ver­folgt Ko­u­houesso mit ei­nem Film­pro­jekt. Er möch­te Jo­seph Con­rads „Herz der Fins­ter­nis“ neu ver­fil­men. Nicht am Kon­go, doch im In­ne­ren Afri­kas, das „ei­ne Er­fin­dung der Eth­no­lo­gen“ sei, ge­nau wie Afri­ka­ner kei­ne Schwar­zen sei­en, „sie sind Ban­tu und Ba­ka, Ni­lo­ten und Man­din­ka, Khoikhoi und Swa­hi­li“. Das Bild der Wei­ßen von die­sem Kon­ti­nent be­deu­te Ur­wald, Mü­cken, Ma­ni­ok und un­hy­gie­ni­sche Ver­hält­nis­se, kurz ge­sagt „Dun­kel­heit und Ele­fan­ten“.

Als der Film ge­dreht wird mit Ge­or­ge in der Rol­le des Kurtz und mit So­lan­ge als des­sen Braut ‑ei­ne klei­ne Ne­ben­rol­le, die sie Kou ab­ge­zwun­gen hat- ent­spre­chen die Um­stän­de am Set al­len Kli­schees, die der Film zu ver­mei­den sucht.

Doch Kli­schees ver­sim­peln nicht nur den Blick auf das Frem­de, sie die­nen auch der Be­set­zung von Schau­spie­lern. So­lan­ge er­hält in Hol­ly­wood meist die Rol­le der apar­ten Fran­zö­sin, die mit star­kem Ak­zent in die Ka­me­ra spricht, egal wie gut ihr Ame­ri­ka­nisch auch sei.

Die Mas­ken­bild­ne­rin­nen, Ol­ga und Nat­su­mi, bei­de Asia­tin­nen, wer­den von den afri­ka­ni­schen Set­mit­ar­bei­tern stets als Chi­ne­sin­nen be­ti­telt. Da­bei wür­de die Ja­pa­ne­rin Nat­su­mi in Frank­reich „mehr gel­ten als ei­ne Chi­ne­sin und viel mehr als ei­ne Ara­be­rin, doch we­ni­ger als ei­ne Spa­nie­rin oder so­gar we­ni­ger als ei­ne Por­tu­gie­sin“. Es le­be die post­ko­lo­nia­le Rang­lis­te. Die­se Be­haup­tun­gen un­ter­stützt Dar­rieu­ss­ecq mit Ver­wei­sen auf Sar­ko­zy und die Le-Pen-Wäh­ler, wo­durch der Ro­man ei­ne deut­lich po­li­ti­sche Di­men­si­on erhält.

Ih­re Hel­din So­lan­ge er­kennt be­trof­fen, wo­her ih­re ras­sis­ti­sche Ein­stel­lung kommt, „aus dem Mo­rast ih­res Dor­fes, fern von Los An­ge­les, aber ver­kro­chen in ih­rem Hin­ter­kopf- und sie möch­te sich ent­schul­di­gen, ihr sa­gen, wir sind al­le gleich. Sie möch­te sich die Hand auf­rei­ßen, um ihr die uni­ver­sa­le Be­net­ton-Far­be ih­res Bluts zu zeigen“.

Was weiß sie schon von der Ge­schich­te des Kon­go, von sei­ner bel­gi­schen Ver­gan­gen­heit kennt sie eben­so we­nig wie von der Kunst und Li­te­ra­tur au­ßer­halb der wei­ßen, west­li­chen Welt. Von Cé­saire, Ache­be, Soy­in­ka hat­te sie we­der ge­hört noch et­was ge­le­sen. Die Kunst­wer­ke, de­ren Re­pro­duk­tio­nen sie in Kous Woh­nung be­geg­net, er­kennt sie nicht ein­mal, ob­wohl sie im Bri­ti­schen Mu­se­um aus­ge­stellt sind.

Ne­ben der Fremd­heit der Eth­nie­en the­ma­ti­siert Dar­rieu­ss­ecq auch die Fremd­heit der Ge­schlech­ter. So­lan­ge ist ei­ne Dulde­rin, die in emo­tio­na­le Ab­hän­gig­keit ge­rät und un­ter der War­te-Krank­heit lei­det. Ei­ne „weib­li­che Geis­tes­krank­heit“ wie Ro­se, ih­re fran­zö­si­sche Freun­din und Psych­ia­te­rin, am Te­le­fon fest­stellt. Man den­ke an Proust, der eben­falls dar­un­ter litt.

Ei­ne Zu­kunft ha­ben die Bei­den nicht, denn selbst im mo­der­nen Hol­ly­wood sind Be­zie­hun­gen zwi­schen Wei­ßen und Schwar­zen ver­pönt selbst im Film.

Wenn ein Wei­ßer und ei­ne Schwar­ze –ein Schwar­zer und ei­ne Wei­ße- sich ei­ne Spur zu na­he kom­men, gibt es ei­ne Art Alarm­si­gnal, die Zu­schau­er er­star­ren, die Pro­du­zen­ten ge­bie­ten Ein­halt, die Dreh­buch­au­to­ren ha­ben die Fra­ge be­reits ge­klärt, der schwar­ze Schau­spie­ler weiß, dass er die wei­ße Schau­spie­le­rin nicht ver­füh­ren wird: an­sons­ten wird dar­aus ein an­de­ren Film, ein Sit­ten­bild, ei­ne Af­fä­re, ein Problemfall.“

Marie Darrieussecq, Man muss die Männer sehr lieben, übers. v. Patricia Klobusiczky, Hanser Verlag, 1. Aufl. 2016

2 Gedanken zu „Die universale Benetton-Farbe des Bluts““

    1. Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar, Tina.
      Mich hat der Ro­man über­rascht, er kommt zu­nächst sehr fran­zö­sisch da­her und er­in­nert an die Be­zie­hungs­fil­me von Eric Roh­mer oder Ju­lie Del­py. Doch bald merkt man, daß es der Au­torin um mehr geht. Ei­ne Li­te­ra­tur­kreis-Lek­tü­re, die sich ge­lohnt hat.

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