Viel Theater um die Ehre in Henry James” „Eine Dame von Welt”
„Wissen Sie, es ist das beste Theater“, sagte sie zu Waterville, als wollte sie sich leutselig geben. „Und das ist Voltaire, der berühmte Schriftsteller.“
„Ich liebe die Comédie-Française“, antwortete Waterville lächelnd.
„Ein furchtbar schlechtes Haus, wir haben kein Wort verstanden“, sagte Sir Arthur.
„Ach ja, die Logen“, murmelte Waterville.
„Ich bin ziemlich enttäuscht“, fuhr Mrs. Headway fort. „Aber ich will sehen, was aus der Frau wird.“
„Dona Clorinde? Ach, vermutlich wird sie erschossen, in französischen Stücken werden die Frauen meistens erschossen“, meinte Littlemore.
„Das wird mich an San Diego erinnern!“, rief Mrs. Headway.
„Nicht doch, in San Diego waren es die Frauen, die schossen.“
„Sie scheinen sie nicht erschossen zu haben!“, erwiderte Mrs. Headway keck.
„Nein, aber ich bin von Wunden durchlöchert.“
Sie fängt schon gut an diese Comédie Française. Im Haus des gleichnamigen Pariser Theaters lässt James seine Hauptdarsteller zum ersten Mal auftreten. Die beiden befreundeten Amerikaner Rupert Waterville und George Littlemore sitzen zwar in Bühnennähe, richten ihre Aufmerksamkeit jedoch auf die Damen im Publikum. Das Stück verfolgen sie nur nebenbei, sein Titel L’Aventurière scheint eine vorauseilende Charakterisierung von James weiblicher Hauptfigur.
Als unbeschreibliche Schönheit gerät sie ins Visier von Watervilles Opernglas, „das kaum weniger verletzend wirkt als eine doppelläufige Flinte“. Auf sein Drängen blickt auch Littlemore hindurch und sein Desinteresse an Watervilles Beutezügen wandelt sich abrupt ins Gegenteil. Er kennt diese Frau und obwohl er seine frühere Bekannte als nicht ehrenhaft bezeichnet, möchte er sie doch wiedersehen.
Gelegenheit dazu bietet die Pause, sie entdecken die Dame und ihren Begleiter im Salon. Dort steht das Paar vor der Statue Voltaires, dem Verfasser von Candide, den die Staunende wenigstens durch ihre strahlend weiße Garderobe ehrt. Waterville erkennt, daß sie Amerikanerin ist, da sie den Freund lautstark als alten Bekannten begrüßt. Der bestätigt dies und weiß noch mehr, Mrs. Headway formerly known as Nancy Beck hat bereits mehrere Männer und Ehen hinter sich.
Nun lässt sie sich von einem jungen englischen Baronet hofieren, Sir Arthur Demesne, den das Vorleben seiner Dame kaum kümmert. Sie will es endgültig hinter sich lassen und strebt eine Ehe und die Aufnahme in die Gesellschaft an. Littlemore, der seit längerem auf der Insel lebt und dessen Schwester in die besten britischen Kreise eingeheiratet hat, sollen ihr dabei helfen. Doch der verspürt zwar Interesse am Schicksal der „neue Inkarnation der Nancy Beck“, will sich allerdings nicht als Türöffner benutzen lassen.
Schon nach wenigen Seiten warnt der Erzähler „in französischen Stücken werden die Frauen meistens erschossen“. Soweit kommt es mit Mrs. Headway nicht. Die Hürden auf dem Weg zur Wohlanständigkeit liegen jedoch hoch, zudem ist er mit kulturellen Stolpersteinen übersät. Henry James, der nach Jahren in Europa schließlich England zum Wohnsitz wählte, weiß „dass es auf der Welt viele Vaterländer gibt, und dass jedes mit vorzüglichen Menschen gefüllt ist, denen die lokalen Eigenheiten als das Einzige erscheinen, das nicht weitgehend barbarisch ist“.
Littlemore glaubt nicht, daß seine Bekanntschaft aus San Diego jemals einen ehrenwerten Status in Europa erlangen wird, sie ist indiskret, taktlos und verhält sich unangemessen. Mrs. Headway bemerkt seine Einstellung und befürchtet, er könne etwas über ihr Vorleben ausplaudern. An ihrem Ziel hält sie jedoch fest, erreicht sogar eine Zusammenkunft mit der Mutter ihres jungen Verehrers. Diesen Spross britischen Adels serviert James mit eben soviel Vergnügen wie dessen Herzensdame. „Dieser liebenswürdige, vorzügliche, aber ein wenig beschränkte und etwas anmaßende junge Mann (…) sah jünger aus, als er war (…), teils wegen seiner feingeschnittenen Gesichtszüge, teils wegen der fast kindlichen Offenheit seiner runden, blauen Augen. Er war schüchtern und gehemmt, bestimmte Laute konnte er nicht aussprechen. Gleichzeitig besaß er die Manieren eines jungen Mannes, der dazu erzogen worden war, einen bedeutenden Platz in der Welt einzunehmen, dem eine gewisse Korrektheit zur Gewohnheit geworden war und der sich zwar manchmal im Kleinen ungeschickt benahm, sich aber garantiert ehrenhaft verhielt, wenn es um wichtige Dinge ging.“ Seine Zukünftige hingegen „war anzüglich, vertraulich, persönlich; ständig bat sie um etwas oder brachte Beschuldigungen vor, verlangte Erklärungen und Schwüre, sage Dinge, auf die man antworten musste. All das wurde von hundertfachem Lächeln und leuchtenden Blicken und anderen natürlichen Reizen begleitet, doch im Grunde hatte alles eine ermüdende Wirkung. Sie war gewiss überaus charmant, bestrebt zu gefallen und besaß eine prächtige Auswahl an Garderobe und Schmuck, doch sie war übereifrig und gedankenverloren, und andere Menschen konnten ihren Eifer unmöglich teilen“.
Ebenso wie in Daisy Miller besticht auch in Eine Dame von Welt der ironische Blick Henry James’. Beide Novellen erzählen von den Schwierigkeiten einer Amerikanerin von den besseren Kreisen Europas akzeptiert zu werden. Dabei bleibt sich die naiv ehrliche Daisy Miller treu, da sie gar nicht erkennen kann, daß die von ihr gewählte Gesellschaft nicht die richtige ist. Ihre lebens- und liebeserfahrene Landsmännin kennt sich besser aus, sie benutzt den naivsten Teil der Gesellschaft um in diese zu gelangen.
Im Aufbau gleichen sich beide Novellen. Auch die um gut 30 Seiten längere Erzählung Eine Dame von Welt wechselt nach der ersten Hälfte den Schauplatz, wobei James –was als augenzwinkernder Hinweis auf sein früheres Werk gedeutet werden kann- auch Mrs. Headway von einer kurzen Episode in Rom schwärmen lässt. Anders als bei Daisy Miller tritt der dialogische Schlagabtausch jedoch zurück. Dafür dient die eingangs wie ausgangs gestellte Frage nach der Ehrbarkeit der Hauptfigur als Motto und als Klammer, die das Geschehen umfasst. „Skrupellose Frauen, die sich in ehrenwerte Familien einschleichen“ sind auch das Thema von James” Vorlagen. Neben dem Theaterstück L’Aventurière von Émile Augier ist dies Alexandre Dumas’ Le Demi-Monde . Auch in James Werk möchte eine Heldin aus der Demi-Monde eine Dame von Welt werden. Ihr Bestreben bestraft der Autor allerdings nicht mit dem Tod. Er fällt kein moralisches Urteil. Gleich seinem Gewährsmann Littlemore, der immer ein wenig mehr weiß als die anderen, weiß auch er, daß seine Dame nach den Kriterien der besseren Gesellschaft, sei sie nun in New York, London oder Paris, kaum als ehrbar gelten kann, eine wunderbare Frau ist sie trotzdem.
Die Neuausgabe liegt im Aufbau Verlag vor, übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Alexander Pechmann. Ergänzt wird sie von Henry James’ Essay Gelegentlich Paris.
Also als wunderbare Frau habe ich diese Missis Headway nicht empfunden, sondern als eine sehr aufdringlich und unerzogene Person, von der ich die Hände weg halten würde.
ich habe ja geschrieben, ich habe einmal eine Hedwig Courths-Mahler gelesen, wo ich dieses Thema „So etwas heiratet man doch nicht!”, viel besser beschrieben fand. https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/02/21/eine-dame-von-welt/
Es tut mir leid, ich kann diesen plötzlichen Henry James Boom eigentlich nicht nachempfinden, mir erscheint der Autor antiquiert und weit hergeholt, weil wir in Zeiten, wie diesen wahrscheinlich anderes zu tun haben, als „Ist sie ehrbar?”, zu fragen.
Wir haben in Österreich jetzt allerdings (außerdem dem des Kaiser Franz Joseph, der mich auch nicht sehr interessiert) anderen hundertsten Sterbetag, dem der Marie Ebner von Eschenbach mit einem Symposium https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/03/11/ebner-eschenbach-symposium/ und einer Werkausgabe https://literaturgefluester.wordpress.com/2014/11/07/lotti-die-uhrmacherin-unsuhnbar/ begangen und ich muß sagen, ich empfinde die Baron oder Gräfin viel kritischer und zeitgemäßer, liebe Grüße aus Wien und von den Neuerscheinungen hat mich gerade Ronja von Rönne trotz ihrer mangelnden Feminismuskenntnisse sehr beeindruckt https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/03/17/wir-kommen/.
Mit der Einschätzung der Dame bist Du zweifellos in bester Gesellschaft.
Wunderbar finden sie Waterville, Sir Arthur und Littlemore, in geheimer, überwundener und brennender Leidenschaft. Das alles, die zielstrebige Headway, die sie umschwärmenden Männer und die schockierte Gesellschaft, stellt James in einer Art und Weise da, die ich sehr amüsant finde. Sein Thema, das Aufeinanderprallen von interkultureller Differenz und Stereotypen, finde ich sehr aktuell. Darum bin ich froh Henry James durch die Neuauflagen entdeckt zu haben und freue mich schon darauf, demnächst „Die Gesandten” zu lesen. Überflüssig zu sagen, daß ich Ironie schätze, aber Ironie, ach, die ist nicht jedermanns Ding. Wie Dein Vergleich mit Courths-Maler zeigt, bist Du ihr allerdings auch nicht abgeneigt.
In diesem Sinne wimmelt Dein Kommentar ja von wunderbaren Frauen, auf die Du headway-like hinweist.