Der Mythos vom Gaúcho

In Flut kämpft Daniel Galeras Held gegen Angst und Aberglauben

Ich weiß nur, dass wir uns nicht frei ent­schei­den kön­nen, aber trotz­dem so le­ben müs­sen als könn­ten wir es.“ S. 420

Be­stimmt das Schick­sal un­ser Le­ben oder hängt sein Ver­lauf von der ei­ge­nen Kraft und Mo­ti­va­ti­on ab? Die­se Fra­gen stellt Flut, der neue Ro­man des Bra­si­lia­ners Da­ni­el Ga­lera. Der in sei­ner Hei­mat an­ge­se­he­ne Au­tor hat be­reits meh­re­re Wer­ke ver­öf­fent­licht, pas­send zum Buch­mes­se-Auf­tritt Bra­si­li­ens wur­de Flut als sein ers­ter Ti­tel ins Deut­sche übertragen.

Der na­men­lo­se Held der Ge­schich­te ist um die Drei­ßig, Tri­ath­let und er­fah­re­ner Trai­ner. Er be­rei­tet sich und an­de­re dar­auf vor, die schwa­chen Mo­men­te zu durch­ste­hen und aus ei­nem Down wie­der auf­zu­tau­chen. Doch taugt die­ses Trai­ning auch für das Le­ben? Vor al­lem, wenn die­ses als vor­her­be­stimmt an­ge­se­hen wird? Dem jun­gen Mann nüt­zen Aus­dau­er und Zä­hig­keit auf sei­ner Su­che nach sich und sei­nen Wur­zeln, was ihn nicht nur im über­tra­ge­nen Sin­ne ge­fähr­li­ches Ter­rain durch­que­ren lässt.

Im Pro­log des drei­tei­li­gen Ro­mans, der ge­nau ge­nom­men ein Epi­log ist, er­fährt der Le­ser, daß der Held sein Le­ben ver­lie­ren wird. Doch die Be­zie­hun­gen der Fi­gu­ren er­schei­nen noch un­klar. Ih­re Ge­schich­te er­zählt der Ro­man, der haupt­säch­lich im Küs­ten­ort Ga­ropa­ba spielt, dem per­fek­ten Ort um glück­lich zu sein, wie sei­ne Be­woh­ner behaupten.

Dort lebt der Schwim­mer seit er nach dem Selbst­mord des Va­ters aus dem tur­bu­len­tenFlut Por­to Aleg­re weg­zog. Der Va­ter hin­ter­ließ ihm ei­nen Hund mit dem Auf­trag die­sen ein­zu­schlä­fern so­wie ei­ne un­ge­klär­te Ge­schich­te. Sie han­delt vom Tod des Groß­va­ters, ei­nem Gaúcho, der einst Ta­qua­ra in Rio Gran­de do Sul ver­ließ um in Ga­ropa­ba sein Glück zu su­chen. Da­mals konn­ten die Be­woh­ner noch gut von der Fi­sche­rei le­ben und der Gaúcho hat­te als Apnoi­ker bei der Har­pu­nen­jagd sein Aus­kom­men. Doch er blieb ein Au­ßen­sei­ter. Als sei­ne Ag­gres­si­vi­tät ihn zu­neh­mend un­be­liebt mach­te, ent­le­dig­ten sich die Alt­ein­ge­ses­se­nen sei­ner. Ob es ein Mord war, wur­de nie ge­klärt. Auch Be­wei­se für sei­nen Tod fan­den sich nie. Le­dig­lich ei­ni­ge un­glaub­li­che Er­zäh­lun­gen kur­sier­ten im lo­ka­len Le­gen­den­schatz, an die sich je­doch bald nie­mand mehr er­in­nern woll­te. Der Gaúcho hat­te für die Leu­te aus Ga­ropa­ba nie existiert.

Miss­traui­sches Schwei­gen er­fährt auch sein En­kel, so­bald er sich bei den al­ten Fi­schern nach dem Gaúcho er­kun­digt. Da­bei wohnt er nun ganz in der Nä­he ih­rer Boo­te, mit der al­ten Hün­din Be­ta, die all­mäh­lich Ver­trau­en zu ihm fasst. Sie le­ben sich ein in der klei­nen Woh­nung bei den Fel­sen. Er ar­bei­tet als Schwimm­trai­ner in ei­nem Fit­ness­stu­dio, knüpft Be­kannt­schaf­ten und ver­liebt sich, ob­wohl ein Han­di­cap ihm die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit An­de­ren er­schwert. Der Sport­ler ist ge­sichts­blind, seit sei­ner Ge­burt kann er ver­trau­te Per­so­nen nicht an ih­ren Ge­sich­tern er­ken­nen. Dies, aber auch das Miss­trau­en der Be­woh­ner, er­schwe­ren es ihm sich in Ga­ropa­ba will­kom­men und si­cher zu fühlen.

Der Ort, der den Men­schen im Som­mer Um­satz und Glück be­schert, ver­fällt im Win­ter. Dann tre­ten die ge­sell­schaft­li­chen Miss­stän­de her­vor. Kor­rup­ti­on und Spe­ku­la­ti­on, Ma­fia und Dro­gen ver­grö­ßern die Kluft zwi­schen Arm und Reich. Der Ras­sis­mus zwi­schen den ver­schie­de­nen Eth­ni­en Bra­si­li­en scheint auf, wenn ein Afro­ame­ri­ka­ner den Spitz­na­men Bo­no­bo trägt, oder die Pro­sti­tu­ier­ten dem hell­häu­ti­gen Schön­heits­ide­al ent­spre­chen. Der Schwim­mer und sei­ne Vor­fah­ren hin­ge­gen stam­men, wie der Au­tor Da­ni­el Ga­lera, von ibe­ri­schen Ein­wan­de­rern. Ver­läss­li­che Na­tur­bur­schen, die im Berg­land des Rio Gran­de einst Rin­der züch­te­ten. Doch die Gaúchos um­gibt auch der Ruf der auf­brau­sen­den Kämp­fer, die ger­ne das griff­be­rei­te Mes­ser zü­cken. Dies nährt den Arg­wohn der my­then­gläu­bi­gen Ge­mein­schaft Ga­ropa­bas, dem der Groß­va­ter zum Op­fer fiel. Selbst die jun­ge Psy­cho­lo­gie-Stu­den­tin Jas­mi­na, mit der der Schwim­mer glück­lich wer­den will, ist nicht vor dem Aber­glau­be ge­feit. Viel­leicht ist sie Op­fer ei­ner In­tri­ge, der auch die Hün­din fast zum Op­fer fiel?

Vie­les bleibt in der Schwe­be in die­ser gut kon­stru­ier­ten Ge­schich­te, die nach und nach das ver­wo­be­ne Be­zie­hungs­ge­spinst des Pro­logs ent­wirrt. Ge­spannt be­wun­dert man die Durch­hal­te­kraft des Schwim­mers, der trotz al­ler Rück­schlä­ge be­harr­lich ein Ziel ver­folgt, an des­sen En­de Er­kennt­nis, aber auch Un­er­war­te­tes lie­gen. Im bra­si­lia­ni­schen Ori­gi­nal trägt Flut den hand­fes­ten Ti­tel Bar­ba enso­pa­da de san­gue, was sich mit „Blut­trie­fen­der Bart“ über­set­zen lässt. Kämp­fe gibt es in die­ser aben­teu­er­li­chen Sinn­su­che, doch Ga­lera schenkt sei­nem Hel­den auch viel Zeit für Phi­lo­so­phie und Na­tur­be­trach­tung, die dem Le­ser ein fa­cet­ten­rei­ches Lek­tü­re­er­leb­nis bie­ten. Ga­le­r­as Schwim­mer ist ein wah­rer Held, ver­läss­lich, stark und auf­rich­tig, und wie im­mer bei wah­ren Hel­den ent­steht ein My­thos, der auch die Phan­ta­sie des Le­sers fordert.

Da­ni­el Ga­lera, Flut, übers. v. Ni­co­lai v. Schwe­der-Schrei­ner u. Ma­nu­el v. Rah­den, Suhr­kamp, 1. Aufl. 2013

2 Gedanken zu „Der Mythos vom Gaúcho“

  1. Lie­be Atalante

    Da­ni­el Ga­lera ist ein Au­tor, den man un­be­dingt im Au­ge be­hal­ten soll­te. Ich hät­te nie ge­dacht, dass mich sein Ro­man der­mas­sen mit­zie­hen wür­de. Ei­ne aus­ser­ge­wöhn­li­che Ge­schich­te, in ei­ner tol­len Spra­che ge­schrie­ben. Gut, dass du auch die ge­sell­schaft­li­chen Pro­ble­me an­sprichst. Die Un­ter­schie­de zwi­schen Arm und Reich of­fen­ba­ren sich auch beim Be­such sei­ner Mut­ter, die mir nicht wirk­lich sym­pa­thisch war. 

    LG bue­cher­ma­niac

  2. Da er­ging es mir zu Be­ginn ähn­lich wie Dir, lie­be Bue­cher­ma­niac. Ich be­gann oh­ne gro­ße Er­war­tung aber of­fen mit der Lek­tü­re und war sehr bald ge­fes­selt vom Stil Ga­le­r­as und von der Geschichte.

    SPOILER

    Sehr schön fin­de ich, daß ei­ni­ges nur an­ge­deu­tet wird, aber ich bin mir ziem­lich si­cher, daß der Schwim­mer schließ­lich mit An­d­reia zu­sam­men­lebt, die es doch noch ge­schafft hat, ihr Traum­ziel zu er­rei­chen. Hel­le Haut, Blaue Au­gen und die vie­len ver­blass­ten Tat­toos spre­chen da­für. Was denkst Du?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert