Hélène Grémillon enthüllt in „Das geheime Prinzip der Liebe” Müttergeheimnisse
Leihmutterschaft ist kein modernes Phänomen. Vor der Entwicklung der In-Vitro-Technik fand die Befruchtung auf natürlichem Wege statt. Die Leihmutter war identisch mit der leiblichen Mutter, lediglich der Mann des Kinderwunschpaares gab seine Erbanlagen weiter. Da der austragenden Frau ihre Mühen gut bezahlt wurden, fanden sich für derartige Abkommen vor allem Angehörige der unteren Schichten bereit.
Friedrich Hebbel thematisiert einen solchen Vorgang und dessen Konflikt in seinem 1857 entstandenen dramatischen Gedicht „Mutter und Kind“. Hélène Grémillon, die Autorin von „Das geheime Prinzip der Liebe“, verlegt ihn ins Frankreich des Jahres 1939.
Wie der deutsche Titel des Romans in größter Klarheit sagt, handelt er vor allem von der Liebe. Doch nicht nur von der manchmal großen und oft nicht einzigen zwischen einem Paar, sondern auch von Mutterliebe und Elternliebe, durchkonjugiert in ihren verschiedensten Facetten.
Die eigentliche Geschichte beginnt 1975 in Paris. Eine nicht mehr ganz junge Frau, deren Mutter vor wenigen Tagen verstorben ist, erhält anonyme Briefe. Da sie als Lektorin tätig ist deutet sie diese zunächst als Versuch ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Dennoch liest sie gebannt die Geschichte von Annie, der großen Liebe des Erzählers. Annie hatte sich einst bereit erklärt, dem befreundeten, reichen Ehepaar Elisabeth und Paul, ein Kind zu „schenken“. Die Konflikte, die sich aus dieser leichtfertigen Zusage für die drei unmittelbar Beteiligten, aber auch für Louis, den Briefeschreiber, ergeben, fesseln Camille. Allmählich scheint ihr eine persönliche Verwicklung wahrscheinlich. Die kurzen Passagen zwischen den Berichten Louis’ schildern, wie diese Camille immer stärker verunsichern. Schließlich versucht sie anhand weniger Anhaltspunkte die Authentizität des Geschilderten zu überprüfen. Sie begibt sich auf Spurensuche nach dem Ort Nuisement und einer dem Heiligen Rochus geweihten Holzkirche.
Diese Einschübe steigern die Spannung und lassen den Leser die Lösung des Rätsels mit verfolgen. Die Briefe selbst, einmal aus den Erinnerungen Louis, dann aus denen Elisabeths bestehend, zeigen die verschiedenen Beweggründe der Protagonisten. Gekonnt gelingt es Grémillon durch diese unterschiedlichen Blickwinkel einmal getroffene Bewertungen und Schlüsse wieder in Frage zu stellen. Diese Erzählkonstruktion macht den Roman zu einer unterhaltsamen, niemals flachen Lektüre. Trotzdem sind auch einige Mängel zu verzeichnen. Die Personen bleiben ohne eigenen starken Charakter. Sie wirken manchmal, vielleicht bedingt durch die Berichtform, wie Marionetten des spannungsreichen Plots. Auch das Zeitkolorit wird leider nicht besonders bunt ausgeführt und erliegt immer dann dem Klischee, wenn das Dienstmädchen sich plötzlich als Jüdin erweist und deportiert wird, oder wenn es in Paris Bordelle gibt, die wie Kunstgalerien wirken. Von dem unvermittelt erwähnten, vollkommen ohne Motiv in die Handlung eingebauten Alberto Giacometti, ganz zu schweigen.
Doch wer gerne in einem schicksalsreichen Liebesroman versinkt, der den Dramen gewisser Damenromane in nichts nachsteht, jedoch handwerklich ungleich besser gemacht ist, und wen der unglaubliche Karriereweg von Annie nicht zu erschüttern vermag, der lese dieses Buch.
Für ihr Debüt, das 2010 unter dem sehr viel passenderen Titel „Le confident“ in Frankreich erschienen ist, erhielt Grémillon bereits fünf Auszeichnungen, unter anderem den Prix Roblès.
Hélène Grémillon, Das geheime Prinzip der Liebe, übers. v. Claudia Steinitz, Hoffmann und Campe, 1. Auflage 2012.
Mir hat das Buch ganz gut gefallen. „Das geheime Prinzip der Liebe” wird sicher kein Klassiker aber unterhaltsam war der Roman allemal. Mit Alberto muss ich Dir Recht geben. Als er zum zweiten Mal im Buch erscheint, musste ich erst nachblättern, um mir noch einmal zu vergegenwärtigen, welche Rolle er spielt. Dass die Geschichte gerade im Zweiten Weltkrieg spielt, könnte sich auch verkaufsfördernd auswirken. Denn eigentlich hätte man die Handlung in jede x‑beliebige Zeit setzen können.
Die besten Grüße
Ein gut lesebarer Unterhaltungsroman, Bücherliebhaberin, da stimme ich Dir zu. Du hast ganz Recht, was Deine Einschätzung der Handlungszeit betrifft. Mir fällt zudem noch ein, daß ich nach dem Klappentext einen Künstlerroman erwartet hatte. Es handelt sich aber eher um einen psychologischen Roman.