Vom Raum mit Riss zum Raum der Freundschaft

Ich nannte ihn Krawatte“ Milena Michiko Flasar erzählt von Formen der Ausgrenzung

Un­se­re Freund­schaft war der grö­ße­re Raum, in den ich ein­ge­tre­ten war. Sei­ne Wän­de hat­te ich mit den Bil­dern de­rer ta­pe­ziert, von de­nen wir ein­an­der er­zählt hatten.…“

Ei­gent­lich woll­te ich die­sen Band aus dem Wa­gen­bach-Ver­lag zu­nächst nicht le­sen. Die Ja­pan­be­geis­te­rung ist mei­ne Sa­che nicht und die Koi-Karp­fen auf dem Ti­tel schie­nen kli­schee­haf­te Vor­stel­lun­gen bes­tens zu be­die­nen. Doch die Be­geis­te­rung, die ich so­wohl in Buzz­al­drins Blog wie auch bei der Le­se­lust fand, mach­te mich neu­gie­rig. Vor al­lem dar­auf, in­wie­fern das ja­pa­ni­sche Phä­no­men der Hi­ki­ko­m­ori über­trag­bar auf eu­ro­päi­sche Ge­sell­schafts­er­schei­nun­gen sei. Die in Wien le­ben­de Au­torin, Toch­ter ei­ner Ja­pa­ne­rin und ei­nes Ös­ter­rei­chers, gibt in ih­rem Ro­man auf die­se Fra­ge ei­ne Antwort.

Sie er­zählt dar­in von Hi­ro, ei­nem jun­gen Mann, der seit zwei Jah­ren sein Zim­mer im Haus der El­tern nicht ver­las­sen hat. Aus Ekel vor der Welt, vor den An­de­ren und vor al­lem vor sich selbst ver­wei­gert er sich al­lem. Auch der Ab­len­kung. Er will für sich sein, nie­man­dem be­geg­nen, kei­nem Blick­kon­takt aus­ge­setzt sein. Sein ein­zi­ger ein­sa­mer Blick fällt auf ei­nen Riss in der Wand. „Hin­ter ge­schlos­se­nen Au­gen hat­te ich sei­ne ge­bro­che­ne Li­nie nach­ge­zeich­net. Sie war in mei­nem Kopf ge­we­sen, hat­te sich dar­in fort­ge­setzt, war mir ins Herz und die Adern eingegangen.“

Ei­nes Ta­ges wagt er sich den­noch hin­aus, druch­bricht den selbst­ge­schmie­de­ten Kä­fig und schafft es bis in den Park. Dort auf der Bank bei der Ze­der, wo er einst als klei­nes Kind ne­ben sei­ner Mut­ter saß, dort hält er sie aus, die Bli­cke und An­bli­cke der An­de­ren. Kaum er­träg­lich wird es ihm je­doch als die Bank ge­gen­über von ei­nem Ge­schäfts­mann, ei­nem die­ser Kra­wat­ten­trä­ger, be­setzt wird. Des­sen Seuf­zen ent­larvt ihn als Le­bens­mü­den, Hi­ro dul­det das Ge­gen­über ei­nes Gleich­ge­sinn­ten. Tag für Tag ver­brin­gen sie dort auf den Bän­ken. Vom scheu zu­ge­nick­ten Gruß bis zu ge­gen­sei­ti­gen Ge­ständ­nis­sen ent­steht schließ­lich Nä­he. Sie, die an der Er­war­tungs­hal­tung der An­de­ren und ih­rer ei­ge­nen fast zu Grun­de ge­gan­gen wä­ren, kom­men ins Ge­spräch und er­le­ben wie ih­re Be­geg­nung zu Ver­än­de­run­gen führt. Ih­re Er­fah­run­gen mit dem An­ders­sein, dem in­ne­ren, dem so­zia­len, dem phy­si­schen, be­din­gen das Ver­hal­ten. Sie sind al­le Hi­ki­ko­m­ori, denkt Hi­ro an ei­ner Stel­le. Zu vie­le wäh­len den Rück­zug, den ver­deck­ten, den zeit­wei­sen oder den finalen.

Trotz der The­ma­ti­sie­rung der Ver­ein­ze­lung in un­se­rer Ge­sell­schaft, die viel­leicht für die ja­pa­ni­sche noch stär­ker gel­ten mag, aber mir trotz­dem uni­ver­sal er­scheint, hat Fla­sar kein be­drü­cken­des Buch ge­schrie­ben. In ih­rer kla­ren Spra­che schil­dert sie un­pa­the­tisch und in prä­gnan­ten Sät­zen wie Freund­schaft ent­steht. In kur­zen Ka­pi­teln, die uns die Er­in­ne­rungs­mo­men­te der bei­den Prot­ago­nis­ten nä­her brin­gen, be­geg­nen wir die­ser An­nä­he­rung. Der schma­le aber schö­ne Ro­man en­det mit dem ANFANG, dort­hin kehrt man ger­ne noch ein­mal zu­rück um aber­mals die­ses Buch voll wah­rer Sät­ze zu lesen.

 

Mi­le­na Mi­chi­ko Fla­sar, Ich nann­te ihn Kra­wat­te, Ver­lag Klaus Wa­gen­bach, 1. Aufl. 2012

6 Gedanken zu „Vom Raum mit Riss zum Raum der Freundschaft“

  1. Lie­be atalante,
    es freut mich sehr, dass auch dir der Ro­man ge­fal­len hat und ich dich mit mei­ner Re­zen­si­on viel­leicht ein Stück weit über­zeu­gen konn­te, ihn zu le­sen. Es war schön durch dei­ne Wor­te noch ein­mal in das wun­der­schö­ne Buch hin­ein­tau­chen zu können!
    Ich ge­be dir Recht, dass das Co­ver wirk­lich nicht sehr an­spre­chend ge­wählt wur­de — das Co­ver al­lein hät­te mich zu­min­dest nicht da­zu ver­führt, den Ro­man zu lesen.
    Ös­ter­li­che Grüße
    Mara

  2. Das Buch ha­be ich mir be­reits ge­kauft, nach­dem ich die Re­zen­sio­nen von Ma­ra und der Klap­pen­tex­te­rin ge­le­sen ha­be. Jetzt hast du auch noch ei­ne schö­ne Emp­feh­lung ab­ge­ge­ben. Da muss ich den Ro­man, so­bald ich kann, auch le­sen. Ich bin sehr ge­spannt, ob er mir auch zu­sa­gen wird.

    LG bue­cher­ma­niac

  3. Ich nann­te ihn Kra­wat­te” ha­be ich in­zwi­schen ja ge­le­sen, wer­de wohl aber kei­ne Re­zen­si­on da­zu ver­fas­sen, ich komm eh schon nicht mehr nach mit re­zen­sie­ren. Mir hat der Ro­man aus­ge­spro­chen gut ge­fal­len. Es war ei­ne lei­se, aber sehr fei­ne Ge­schich­te für mich. Man muss zwar in ei­ne völ­lig frem­de und mir manch­mal ab­so­lut fer­ne und un­ver­ständ­li­che Kul­tur ein­tau­chen, aber mit die­sem Buch ge­lang dies sehr gut. Man darf ge­spannt sein, was die Au­torin nach­lie­fern wird und ich wün­sche ihr sehr, dass es ihr so gut ge­lingt wie mit die­sem Werk.

    LG bue­cher­ma­niac

    1. Dan­ke für Dei­nen Ein­druck, bue­cher­ma­niac. Schön, daß Dir das Buch so gut ge­fal­len hast. Wir Du wer­de auch ich die wei­te­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen der Au­torin verfolgen.
      Freund­li­che Grüße,
      Atalante

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