Weltliteratur lebendig umgesetzt

Sodom und Gomorrha“ als Hörspiel-Inszenierung

Auf das Hör­spiel „So­dom und Go­mor­rha“, ei­ner Ge­mein­schafts­pro­duk­ti­on von SWR, Dra­dio Kul­tur und Der Hör­ver­lag, bin ich wäh­rend mei­ner Lek­tü­re des vier­ten Bands von Mar­cel Proust „Auf der Su­che nach der ver­lo­re­nen Zeit“ ge­sto­ßen. Die­ser Klas­si­ker be­schäf­tigt mich schon seit ei­ni­ger Zeit, ge­nau ge­nom­men war er so­gar der An­lass mein Blog ins Le­ben zu ru­fen, wo­durch wie­der­rum an­de­re Bü­cher in mein Le­se­le­ben tra­ten. So schrei­tet mei­ne Proust-Lek­tü­re ge­mäch­lich vor­an, mitt­ler­wei­le bin ich im vier­ten Band ge­lan­det, aber nicht gestrandet.

Das Hör­spiel mit sei­nen 318 Mi­nu­ten auf 5 CDs holt mich al­so da ab, wo ich bin. Es ba­siert auf der bei Re­clam er­schie­ne­nen Neu­über­set­zung von Bernd-Jür­gen Fi­scher, die Man­fred Hess für die Pro­duk­ti­on be­ar­bei­te­te. Un­ter der Re­gie von Iris Drö­ge­kamp spre­chen ne­ben an­de­ren Mi­cha­el Rot­schopf (Mar­cel), Li­lith Stan­gen­berg (Al­ber­ti­ne), Gerd Wa­me­ling (Char­lus), Ste­fan Ko­nar­s­ke (Mo­rel) und Mat­thi­as Ha­bich (Swann). Das En­sem­ble Mo­dern stimmt mu­si­ka­lisch in die At­mo­sphä­re der Bel­le Épo­que ein.

Der vier­te Band der Re­cher­che mit dem Ti­tel „So­dom und Go­mor­rha“ spielt auf For­men gleich­ge­schlecht­li­cher Lie­be an. Er lässt sei­ne Le­se­rin auf gut 700 Sei­ten Neu­es ent­de­cken, be­zieht sich aber eben­so mit vie­len Mo­ti­ven, Per­so­nen und Or­ten auf die vor­aus­ge­gan­ge­nen Bände.

Wir be­geg­nen Ba­ron de Char­lus und ver­fol­gen, wie Mar­cel ent­deckt, was der Le­ser längst weiß. Die Ho­mo­se­xua­li­tät Char­lus‘, die bei ei­nem zu­fäl­li­gen Stell­dich­ein mit Ju­pi­en, von Mar­cel be­ob­ach­tet und ge­hört wird. Oh Sodom(ie) der Invertierten!

Es folgt die Soi­ree bei der Prin­zes­sin de Guer­man­tes, auf die Mar­cel schon so lan­ge ge­fie­bert hat. In sei­nen ho­hen Er­war­tun­gen ge­täuscht, ver­folgt er nicht oh­ne Amü­se­ment die Ge­pflo­gen­hei­ten die­ser Ge­sell­schaft. Ne­ben Ei­tel­kei­ten und Bos­hei­ten tre­ten dort je­de Men­ge Af­fai­ren zu Ta­ge, zu­letzt die po­li­ti­sche um Haupt­mann Drey­fus, über die meist hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand dis­ku­tiert wird.

Ei­ne wei­te­re Sze­ne führt ans Meer, nach Bal­bec, das Mar­cel schon frü­her be­such­te. Im Grand-Ho­tel sind der Di­rek­tor und das Zim­mer gleich­ge­blie­ben. An­de­res hat sich ver­än­dert. Mar­cels Groß­mutter ist tot, sie kann ihn nicht mehr be­glei­ten. Er selbst ist er­wach­sen ge­wor­den und nimmt am Ge­sell­schafts­le­ben teil, was ihm ei­ne Ein­la­dung zum „Klei­nen Clan“ der Ver­durins be­schert. In Pa­ris hat er die­sen Sa­lon oft ge­mie­den, nun kommt er nicht drum­her­um, zu­mal er hofft, dort die Zo­fe der Ma­dame Put­bus an­zu­tref­fen und sei­nen Freund Saint-Loup.

Wie­der in Pa­ris ver­fol­gen wir, wie Al­ber­ti­ne den ar­men Mar­cel der War­te­qual aus­setzt. Spä­ter wird der hin­ge­hal­te­ne Lieb­ha­ber noch mehr zu lei­den ha­ben. Er ver­däch­tigt Al­ber­ti­ne der Un­treue, aus­ge­rech­net mit An­drée, ei­ner Frau. Gomorrha!

Es ist ei­ne Her­aus­for­de­rung, die kom­ple­xe Struk­tur der Re­cher­che in ein Hör­spiel um­zu­set­zen. Der ste­te Wech­sel vom Er­in­nern­den-Ich, das in ver­schie­de­ne Sta­di­en sei­ner Ver­gan­gen­heit ein­taucht, zum Han­deln­den-Ich cha­rak­te­ri­sie­ren den Ro­man. Das Hör­spiel hin­ge­gen setzt stark auf Hand­lungs­se­quen­zen, die von Text­le­sun­gen un­ter­bro­chen wer­den. Der Um­fang des Ori­gi­nals for­dert zwangs­läu­fig Kür­zun­gen. Wäh­rend al­so Le­sun­gen aus der Fi­scher-Über­set­zung in die Sze­nen ein­füh­ren, meist be­glei­tet durch das Krat­zen ei­ner Fe­der, bil­den Dia­lo­ge den Schwer­punkt. Ih­nen kommt der mo­der­ne Ton der Neu­über­set­zung zu Gu­te, er klingt spon­tan und all­tags­nah. Ge­wöh­nungs­be­dürf­tig war in mei­nen Oh­ren die Stim­me, die Li­lith Stan­gen­berg Al­ber­ti­ne ver­leiht. Ihr ho­her Klein­mäd­chen­ton passt zwar zur vor­ge­gau­kel­ten Nai­vi­tät, in der Al­ber­ti­ne ih­re Ge­ris­sen­heit ver­birgt, ist aber auf Dau­er ener­vie­rend. Die an­de­ren Stim­men, her­vor­zu­he­ben sei­en be­son­ders Mi­cha­el Rot­schopf als Er­zäh­ler und Gerd Wa­me­ling als Ba­ron de Char­lus, ent­spre­chen sehr gut ih­ren Rol­len. Hin­ter­grund­ge­räu­sche wie Re­gen, Schrit­te, Vo­gel­ge­zwit­scher ma­chen die Sze­nen le­ben­dig. Die mu­si­ka­li­sche Un­ter­ma­lung hin­ge­gen ge­rät bis­wei­len et­was pathetisch.

Doch dies sind nur ge­rin­ge Ein­wän­de ge­gen die sehr ge­lun­ge­ne Hör­spiel-Um­set­zung des vier­ten Bands der Re­cher­che. Da in „So­dom und Go­mor­rha“ die wich­ti­gen The­men­be­rei­che des Ge­samt­werks zu fin­den sind, kann das Hör­spiel auch der ers­ten Be­geg­nung die­nen und in das be­rühm­te Werk Mar­cel Prousts ein­stim­men. Oder auch die­je­ni­gen Proust-Le­ser, die zwi­schen den Zei­len vom Kurs ab­ge­kom­men ist, er­neut zu Proust‘schen Ge­fil­den führen.

Mar­cel Proust, So­dom und Go­mor­rha, Hör­spiel, der Hör­ver­lag 2018

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