Gemeinsam anders

Wir sagen uns Dunkles“ — Helmut Böttigers aufschlussreiche Analyse der Beziehung Bachmann-Celan

Ich ha­be ei­nen Mann ge­kannt, der hieß Hans, und er war an­ders als al­le an­de­ren. Noch ei­nen kann­te ich, der war auch an­ders als al­le an­de­ren. Dann ei­nen, der war ganz an­ders als al­le an­de­ren und er hieß Hans, ich lieb­te ihn.“ 

Die­se Zei­len in In­ge­borgs Bach­manns Er­zäh­lung „Un­di­ne geht“ wei­sen auf die gro­ßen Lie­ben der Au­torin hin, Hans We­igel, Paul Ce­lan und Hans Wer­ner Hen­ze. Ih­nen räumt auch Hel­mut Böt­ti­ger in sei­nem neu­en Buch „Wir sa­gen uns Dunk­les“ ei­nen Platz ein. Das Er­geb­nis von Böt­tin­gers viel­fäl­ti­gen Ana­ly­sen zeigt al­ler­dings, daß Paul Ce­lan, der Mitt­le­re in Bach­manns Zi­tat, wie kein an­de­rer die Frau und die Schrift­stel­le­rin In­ge­borg Bach­mann präg­te et vice versa.

Hel­mut Böt­ti­ger, Li­te­ra­tur­kri­ti­ker und Ver­fas­ser meh­re­rer Wer­ke zur deutsch­spra­chi­gen Nach­kriegs­li­te­ra­tur, wid­met sich in sei­ner neu­es­ten Stu­die der Be­zie­hung von In­ge­borg Bach­mann und Paul Ce­lan. Er be­leuch­tet dar­in die Sta­tio­nen ih­rer Vi­ta als Lie­ben­de wie als Schrift­stel­ler, ih­re ge­gen­sei­ti­ge Be­ein­flus­sung und die Aus­wir­kung auf ih­re Li­te­ra­tur. Die, so zeigt Böt­ti­ger, oft­mals in Chif­fren Re­ak­tio­nen auf die Äu­ße­run­gen des je­weils an­de­ren ber­gen. Fast schon pro­gram­ma­tisch be­nennt das im Ti­tel ge­wähl­te Zi­tat „Wir sa­gen uns Dunk­les“ die­se Art der in­ti­men Kommunikation.

Die Be­geg­nung der bei­den künf­tig Ver­bun­de­nen steht auch am Be­ginn von Böt­ti­gers Dar­stel­lung. Sechs Wo­chen im Wie­ner Früh­ling 1948 rei­chen aus um Paul Ce­lan und In­ge­borg Bach­mann tief zu prä­gen. Aus­ge­hend von die­ser ge­mein­sa­men Zeit blickt Böt­ti­ger zu­rück und schil­dert wech­sel­wei­se die Ver­gan­gen­heit der bei­den. Die Im­pul­se und An­fän­ge ih­res in­di­vi­du­el­len Schrei­bens führt er zu den kom­mu­ni­zie­ren­den Wer­ken, in de­nen sie die ge­mein­sa­men Mo­men­te ver­klau­su­lie­ren, aber für den je­weils an­de­ren ver­ständ­lich festhalten.

Die ly­ri­schen Bot­schaf­ten ste­hen für die Di­stanz. Nach der Ab­kehr von Wien lebt Ce­lan in Pa­ris, wäh­rend Bach­mann in Wien an­de­re We­ge und Kon­tak­te sucht. Die Ent­fer­nung ver­stärkt die in bei­den an­ge­leg­te Me­lan­cho­lie und be­feu­ert die Bot­schaf­ten und Brie­fe. Es kommt zu neu­en Be­geg­nun­gen, die sie je­doch eher ent­frem­den. Ei­ne der wich­tigs­ten ist die Teil­nah­me an der Nien­dor­fer Ta­gung der Grup­pe 47 im Mai 1952. Ce­lan er­hält auf Be­trei­ben Bach­manns ei­ne Ein­la­dung und geht aus dem Wett­be­werb mit dem drit­ten Platz her­vor. Trotz­dem ver­brei­ten sich über Cel­ans Le­sung der „To­des­fu­ge“ res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne Le­gen­den. Böt­ti­ger klärt in ei­nem aus­führ­li­chen Ka­pi­tel ih­re Ent­ste­hung und räumt sie aus dem Weg. Al­lei­ne da­für lohnt die Lektüre.

Ce­lan stand der Kri­tik an sei­nem Werk stets hilf­los ge­gen­über. „Sei­ne Ge­dich­te“, so Böt­ti­ger, „sind sei­ne im­mens kon­zen­trier­te, ei­ge­ne Ge­schich­te“. Sie sind un­mit­tel­ba­rer Aus­druck sei­ner Er­fah­run­gen als ver­folg­ter Ju­de, sei­ner Hei­mat­lo­sig­keit und Ein­sam­keit. Er of­fen­bart in ih­nen sei­ne emo­tio­na­len Zu­stän­de. Die­se Art das In­ne­re in Ly­rik zu fas­sen teilt er mit In­ge­borg Bach­mann, auch wenn sie nicht sein Op­fer­trau­ma teilt, kei­ne Jü­din, son­dern ei­ne „Frem­de“ ist. Laut Böt­ti­ger prägt die­se Tat­sa­che die Be­zie­hung der bei­den und ist Ur­sa­che der stän­di­gen Am­bi­va­lenz, „ei­ne An­zie­hung und ei­ne Ab­sto­ßung, die im­mer wie­der neu ge­klärt wer­den muss“. Sie be­dingt „das Dunk­le“ zwi­schen ih­nen, das Ce­lan in sei­nem wäh­rend der Wie­ner Wo­chen ver­fass­ten Ge­dicht „Co­ro­na“ be­nennt und das, so Böt­tin­ger, „zum ge­mein­sa­men Code ih­rer Lie­be wird“.

Trotz der Nä­he, die die­ser Code ma­ni­fes­tiert, schei­tern sie an der pro­fa­nen Lie­be, wie ih­nen ein er­neu­ter Ver­such in Pa­ris schmerz­lich of­fen­bart. Bei­de hin­dert die je­wei­li­ge psy­chi­sche Ver­fasst­heit. Paul Ce­lan, der Ju­de aus Czer­no­witz, der La­ger­haft er­litt und des­sen El­tern von den So­wjets er­mor­det wur­den, ent­wi­ckelt ei­ne zer­stö­ren­de Pa­ra­noia. In­ge­borg Bach­mann lei­det als Dich­te­rin und In­tel­lek­tu­el­le un­ter ih­rer ho­hen Sen­si­bi­li­tät. Bei­de zer­bre­chen an den An­sprü­chen, den frem­den und den ei­ge­nen schwer­wie­gen­de­ren. In selt­sa­mer Ko­in­zi­denz mün­den sie bei bei­den fast gleich­zei­tig in pa­tho­lo­gi­sche Zu­stän­de, füh­ren bei Ce­lan zum Sui­zid, bei Bach­mann zum töd­li­chen Un­fall im Medikamentennebel.

Böt­ti­ger ge­lingt es die­se un­aus­ge­leb­te Dich­ter­lie­be zu fas­sen. Er nä­hert sich dem Paar in his­to­ri­schen wie psy­cho­lo­gi­schen An­sät­zen und un­ter­legt die­se mit der Ana­ly­se aus­ge­wähl­ter Wer­ke der bei­den Dich­ter. Da­zu zäh­len die frü­hen Ge­dich­te „In Ägyp­ten“, „Co­ro­na“, „Dunk­les zu sa­gen“ und „Die ge­stun­de­te Zeit“ eben­so wie spä­te­re Werke.

Da­ne­ben ge­währt sei­ne Stu­die Ein­bli­cke in die Li­te­ra­ri­sche Welt der Nach­kriegs­zeit, ins­be­son­de­re in die Rol­le der Grup­pe 47, die in­no­va­ti­ven Schrift­stel­lern Ge­hör ver­schaff­te, ob­wohl noch Ver­gan­ge­nem ver­haf­tet. Ge­prägt war die deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur­kri­tik die­ser Zeit von ei­nem sich win­den­den Um­gang mit der jüngs­ten Ge­schich­te, wie Böt­ti­ger in ei­ner um­fas­sen­den Ana­ly­se ei­nes 1954 ge­führ­ten In­ter­view von Ce­lan durch Karl Schwed­helm zeigt.

Zug um Zug schrieb In­ge­borg Bach­mann ih­re per­sön­li­che Ge­schich­te mit Paul Ce­lan in Li­te­ra­tur um“ kon­sta­tiert Böt­ti­ger, was in ähn­li­cher Wei­se auch für Paul Ce­lan galt. Böt­ti­ger zeigt in sei­nem Buch, daß die ge­gen­sei­ti­ge Be­ein­flus­sung der bei­den Dich­ter­per­sön­lich­kei­ten bis zum Schluss be­stehen blieb. Er be­legt, wie die­se Lie­bes­be­zie­hung im Pri­va­ten wie im Künst­le­ri­schen wirkt, und trägt da­durch zum Ver­ständ­nis der Ge­dich­te und Er­zäh­lun­gen der bei­den Schrift­stel­ler bei.

Für mich ist dies ein Grund mehr, er­neut ih­re Wer­ke zu le­sen, und end­lich den Brief­wech­sel „Herz­zeit“, der schon seit Jah­ren im Re­gal war­tet, bes­tens vor­be­rei­tet von Böt­ti­gers Buch.

Helmut Böttiger, Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, Deutsche Verlags Anstalt, 2017

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