Georg M. Oswald schickt in der spannungs- wie klischeegeladenen Geschichte „Alle, die du liebst“ einen alternden Anwalt nach Afrika
„Alle, die du liebst“ lautet der Titel des im vergangenen Jahr erschienenen Romans von Georg M. Oswald. Doch anders als er vermuten lässt, handelt es sich um ein ausgesprochenes „Männerbuch“. Aus diesem Grund hat Mann es für unseren Literaturkreis gewählt. Der Verantwortliche fand sein Geschlecht in unseren letzten Lektüren nur unzureichend vertreten, auch wenn ein Blick auf unsere Leseliste diese Aussage nur bedingt zulässt. Wem also Lüschers oder Espedals Helden zu abgehoben erscheinen, den erwartet laut Klappentext in diesem Roman eine „pointierte Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die Georg M. Oswald auf kluge und erzählerisch mitreißende Weise dazu nutzt, wie durch ein Brennglas auf unsere westeuropäische Befindlichkeit zu schauen“.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der alternde Anwalt Hartmut Wilke. Er hadert mit seinem Leben, seinen Irrungen und Wirrungen. Dazu zählen die Scheidung von seiner langjährigen Ehefrau, die er zu spät als seine wahre, große Liebe erkennt, die Entfremdung von den inzwischen erwachsenen Kindern, seine zu junge Geliebte, deren Ansprüchen er nicht zu genügen fürchtet, sowie die Steueraffäre seiner Kanzlei.
Am dringendsten drückt ihn die Distanz zu seinem Sohn. Seit dessen Kindheit war das Verhältnis schwierig, seit der Trennung steht Erik endgültig auf der Seite seiner Mutter. Wilke plagen Schuldgefühle, was sich übrigens als permanente Gefühlslage durch den Roman zieht. So ergreift er die Chance zu einem Wiedersehen, als der Sohn ihn zu einem Besuch auf Kiani-Island vor der Küste Afrikas einlädt.
Dort betreibt Erik eine Strandbar, die er von dem Europäer Jack gepachtet hat. Dieser scheint nicht nur im Besitz vieler Immobilien zu sein, er hat die Insel selbst fest in der Hand gemeinsam mit dem Polizei-General. Die dort lebenden Europäer nehmen die von Korruption geprägten Machtstrukturen nicht nur hin, sie fühlen sich dadurch sogar vor Übergriffen Dritter geschützt.
In dieses Milieu begeben sich Wilke und die attraktive Ines wie naive Touristen. Weder der Erpressungsversuch am Einreiseschalter des Flughafens noch die Gewissheit sich in einem unbekannten Land mit fremden Gepflogenheiten aufzuhalten, beeinflussen ihr Verhalten. Sie beziehen ihr Zimmer im Palace-Hotel, in dem es zu ihrem Erstaunen kaum palastartig ist und vergnügen sich zunächst unter dem schattenspendenden Sonnensegel der Dachterrasse. Dort weht ein kühles Lüftchen, was sie allerdings nicht davon abhält, es heiß hergehen zu lassen und von der ganzen Chose ein Selfie zu schießen, das Minarett pittoresk im Hintergrund. Welcher Leser wird nicht sofort die aufkommenden Verwicklungen ahnen? Die Beiden geraten jedoch noch in ganz andere Gefahren, was bei der in der Geschichte angelegten Gemengelage nicht erstaunt.
Oswald konstruiert den Roman als Bericht, den seine Hauptfigur in der Rückschau ablegt. So weiß der aufmerksame Leser, daß der Anwalt Hartmut Wilke trotz allen Ungeschicks, für das er sich natürlich mitverantwortlich fühlt, die nicht ungefährliche Episode überleben wird. Wie, sei natürlich nicht verraten.
Es ist fraglich, ob dieser Aufbau den Spannungsbogen der Handlung stützt. Fraglich sind ebenso einige sprachliche Konstruktionen, zum Beispiel der folgende unklare Bezug, „Der Verkäufer war nicht davon abzubringen gewesen, uns als Abenteuerpärchen zu betrachten, das sich in seinem Jahresurlaub mit Vorliebe ungewohnten, ja gefährlichen Situationen aussetzte. Vereinzelt und in kleinen Grüppchen standen wir auf dem Rollfeld herum“, oder die kitschigen Phrasen, „Was dann geschah, war größer, als wir ahnen, hoffen oder fürchten konnten. Unsere Liebe überbot alles. Nur einmal im Leben kann man so lieben.“ Auch bei der Logik hapert es. Wenn Wilke beim Hinflug 20 Passagiere zählt, darunter vier Soldaten, sechs junge Leute, drei Kinder und eine Mutter, verbleiben außer ihm und seiner Freundin vier Personen, die er wie folgt sortiert, „Die übrigen Passagiere waren Paare oder einzelne Reisende“.
Doch dies sind Nebensächlichkeiten, die man bei geringer Empfindlichkeit tolerieren mag. Eindeutig störender ist der Blick des Autors auf „unsere westeuropäischen Befindlichkeiten“, so die Wortwahl des Klappentextes. Gemeint ist damit wohl der europäische Blick auf die politisch-sozialen Verhältnisse in afrikanischen Staaten. Schon alleine dies wäre angesichts der Größe des Kontinents und der Vielfalt der Systeme eine grob vereinfachende Sicht. Leider finden sich in diesem Roman noch gröbere, an koloniale Vorstellungen heranreichende Allgemeinplätze. Zwar ist es Figurenrede, wenn die europäischen Bewohner ihre afrikanische Wahlheimat folgendermaßen beschreiben. „Immerhin gibt es hier vernünftiges Bier und gescheite Zigaretten. Du lernst, das als ein Stückchen Heimat zu betrachten. Deinen Angestellten gegenüber wirst du argwöhnisch. Sie sind so gelassen und gut gelaunt. Immer. Du beginnst zu glauben, sie machen sich über dich lustig. Sie bemerken deinen Verfall.“ Oder „Die Menschen passen sich den Bedingungen an, in die sie hineingeboren werden. Sie lernen es von klein auf, im Dreck zu vegetieren. Das prägt ihren Charakter. Ich werte das gar nicht. Ich stelle es nur fest. Und doch kann man sagen: Wer im Dreck aufwächst, bekommt einen Dreckscharakter.“ Allerdings schildert Oswald auch das Verhalten der Afrikaner gemäß diesem Klischee. Sie sind korrupt, gewalttätig und verschlagen, jedenfalls die Männer. Die Frauen hingegen sind „jung, schlank, schön und lächeln entspannt“. Jedenfalls Imani, Eriks Freundin, die als einzige Afrikanerin auftritt. Deutsche Frauen hingegen kommen nicht gut weg bei Hartmut Wilke. „Deutsche Frauen sind ein Problem.“ Clara, die „Liebe seines Lebens“, versetze der Scheidungskrieg in einen „Blutrausch“. Ines, seine Neue, bleibe nicht wegen seiner Attraktivität bei ihm. Halb so schlimm, sie werde schon sehen, „was ihr in 20 Jahren blüht“. Die junge Staatsanwältin, die in Wilkes Betrugsaffäre ermittelt, ist in seinen Augen eine „grässliche Karrieristin“.
Ziemliche viele Klischees fährt Oswald zur Ausstattung seines Personals und seiner Plätze auf. Dies macht den ersten Teil des Romans beliebig, in dem Wilke sich an seine Beziehungen zu Frau und Kindern sowie zu Ines erinnert und seine Selbstanklage präsentiert. Erst im letzten Drittel zeigt Oswald sein schriftstellerisches Können in Dialogen, die Handlung vorantreiben und Spannung aufbauen. Diese actionreichen Szenen hätten mich fast mit dem vorherigen versöhnt, wenn nicht das Ende gewesen wäre. Wozu ein Epilog, der die Leser aller Phantasie beraubt? Warum endet der Roman nicht ein Kapitel zuvor mit Eriks Angebot an seinen Vater? Dies wäre ein offener und anregender Schluss gewesen, der den Roman interessant gemacht hätte.