Sushi Murakami — Die Lebenspartitur

Das 18. Kapitel

Vor sei­ner Rück­rei­se will Tsu­ku­ru „Ord­nung in sei­ne Ge­füh­le brin­gen“. Er bum­melt ziel­los durch Hel­sin­ki und lan­det schließ­lich am Bahn­hof, wo er den Zü­gen zuschaut.

Zu­rück in To­kio zö­gert er zu­nächst Sa­ra an­zu­ru­fen. Schließ­lich mel­det er sich am fol­gen­den Tag, er­reicht aber nur ih­ren An­ruf­be­ant­wor­ter. Er ver­sucht sei­ne Ei­fer­sucht mit All­tags­pflich­ten zu ver­de­cken, doch sei­ne Ge­dan­ken krei­sen um Sa­ra und den Frem­den. Al­lei­ne im Schwim­men fin­det er Ablenkung.

Abends er­hält er Sa­ras An­ruf und ei­nen Rüf­fel, weil er kei­ne Nach­richt hin­ter­las­sen hat. Auch Sa­ra hat den Sonn­tag sinn­voll ver­bracht, mit Put­zen, Wa­schen, Ein­kau­fen. In­ter­es­san­ter als die Er­wäh­nung sol­cher Be­lang­lo­sig­kei­ten ist Tsu­ku­rus Wunsch die Kat­ze nun end­lich aus dem Sack zu las­sen. Na ja, ge­nau ge­nom­men bleibt sie halb dar­in ste­cken, denn an­statt „über al­les of­fen zu spre­chen“, ver­packt er die Fra­ge, ob es au­ßer ihm noch ei­nen an­de­ren gä­be, in Ah­nun­gen und Ge­spür. So wun­dert es kaum, daß Sa­ra ihm mit ähn­li­cher Auf­ge­schlos­sen­heit be­geg­net und ei­ne so­for­ti­ge Klä­rung der Ver­hält­nis­se in drei Ta­gen ver­spricht. Ach ja, „es gibt Din­ge, die kann man nur sa­gen, wenn man sich ge­gen­über sitzt.“

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Der Rest wird im Traum er­le­digt: Tsu­ku­ru spielt Kla­vier, das über­ra­schen­der­wei­se wei­ße und schwar­ze Tas­ten hat. Der­art aus­ge­klü­gelt auf Farb­sym­bo­lik auf­merk­sam ge­macht, sieht die am Ro­man ge­schul­te Le­se­rin in der her­bei­ge­träum­ten Frau im en­gen schwar­zen Kleid mit den lan­gen wei­ßen Fin­gern na­tür­lich Shiro und Kuro, Fräu­lein Weiß und Fräu­lein Schwarz. Sie blät­tert die Sei­ten der Par­ti­tur ei­ner So­na­te, de­ren In­ter­pre­ta­ti­on dem Pia­nis­ten Vir­tuo­si­tät ab­ver­langt. Tsu­ku­ru ge­lingt es die­se schö­ne, tief­grün­di­ge, kom­pli­zier­te Me­lo­die (des Le­bens) zu spie­len. „Das We­sen der Welt“ und „al­le Aspek­te des Le­bens“ ver­eint sie. Der Le­ser wird nicht nur mehr­mals und über­deut­lich auf die In­ten­ti­on ge­sto­ßen, Mu­ra­ka­mi spricht sie auch of­fen aus: „Das Le­ben war ei­ne schwie­ri­ge Par­ti­tur.“ Das Le­sen auch, möch­te man sa­gen, und fühlt sich mit dem Kon­zert­pu­bli­kum ver­bun­den. „Die Zu­hö­rer konn­ten nicht mehr still sit­zen und wirk­ten ge­lang­weilt und ver­är­gert. (…) lei­der be­sa­ßen sie nicht die Fä­hig­keit, den au­ßer­ge­wöhn­li­chen Cha­rak­ter der Mu­sik zu verstehen.“

Der­art über­for­dert neh­me ich es al­so hin, daß die Par­ti­tur­da­me sechs Fin­ger be­sitzt, wohl­ge­merkt an je­der Hand. Und freue ich mich um­so mehr dar­über, daß Tsu­ku­ru Sa­ra mit­ten in der Nacht an­ruft, auch wenn sie viel­leicht „ge­ra­de in je­man­des nack­ten Ar­men lag.“

Weis­heit: „Das Le­ben war ei­ne schwie­ri­ge Partitur.“

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