„Schöne Wörter, schöne Sätze” — Das verborgene Wort von Ulla Hahn
Wie es ist die Liebe zur Sprache in einem bildungsfernen Elternhaus zu finden und durchzusetzen und sich in den fünfziger Jahren von Arbeitermilieu und katholischem Provinzialismus zu emanzipieren, zeigt Ulla Hahn eindrucksvoll in ihrem Roman Das verborgene Wort. In diesem ersten Teil einer Trilogie, erleben wir die bewegend emotionale Entwicklungsgeschichte der Hildegard Palm, dem wort- und satzbegeisterten Mädchen, das in früher Kindheit durch die Phantasie des Großvaters die tröstende Kraft von Buch- und Wutsteinen entdeckt. In der gegen den Willen der Eltern durchgesetzten Realschule lernt Hildegard die Literatur der Klassiker lieben. In deren Sprache findet sie oft neue Hoffnung nach den Schlägen des Vaters. Die Passagen im rheinischen Dialekt, der von Familie und Nachbarn, aber immer weniger von Hildegard gesprochen wird, demonstrieren gleichzeitig die Kluft zwischen Hildegard und ihrer Umgebung aber auch ihre Befreiung aus der Enge. Hilla, wie sich die Heranwachsende nun in bewusster Distinktion nennt, tritt zunehmend selbstbewusst auf. Ungerechtigkeiten löst sie gleichsam wie eine Jeanne d’Arc des Wortes mit Zitaten aus den Klassikern oder durch ihre Redegewandtheit. Privat allerdings droht ihr oft ein Scheitern. Eine sich anbahnende erste Liebe überwindet nicht die Grenze zwischen den verschiedenen Milieus. Der verweigerte Übergang auf das Gymnasium und die anstatt dessen zu absolvierende Bürolehre treibt sie in die Alltagsödnis. Diese und vor allem vor die Angst abzustumpfen und den Bezug zu den „schönen Worten“ zu verlieren, betäubt sie im Alkohol. Vor dem Absturz rettet sie der Berufsschullehrer, gemeinsam mit einem Kollegen und dem Pfarrer setzt er Hillas weitere Schulkarriere durch.
Es handelt sich um einen Roman mit autobiograhischem Anteil. Wie groß dieser nun tatsächlich sei, inwieweit Dondorf mit Monheim, dem realen Geburtsort Hahns, vergleichbar sei, ob die Initialen der Protagonistin auf die mit der Autorin befreundete Lyrikerin Hilde Domin hinweisen, ist müßig zu fragen. Ein wenig Aufschluss gibt ein Interview mit der Autorin.
Die geschilderten Erlebnisse bilden sehr gut den Muff und Provinzialismus der Fünfziger Jahre ab. Der Kampf der kleinen Leute um ihre Existenz in einer von Klatsch und Tratsch und der kirchlichen Obrigkeit gegängelten Dorfgesellschaft.
Trotz des Dialekts ist die Geschichte nicht an den Handlungsort gebunden, sie hätte sich so oder ähnlich auch im hohen Norden oder im tiefen Schwarzwald abspielen können.
Ein ergreifender, gut geschriebener Schmöker, der in unserem Lesekreis durchweg positiven Anklang fand, wenn auch nicht alle die kölsche Sprache so problemlos fanden wie ich.
Wem also diese Zungenfertigkeit nicht durch die Großeltern vertraut ist, der findet Hilfe im Wörterbuch oder Anleitung im Sprachführer.
Wer das weitere Leben von Hilla verfolgen möchte, der greife zu Aufbruch, dem zweiten Teil von Ulla Hahns Trilogie.