Proust — Entflammt, erobert, eifersüchtig, egal

Ein liebender Swann

Wer hat nicht schon ein­mal wie er­starrt und zu ei­nem ver­nünf­ti­gen Ge­dan­ken un­fä­hig sein Te­le­fon hyp­no­ti­siert, da­mit es end­lich klin­geln mö­ge, viel­mehr da­mit der An­ge­be­te­te end­lich spü­ren mö­ge, daß sein An­ruf sehn­lich er­war­tet wird, oder bes­ser, da­mit die­ser sich seh­ne an­zu­ru­fen. Heut­zu­ta­ge ist dank des mo­bi­len Te­le­fo­nie­rens ei­ne stun­den- oder gar ta­ge­lan­ge Qua­ran­tä­ne ob­so­let. Auch wenn Odet­te ‑über­flüs­sig es zu er­wäh­nen- na­tür­lich noch nicht mal ei­nen Fest­netz­an­schluss hat­te, so hät­te sie sich doch auch zur Zeit der ste­ten und all­ge­gen­wär­ti­gen Er­reich­bar­keit für Swann un­er­reich­bar zu ma­chen ge­wusst. Ein­fach weg­ge­drückt oder am bes­ten das Teil di­rekt im Bo­is ver­lo­ren, an ei­nem Re­gen­tag natürlich.

Die mo­der­ne Tech­nik hät­te das Lie­bes­leid des Mon­sieur Swann al­so sehr wahr­schein­lich auch nicht lin­dern kön­nen. Doch hät­te er dies über­haupt ge­wünscht? Was gibt es Schö­ne­res als mit bren­nen­dem Her­zen, vol­ler Zwei­fel und Un­wahr­schein­lich­keit auf ein Tref­fen mit der An­ge­be­te­ten durch nächt­li­che Stra­ßen zu ir­ren und tat­säch­lich sei­ne Sehn­sucht er­füllt zu fin­den? Erst die Su­che, das War­ten, das Un­ge­wis­se macht die ein­tre­ten­de Er­fül­lung ein­drucks­voll. Bei Swann führt sie so­gar da­zu, dass er sich tat­säch­lich ver­liebt in sei­nen Flirt Odet­te, in die­se schlan­ke groß­äu­gi­ge Bot­ti­cel­li­schön­heit, die doch so gar nicht sei­nem Gen­re entspricht.

In der ers­ten Zeit ih­rer Be­kannt­schaft scheint er gar nicht zu be­mer­ken, was in ihm vor­geht und war­um er den klei­nen Kreis der Ver­durins je­den Abend be­su­chen will oder eher muss. Aus frei­en Stü­cken je­den­falls nicht, ist das Ge­sche­hen in die­sem Sa­lon ihm doch un­säg­lich lang­wei­lig. Zu­dem ent­spre­chen die dort An­we­sen­den nicht dem ge­sell­schaft­li­chen Mi­lieu, in dem Swann sich sonst zu be­we­gen pflegt. Der be­flis­se­ne Ver­du­rin und sei­ne über­kan­di­del­te Gat­tin sind ge­zwun­gen sich ih­re Gäs­te müh­sam zu­sam­men zu su­chen. Aus der Not ma­chen sie ei­ne Tu­gend. Wie Le­gran­din dre­hen sie den Spieß um und fin­den die Per­so­nen der „Bes­se­ren Ge­sell­schaft”, die nicht bei ih­nen ver­keh­ren möch­ten, ein­fach zu öde um sie zu emp­fan­gen. Das be­grenzt die Aus­wahl, folg­lich wer­den aus Frau­en­man­gel auch Ge­schöp­fe der De­mi­mon­de wie Odet­te de Cré­cy empfangen.

Swanns Un­ent­schlos­sen­heit, sei­ne wi­der­sprüch­li­chen Ge­füh­le, die gleich­zei­ti­ge Ab­nei­gung und An­zie­hung ge­gen­über Odet­te, fin­de ich sehr gut nach­voll­zieh­bar. Swann ist ein Le­be­mann, der sich das Ge­fühl des Ver­liebt­sein zu­nächst nicht ein­ge­ste­hen will, weil er es an­schei­nend gar nicht mehr er­kennt. Die Spiel­chen, die er mit Odet­te treibt, wer­den ihm letzt­end­lich zum Ver­häng­nis. Mit Hil­fe der Catt­ley­as er­reicht er sein Ziel und Odet­te wird sei­ne Ge­lieb­te. Doch liebt sie ihn auch? Nun scheint es an ihr Spiel­chen zu trei­ben. Sie lässt Swann zap­peln, macht ihn zum ge­fü­gig War­ten­den, zum miss­trau­isch Ei­fer­süch­ti­gen, der sich aber letzt­end­lich trotz of­fen­sicht­li­cher Ver­dachts­mo­men­te im­mer wie­der in sei­ne Ide­al­vor­stel­lung von Odet­te rettet.

Odet­te ist, wie Mar­cels Groß­va­ter sag­te, ei­ne Ko­kot­te. Sie war die Da­me in Ro­sa, der Mar­cel einst bei sei­nem On­kel Adol­phe be­geg­ne­te. Sie lebt von den rei­chen Ker­len, die sie fi­nan­zie­ren, na­tür­lich nicht oh­ne ent­spre­chen­de Ge­gen­leis­tung. Ih­ren ers­ten Ehe­mann, den Gra­fen von Cré­cy, hat sie rui­niert. Sie fühlt sich von Swann be­läs­tigt, weil er sie be­drängt und sich nicht um die un­aus­ge­spro­che­ne Ab­ma­chung, Odet­tes Le­ben au­ßer­halb der Ren­dez­vous zu igno­rie­ren, küm­mert. Doch die­ser bleibt ver­liebt und gut ge­nug, ih­re Rei­sen und Ver­gnü­gun­gen zu fi­nan­zie­ren, ihr Le­ben, an dem er im­mer we­ni­ger teil­neh­men darf und das sie im­mer wei­ter von ihm entfernt.

Die Zei­ten der Ver­durins sind vor­bei, Swann ver­bringt sei­ne Aben­de wie­der in der ihm an­ge­mes­se­nen Ge­sell­schaft der Guer­man­tes. Er be­merkt, wie sei­ne Lie­be zu Odet­te all­mäh­lich ab­kühlt. Wenn er sie nicht trifft, ver­ebbt auch sein Ge­fühl. Schließ­lich er­kennt er, dass die­se tra­gi­sche Lie­be vor al­lem aus Il­lu­si­on und Selbst­be­trug bestand:

Wenn ich den­ke, dass ich mir Jah­re mei­nes Le­bens ver­dor­ben ha­be, dass ich ster­ben woll­te, dass ich ei­ne größ­te Lei­den­schaft er­lebt ha­be, al­les we­gen ei­ner Frau, die mir nicht ge­fiel, die nicht mein Gen­re war.“

Dass sie schließ­lich doch zur Ma­dame Swann avan­ciert, wäh­rend die­ser Ehe ei­ne Af­fai­re mit Char­lus, nach dem To­de Swanns For­che­ville ehe­licht, und schließ­lich Ge­lieb­te des Her­zogs von Guer­man­tes wird, steht in ei­nem an­de­ren Buch.

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