Tue Gutes und schreibe darüber

Variationen von Schwarz — Dagmar Leupolds Roman „Unter der Hand“

LeupoldWenn man das gan­ze Le­ben als Not­fall be­trach­tet, ist es na­tur­ge­mäß schwie­rig, sich zu rüs­ten, und letzt­lich gleich­gül­tig, ob man mit ei­nem Über­see­kof­fer un­ter­wegs ist oder mit ei­nem Beu­tel­chen vol­ler Brot­kru­men zum Aus­streu­en. Es fehlt das Ver­trau­en in Rückwege.“

Man­che Men­schen ha­ben ein di­ckes Fell, das sie un­emp­find­lich ge­gen äu­ße­re An­ma­ßun­gen macht. Nicht so Min­na, die seit ih­rer zu frü­hen Ge­burt ei­ne äu­ßerst durch­läs­si­ge Hül­le be­sitzt. So dünn, daß selbst ein Luft­hauch ihr un­ter die Haut fährt.

Doch ih­re Sen­si­bi­li­tät ist nicht ver­ant­wort­lich für den plötz­li­chen Tod der knapp über 50jährigen, von dem der Le­ser be­reits im Pro­log er­fährt. Hin­ge­bet­tet wie Schnee­witt­chen fin­det ihr Woh­nungs­nach­bar sie ent­schla­fen auf dem Bett, zu­sam­men­ge­rollt wie ein Fö­tus. Er er­in­nert sich an ei­ne un­er­schro­cke­ne, wit­zi­ge, klu­ge und trä­nen­rei­che Frau, die ein „Le­ben aus dem Steh­greif“ führ­te und kün­digt da­mit schon vie­les an, was auf den fol­gen­den Sei­ten zu le­sen sein wird.

Die­se lie­gen als Ma­nu­skript auf dem Leich­nam der ver­stor­be­nen Ver­fas­se­rin, „Schwarz­ar­beit-Ein Mär­chen“ der Ti­tel. Der Nach­bar nimmt sie an sich und ver­schwin­det le­send in ih­nen, le­dig­lich im kur­zen Epi­log tritt er noch ein­mal in Er­schei­nung. Nen­nen wir ihn den „Mit­ar­bei­ter“, denn ihm wid­met Dag­mar Leu­pold ih­ren Ro­man „Un­ter der Hand.

Die­ser wird zu­nächst sei­nem Ti­tel ge­recht. Er­hält Min­na doch un­ter der Hand ein steu­er­lich nicht le­ga­les un­glaub­li­ches An­ge­bot. Ein wohl­ha­ben­der Ita­lie­ner un­ter­brei­tet es ihr in ei­nem no­blen Agri­tu­ris­mo, wo sie sich von ih­rem Selbst­mord­ver­such er­holt. Sie sol­le an­de­re glück­lich ma­chen und dar­über schrei­ben, nur dies wür­de sie von ih­rer De­pres­si­on be­frei­en. Vico wird zum Mä­zen der Me­lan­cho­li­ke­rin, die im Aus­tausch ge­gen wohl­ge­füll­te ge­füt­ter­te Um­schlä­ge den Ver­such wagt. Mo­ti­viert durch das Ober­schen­kel-Tat­too „Your ef­forts may pay“ ei­ner Schwei­zer Rad­le­rin kehrt sie nach Mün­chen zu­rück. Dort lebt Min­na, die wie die Dag­mar Leu­pold aus ei­nem klei­nen Ort am Rhein stammt, und schlägt sich mit Ne­ben­tä­tig­kei­ten durch. Sie un­ter­rich­tet in ei­nem Nach­hil­fe­in­sti­tut, küm­mert sich um die Woh­nun­gen Ver­reis­ter und lek­to­riert, wenn das Geld all­zu knapp wird, Dudenartikel.

Letz­te­res liest man wenn auch un­gläu­big mit Ver­gnü­gen und kommt so ei­nem der Merk­ma­le des Ro­mans auf die Spur. Es ist der Hu­mor, der sich in An­spie­lun­gen und Wort­akro­ba­tik zeigt, und so die Schwarz­se­he­rei ge­hö­rig aufhellt.

Leu­pold va­ri­iert in ih­rer Ge­schich­te um die Schrift­stel­le­rin, die durch Schwarz­ar­beit ih­re Me­lan­cho­lie be­sie­gen soll, ei­ne Far­be, die ge­nau ge­nom­men kei­ne ist. Schwarz ent­steht durch die Ab­we­sen­heit von Licht, kein Licht, kei­ne Far­be, nichts. Ein sol­ches Nichts ist auch der Tod, der das ei­gent­li­che The­ma des Ro­mans ist.

Doch be­glei­ten wir zu­nächst Min­na in Mün­chen. Die Künst­le­rin der Schwarz­ma­le­rei lernt durch ei­nen Zu­fall die 80jährige Lot­te ken­nen. Aus un­re­gel­mä­ßi­gen Be­su­chen ent­steht ei­ne Bin­dung zu der al­lein­le­ben­den Al­ten, die wie Min­nas Mut­ter aus Ost­preu­ßen ge­flo­hen war. Ih­re Mut­ter hat­te Min­na schon vor Jah­ren an der Ku­ri­schen Neh­rung be­stat­tet, in Juod­kran­te, Schwarz­ort, wo sie ih­re Asche verstreute.

Die Be­zie­hung zu Lot­te hilft Mi­nas sich auch für an­de­re zu öff­nen. Sie lernt die Nach­hil­fe­schü­ler Par­wiz und An­ja und schließ­lich den grau­en Hein­rich ken­nen. Doch zu­nächst ist da Franz, als Phy­sio­the­ra­peut ist er auf Kör­per­li­ches spe­zia­li­siert, mit Min­na ver­bin­det ihn folg­lich rein Ero­ti­sches. Was so lan­ge gut geht bis sie sich ver­lie­ben, zum Glück bei­de in ei­nen anderen.

Min­nas Me­lan­cho­lie, ih­re De­pres­si­on und Dünn­häu­tig­keit schreibt sie der zu frü­hen Ge­burt und den dar­auf fol­gen­den Wo­chen im Brut­kas­ten zu. Dort lag sie auf schwar­zen Rhein­kie­seln be­wacht von schwarz­ge­klei­de­ten Non­nen. Doch als sie sich ver­liebt ver­fliegt der see­li­sche Ge­burts­scha­den im Nu.

Un­ter der Hand“ ist es kein schwe­rer Ro­man. Iro­ni­sche Bli­cke, ob sie auf die Tos­ka­na-Frak­ti­on oder die Münch­ner Möch­te­gern­bo­he­me fal­len, ver­lei­hen ihm Leich­tig­keit. Auch Lot­tes Flucht­erin­ne­run­gen, die dar­an an­schlie­ßen­den Ge­dan­ken über die Kriegs­ge­nera­ti­on und den Tod, wir­ken eher an­re­gend als be­drü­ckend. Be­son­ders be­ein­druckt ha­ben mich Leu­polds klar­sich­ti­ge und ge­fühl­vol­le Pas­sa­gen über das Ver­lie­ben als Erwachsene.

Et­was rät­sel­haft bleibt mir aber die Ge­schich­te um Vicos Mä­ze­na­ten­tum. Sei­ne Be­grün­dung bleibt lau, sein Ge­nuss­ge­winn va­ge. Im­mer­hin taucht er als po­ten­ti­el­ler Le­ser im Ma­nu­skript­ro­man auf. Doch die Er­war­tung, die der Deal in mir aus­ge­löst hat­te, blieb letzt­lich unerfüllt.

Nichts­des­to­trotz ha­be ich „Un­ter der Hand“ als poe­ti­sche Re­fle­xi­on über das Le­ben ger­ne gelesen.

Dag­mar Leu­pold, Un­ter der Hand, Jung und Jung, 1. Aufl. 2013

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