In seinem neuen Roman „Alpha & Omega“ erklärt Markus Orths mit Phantasie und Augenzwinkern die „Apokalypse für Anfänger“
„Die Kriege, die sich zerfleischenden Kulturen, die Hungergenozide, die scham- und rücksichtslose Ausbeutung: Ich konnte kaum glauben, dass die damaligen Menschen alldem nichts oder nicht genug entgegengesetzt hatten. Obwohl sie genau Bescheid wussten. Zum Beispiel darüber, dass täglich dreitausend Menschen allein an den Folgen von Druchfallerkrankungen starben. Nein — sie ließen es geschehen. Mich fröstelte.“
Wie werden künftige Historiker auf unsere heutige Gesellschaft zurückblicken? Wilhelm Genazino bezeichnete die willig von Medien Manipulierten als „Erlebnisproletariat“. In Markus Orths’ neuem Roman urteilen unsere Nachfahren noch harscher, sie bezeichnen das 21. Jahrhundert als „Barbarisches Zeitalter“. Wer Orths’ apokalyptischen Offenbarungen von Anfang bis Ende folgt, ist geneigt ihnen zu zustimmen.
„Alpha & Omega“ beginnt nicht mit, sondern kurz vor einem Knall. Wir befinden uns im Jahr 525 nach Omega, ergo 2525 nach Christus, und ein Meteorit droht Erde samt Zubehör hinwegzufegen. Die Menschen in ihrer „Jetzt-Obsession“ besitzen weder ein Gefühl für die Zukunft noch Ahnung von der Vergangenheit. Was kaum wundert, denn Bücher gibt es schon lange nicht mehr. Die einzigen Lektüren bieten rudimentäre Rindenritzungen im Wald.
Da findet ein gewisser Elias Zimmermann zufällig Zugang zu einer geheimen Bibliothek, wo er nicht nur Nachhilfe in Geschichte erhält, sondern auch die Nachricht von der bevorstehenden Apokalypse. Schließlich muss Elias erkennen, daß nur sein Einsatz diese abwenden könnte.
Omega, Victoria’s True Secret, so liest er, hat 2021 die Welt schon einmal vor ihrem Untergang bewahrt. Um das wahre Geheimnis dieses Sieges zu ergründen und so ein Rezept gegen die aktuelle Apokalypse zu erhalten, lässt sich Elias vom Maschinenmenschen Jimmy mit einer Zeitmaschine ins Jahr 2000 katapultieren.
Als körperloses Bewusstsein nimmt er an Omegas Erscheinen teil. Das schwarze Baby materialisiert sich schreiend im Säuglingszimmer einer Freiburger Klinik und wird noch am gleichen Tag von den Eltern eines männlichen Neugeborenen adoptiert. Das zu Zwillingseltern erkorene Paar Kolja und seine esoterische Frau Birte, alias Bitch, nennen die Kinder Alpha und Omega.
Elias beobachtet das Aufwachsen der Zwillinge unter der besonderen Obhut des Großvaters Gusto, seines Zeichens Philosoph der Exkremenz. Ein gut bestückter schwuler Buddha und ein weißer Holo-Husky sind weitere der zahllosen skurrilen Gestalten und Phänomene, die diese Mission begleiten. Bevor die schwarze Schönheit Omega allerdings zur Heilsbringerin avanciert, nutzt sie ihre telekinetischen Fähigkeiten um profanere Ziele zu erreichen. Auch Hirne mit Extravolumen träumen wie andere kleine Mädchen vom Sieg in Wimbledon oder bei Germany’s Next Topmodel.
Orths’ aberwitzige Tour de Force durch unser Zeitalter beinhaltet neben Spaß auch Kritik und jede Menge Wissenschaft. Populäre Mainstreamkultur wird durch physikalische Theorie aufs Schrägste konterkariert. Bisweilen beneidete ich Elias, der dank Quadrupelhirn sekundenschnell lesen kann, denn der Autor erspart seinen Lesern nicht das kleinste Teilchen Physik. Wir müssen ins CERN, ins CON, ins Schwarze Loch, mitten hinein in physikalische Theorie, wo die andernorts eingesparte Beschreibungsmanie dann doch zuschlägt.
Jenseits aller furiosen Science-Fiction und Zeitgeist-Kritik greift Orths eine Frage auf, die sich auch in seinen anderen Romanen findet, die Einsamkeit des Einzelnen. Elias leidet darunter als Zeitreisender von den anderen nicht wahrgenommen zu werden. Schmerzlich wird ihm bewusst, wie sehr die fehlende Interaktion, ihn auf sich selbst zurück wirft. Diese Einsamkeit, so berichtet ihm der Maschinenbibliothekar Jimmy hatte andere Zeitreisende in Wahnsinn und Tod getrieben.
„Alpha & Omega“ beeindruckt durch eine Phantasie, die den Roman aus der Masse heraushebt, deren Nähe er wiederrum durch Shows, Stars und Sport sucht. Der Publikumserfolg scheint diesem All-Age‑, oder besser All-Brain-Buch, gewiss, vielleicht sogar eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Auf jeden Fall ist es ein Einstieg in das Orths’sche Universum, aus dem Werke wie „Die Tarnkappe“ oder „Das Zimmermädchen“ herausragen.
Ergänzende Informationen zum Roman finden sich auf der Homepage von Markus Orths, eine Leseprobe bietet der Schöffling Verlag.
Markus Orths, Alpha & Omega. Apokalypse für Anfänger, Schöffling & Co., 1. Aufl. 2014