Vom Hacken und Schreiben

In „Capricho. Ein Sommer in meinem Garten“ findet Beat Sterchi beim Prokrastinieren einen Schatz

Ge­ra­de als ich ein wei­te­res Stück des Ackers in An­griff neh­men woll­te, stand der al­te Mar­cos auf dem Weg oben auf der Mau­er ne­ben dem Be­wäs­se­rungs­ka­nal. Er nahm den Stroh­hut vom Kopf, kratz­te sich mit der glei­chen Hand in sei­nem di­cken, wei­ßen Haar und kicherte.
Nur so wei­ter!, sag­te er. Un­ver­hoh­len mus­ter­te er mei­ne Ar­beit. Dann sag­te er, er ha­be mir Saat­kar­tof­feln be­sorgt. Er ha­be den Korb an den Ein­gang mei­nes Hau­ses gestellt.
War­um hast du sie nicht gleich mit­ge­bracht?, frag­te ich.
Hombre, sag­te er. No es lu­na! Der Mond ste­het nicht rich­tig! Ich müs­se den Voll­mond ab­war­ten. Erst am Sams­tag kön­ne ich die Kar­tof­feln setzen.“

Was gibt es Schö­ne­res als im Gar­ten zu sein? Dort ist Luft und Le­ben und die Ar­beit for­dert den Kör­per. Der Geist bleibt frei, nicht über­mä­ßig be­an­sprucht vom Schnip­peln und Schnei­den, vom Ha­cken und Jä­ten. Din­ge, die ge­tan wer­den müs­sen und zu­gleich Flucht vor der Welt und den Auf­ga­ben er­lau­ben. Dicht am Bo­den fin­det der Geist In­spi­ra­tio­nen und denkt, was ihm ge­ra­de in den Sinn kommt.

Auch ich wä­re jetzt ger­ne in mei­nem Gar­ten. Er ruft. Es ist Früh­ling. Bun­te Blü­ten ent­de­cken, wild Wu­chern­des ent­fer­nen und die Ro­sen ein paar Köp­fe kür­zer ma­chen. All das muss war­ten, denn Beat Ster­chis Buch war­tet. „Ein Som­mer in mei­nem Gar­ten“ will be­spro­chen wer­den. „Ca­pricho“ liegt schon län­ger hier, ge­le­sen und im Li­te­ra­tur­kreis dis­ku­tiert, wo es fast al­len ge­fal­len hat. Auch mir. Bald kann ich raus, in den Gar­ten. Beat Ster­chi ging zu­erst in den Gar­ten, dann an den Schreib­tisch. Dort ver­such­te er ver­geb­lich sei­nen Text vor­an­zu­brin­gen. Al­so ma­che ich es lie­ber umgekehrt.

Ster­chis Gar­ten liegt im Sü­den Ka­ta­lo­ni­ens, da muss ge­gos­sen wer­den und we­gen der Hit­ze ist das Ha­cken in der Früh an­ge­neh­mer. Es dient, wie ich ges­tern im Ra­dio von ei­ner Gar­ten­fach­frau hör­te, dem Auf­bre­chen der Ka­pil­la­re. So ver­duns­tet das Was­ser we­ni­ger und kann bes­ser auf­ge­nom­men wer­den. Ster­chis spa­ni­sche Nach­barn wis­sen das seit Jahr und Tag. Al­le ha­ben ei­nen Huer­to, ei­ne klei­ne Par­zel­le am Dorf­rand, wo sie Ge­mü­se züch­ten, vor al­lem Kar­tof­feln. Die klei­nen Kar­tof­feln, die mit Oli­ven­öl, Kräu­tern und Salz so gut schme­cken, die sol­len auch in sei­nem Huer­to wach­sen. Ster­chi schil­dert sei­ne Mü­hen, die von den Dorf­ge­nos­sen be­ob­ach­tet und mit ma­li­zi­ös ge­lä­chel­ten Rat­schlä­gen be­glei­tet werden.

Doch ist dies nur ein Buch über Kar­tof­fel­an­bau? Schil­dert Ster­chi nur ei­nen Som­mer in sei­nem Gar­ten? Nein, er er­lebt sei­ne pro­duk­ti­ve Pro­kras­ti­na­ti­on als ein Ca­pricho, ei­ne Lau­ne. Er schreibt, auch wenn er fürch­tet, in die­sem Som­mer in sei­nem Fe­ri­en­haus gar nichts schrei­ben zu kön­nen. Der Schreib­tisch hemmt und der Gar­ten för­dert. Dort lie­gen zwi­schen den Mau­er­rit­zen nicht nur die Ei­dech­sen in der Son­ne, son­dern auch die Stif­te. Ster­chis klei­ne No­tiz­bü­cher fül­len sich, er muss sich Nach­schub besorgen.

(…) es wur­de mit klar, dass ich in mei­nem huer­to of­fen­sicht­lich je­de Glüh­würm­chen­exis­tenz als er­wäh­nens­wert er­ach­te­te, (…), was aber mein ei­gent­li­ches Schreib­vor­ha­ben be­traf, starr­te ich noch im­mer in ein trost­lo­ses, schwar­zes Loch.“

Bei sei­nen Be­sor­gun­gen in der Stadt be­merkt er Ver­än­de­run­gen, an den Ge­bäu­den wie an den Be­kann­ten, die seit dem letz­ten Jahr ge­al­tert sind. Die Zeit ver­geht, auch im Dorf, über die Jah­re und über den Som­mer. „Así es la vi­da!“ kom­men­tiert Ma­ría An­ge­les. Im Klei­nen zeigt dies sein Gar­ten oder bes­ser die Kar­tof­feln, die trotz al­ler Wi­der­nis­se, trotz al­ler Un­bill ge­dei­hen. Manch­mal spült das Un­wet­ter sie vor der Zeit her­aus. Doch klei­ne Kar­tof­feln sind gut. Eben­so wie die klei­nen Ka­pi­tel die­ses Buchs.

Der Mar­der, die Gei­er und die Ha­cke“, „Die Ro­se, die Pal­me und das Meer“ aber auch „Die Gül­le, der Zür­gel­baum und der He­li­ko­pter“. Es sind Be­ob­ach­tun­gen, Be­schrei­bun­gen, Be­geg­nun­gen, die sich im Ti­tel-Ter­zett vor­stel­len. Das klingt schlicht und ent­spricht Ster­chis un­prä­ten­tiö­sem Stil. In klei­nen Schrit­ten macht er den Le­ser nach und nach mit dem Dorf und sei­nen Be­woh­nern be­kannt. Wir fol­gen ihm auf den We­gen, strei­fen die Häu­ser, sit­zen abends im Gast­haus oder beim Gril­len hin­term Haus. Es herrscht ei­ne be­trieb­sa­me und den­noch ge­las­se­ne At­mo­sphä­re in die­sem Dorf in der spa­ni­schen Pro­vinz. In vie­lem er­in­nern mich Ster­chi Schil­de­run­gen an Fa­bio An­di­nas „Ta­ge mit Fe­li­ce“. Doch an­ders als An­di­na spielt bei Ster­chi sein ver­meint­li­ches Schei­tern am Schreib­pro­jekt ei­ne Rol­le. Stets ist er auf „der Su­che nach dem ro­ten Fa­den“, den ihm be­reits die kleins­te Maus ab­bei­ßen kann. Dann flieht zum Ha­cken in sei­nen Huer­to und wünscht sich solch‘ ste­ten Rhyth­mus für sein Schrei­ben. Was heu­te als Acht­sam­keit ge­prie­sen wird, be­schreibt be­reits Tol­stoi. An des­sen Heu­maht in An­na Ka­re­ni­na denkt Ster­chi nicht. Sei­ne li­te­ra­ri­schen Be­zü­ge fin­det er bei Jo­sef Pla, Iwan Bu­nin oder Lu­is Sepúl­ve­da.

Manch­mal er­in­nern Ster­chis Tex­te an Ta­ge­buch-No­ta­te, knapp er­zählt er von sei­nen Wan­de­run­gen, von Tie­ren und Men­schen. Die Na­tur — das Dorf Mo­rel­la lie­ße sich oh­ne wei­te­res als be­sie­del­te Na­tur be­schrei­ben — ist ihm am liebs­ten. Doch er ro­man­ti­siert es eben­so we­nig als Idyll, wie sei­ne Nach­barn als glück­li­che Land­leu­te. Prag­ma­tisch, bis­wei­len hart wie ih­re Ar­beit sind der Schwei­ne­züch­ter Ra­mon oder Joa­quin, eben­so wie die al­te Do­na Mará, de­ren im Wind we­hen­des Kü­chen­hand­tuch dem Au­tor, wie „ei­ne Fah­ne je­ner Ar­mut“ er­scheint, „die vor noch nicht all­zu lan­ger Zeit in die­sem Dorf ge­herrscht ha­ben muss“. Haupt­säch­lich herrscht hier Ru­he, die Ster­chi für sein Schrei­ben sucht. Wer hät­te ge­dacht, daß ein Huer­to ihn ab­lenkt. Erst spät er­kennt er des­sen in­spi­rie­ren­de Kraft.

Beat Ster­chi, Ca­pricho. Ein Som­mer in mei­nem Gar­ten, Dio­ge­nes 2021

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