Stauräume der Vergangenheit“

Richard Fords Frank in Zeiten des Hurrikans

Ford_24923_MR.inddDie star­ke Hand ei­nes or­dent­li­chen Hur­ri­kans hat et­was für sich, sie macht dem Le­ben un­sanft klar, wie re­la­tiv al­les ist.

Als Frank vor den Über­res­ten sei­nes eins­ti­gen Hau­ses steht, fällt sein Blick in den Kel­ler. Er ist voll­kom­men leer, all das Ge­rüm­pel, „Kis­ten über Kis­ten voll Zeug, das man vor Jahr­zehn­ten hät­te weg­schmei­ßen sol­len – ist hoch­ge­saugt und weg­ge­bla­sen wor­den“. Hell scheint das Licht in die dunk­len „Stau­räu­me der Ver­gan­gen­heit“, die Ge­spens­ter sind ver­scheucht, Ver­dräng­tes kommt nach oben. Da­bei kön­nen Kel­ler auch wert­stei­gernd sein, wie der Im­mo­bi­li­en­mak­ler Frank weiß. Aus­ge­baut die­nen die Bas­tel­bas­tio­nen Fa­mi­li­en­vä­tern als Rück­zug und als Zu­flucht falls das Ehe­bett zu eng wird. Im neu­en Buch „Frank“ von Ri­chard Ford spie­len Kel­ler ei­ne be­son­de­re Rolle.

Frank Bas­com­be, be­kannt aus Ri­chard Fords Ro­ma­nen „Der Sport­re­por­ter, „Un­ab­hän­gig­keits­tag und „Die La­ge des Lan­des ist wie sein Au­tor äl­ter ge­wor­den. Mit 68 Jah­ren und zum zwei­ten Mal ver­hei­ra­tet lebt Frank mit sei­ner Frau Sal­ly wie­der in Had­dam. Vor ei­ni­gen Jah­ren ist der Im­mo­bi­li­en­mak­ler aus dem Küs­ten­ort Sea-Clift in die Stadt sei­ner Kind­heit zu­rück­ge­kehrt. Sein schmu­ckes Haus am Strand hat­te ihm ein Neu­rei­cher un­term Arsch, wie Frank es viel­leicht sa­gen wür­de, weg­ge­kauft. Gut so, denn jetzt hat Hur­ri­kan San­dy es um­ge­hau­en. Der Neu­rei­che ist ein we­nig är­mer, die Küs­ten­idyl­le ka­putt, Sal­ly küm­mert sich als Not­fall­seel­sor­ge­rin um die Hur­ri­kan-Op­fer und Frank hat Zeit über den Früh­stücks­flo­cken an Ver­gan­ge­nes zu denken.

Zum Bei­spiel an sei­ne ers­te Frau Ann, die an Par­kin­son er­krankt ku­rio­ser­wei­se in ei­ner Se­nio­ren­re­si­denz ganz in der Nä­he lebt. Die Ehe­män­ner nach Frank ha­ben ihr Ei­ni­ges hin­ter­las­sen. Nicht je­der trifft es so gut, selbst wenn er wie Ann in ge­sun­den Jah­ren ein Golf-Ass war. Vie­len geht es im Jahr 2012 schlecht, den Hur­ri­kan-Op­fern an der Küs­te, den Be­woh­nern der Vor­städ­te, den Ve­te­ra­nen aus Af­gha­ni­stan und Irak und erst recht der ame­ri­ka­ni­schen Spra­che. „To­tal­ka­ta­stro­phe hängt in der Luft“ wit­tert Frank und leis­tet so gut er kann An­teil­nah­me, sich selbst und den anderen.

Kurz vor Weih­nach­ten bit­tet er ei­ne Un­be­kann­te, die vor Jahr­zehn­ten in sei­nem Haus leb­te, groß­zü­gig her­ein. Noch am Mor­gen las er in der Zei­tung „wie es sich an­füh­len wür­de, in den luft­lee­ren Raum ge­schmis­sen zu wer­den“, nicht ah­nend, daß sich Char­lot­te Pi­nes, der un­er­war­te­te Gast, sehr ge­nau da­mit aus­kennt. Das Haus er­weckt die­ses Ge­fühl in ihr er­neut, hier sucht sie nach „dem ver­lo­re­nen Teil ih­res Le­bens“.

Be­hut­sam wie die Be­geg­nung der Bei­den ent­wi­ckelt Ford die­se Ge­schich­te. Mit An­deu­tun­gen und Omi­na be­rei­tet er den Hö­he­punkt vor. Ms. Pi­nes zö­gert ih­re „merk­wür­di­ge Mis­si­on“ von „herz­zer­rei­ßen­der Trau­rig­keit“ zu ent­hül­len, doch Frank treibt sie ah­nungs­los wei­ter vor­an. Auch wenn ihm zwi­schen­durch „die Luft weg bleibt“ und ihn ein „ge­spens­tisch her­an­rau­schen­des Schwin­del­ge­fühl“ be­fällt. Als er be­merkt, auf wel­che „saf­ti­ge Ge­schich­te“ sie zu­steu­ern ist es zu spät, von we­gen harm­lo­se Vorstadt.

In je­der der vier Er­zäh­lun­gen lässt Ford sei­nen Frank auf ei­nen Men­schen tref­fen, der vie­les ver­lo­ren hat. Hel­fen kann Frank nicht, aber hei­len, ein we­nig we­nigs­tens. Sei­ne Em­pa­thie ist rau­bei­nig, an­fangs wi­der­bors­tig wird sie weich im Ab­gang. Es ist das Al­ter, das ihn nicht nur dem Auf­wa­chen ent­ge­gen träu­men, Eich­hörn­chen be­ob­ach­ten, Angst vor Mund­ge­ruch und Darm­win­den spü­ren lässt, son­dern auch die Er­kennt­nis be­schert „viel­leicht soll ich mir ein­fach nur die Mü­he ma­chen, da zu sein“.

Er fährt an die Küs­te, als Ar­nie Ur­quhart, der Käu­fer sei­nes Strand­hau­ses, ihn um die Be­sich­ti­gung der Rui­ne und um Rat bit­tet. Er bringt sei­ner Ex­frau ein Kis­sen in ihr Lu­xus­wohn­heim, das sie sich eben­so hät­te lie­fern las­sen kön­nen. Ei­ner Un­be­kann­ten er­laubt er ei­ne Haus­be­sich­ti­gung und er be­sucht den längst fremd­ge­wor­de­nen, ster­ben­den Freund. „Ich bin da“, „Könn­te al­les schlim­mer sein“, „Das neue Nor­mal“ und „Die To­de an­de­rer“ tra­gen ih­re The­men schon im Ti­tel. An­teil­nah­me, Ar­ran­ge­ment, Al­ter und Tod. Weis­heit und letz­te Din­ge, de­nen Frank mit wohl­tu­en­dem Sar­kas­mus be­geg­net ent­ge­gen der all­seits dro­hen­den Rührseligkeit.

In die­sem Ton for­mu­liert er auch sein Miss­be­ha­gen an ge­sell­schaft­li­chen Zu­stän­den. Da­zu zäh­len die heuch­le­ri­sche Po­li­ti­cal Cor­rect­ness und die da­mit ver­knüpf­ten Zu­rich­tun­gen der Spra­che, Pro­fit­gier, Schnell­le­big­keit, Apart­heid, Ju­gend­wahn so­wie die Di­gi­ta­li­sie­rung, die ei­ne Se­nio­ren­re­si­denz zum „le­ben­di­gen La­bo­ra­to­ri­um für die grau­en Ame­ri­ka­ner“ macht.

Dies war mei­ne ers­te Ri­chard Ford Lek­tü­re und so­mit auch mei­ne ers­te Be­geg­nung mit Frank. Be­ein­druckt hat mich die sorg­fäl­ti­ge Kon­struk­ti­on be­son­ders der zwei­ten Er­zäh­lung. Al­le vier Ge­schich­ten sind nicht nur for­mal durch Län­ge, Dia­log­struk­tur und re­kur­si­ve Ele­men­te ver­bun­den, auch in­halt­lich neh­men sie auf­ein­an­der Be­zug. Als Brü­cke dient je­weils ein Satz am En­de der Er­zäh­lung, der zum Ti­tel der fol­gen­den wird. Die­se Tricks Fords und der freie Geist Franks ma­chen mir Lust auf mehr Bascombe.

Richard Ford, Frank, Hanser Literaturverlag, 1. Aufl. 2015

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