Auf eine Zigarre mit Schlemihl

In seinem neuen Roman Pfaueninsel hinterfragt Thomas Hettche die Exotik des Anderen

pfaueninselIch wer­de mir mei­ne Sie­ben­mei­len­stie­fel un­ter­schnal­len und nach Grie­chen­land rei­sen. Tun Sie mir den Ge­fal­len und rau­chen in mei­ner Ab­we­sen­heit kei­nen tür­ki­schen Tabak?“
„Am liebs­ten“, sag­te sie, „kä­me ich mit.“
„Aber Ma­de­moi­sel­le!“ pro­tes­tier­te Schle­mihl lä­chelnd, „Ihr Platz ist doch hier.“
„Und wes­halb?“ ent­geg­ne­te sie. „Weil ich ein Mons­ter bin? Ein­ge­sperrt auf die­ser In­sel für mein gan­zes Leben?“
„Ein Mons­ter?“ Schle­mihl sah sie ent­setzt an. „Wer sagt das?“
Ma­rie schüt­tel­te den Kopf. Es war ihr pein­lich, das Wort aus­ge­spro­chen zu ha­ben. Daß Schle­mihl sie nun schon wie­der ver­ließ, in die Welt hin­aus­zog, die sie nie­mals se­hen wür­de, hat­te sie aufgewühlt.

Was de­fi­niert den His­to­ri­schen Ro­man? Daß sei­ne Hand­lung in der Ver­gan­gen­heit spielt, fer­ne Or­te und Er­eig­nis­se in un­se­rer Phan­ta­sie er­neut zum Le­ben er­weckt? Da­mit es die­ser nicht zu fad wird, set­zen die tri­via­len Ver­tre­ter die­ses Gen­res ger­ne auf Sex&Crime. Mord und Tot­schlag meist als Fol­gen krie­ge­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zung zäh­len zum Tag­werk, schwie­ri­ge Ge­bur­ten wie schlim­me Schick­sa­le für Mut­ter und Kind ge­hen auf das Kon­to bar­ba­ri­scher Zu­stän­de. Der­ar­ti­ges webt auch Tho­mas Hett­che in sein ak­tu­el­les Werk Pfau­en­in­sel, al­ler­dings er­füllt er nicht nur li­te­ra­risch hö­he­re Ansprüche.

Zwei his­to­ri­sche Be­zugs­punk­te bil­den sei­ne Ba­sis. Die ti­tel­ge­ben­de, in der Ha­vel bei Pots­dam ge­le­ge­ne Pfau­en­in­sel, ein auf­grund der Re­lik­te his­to­risch noch heu­te fass­ba­rer Ort, und die mit ihr ver­bun­de­nen Per­so­nen. Ne­ben den Preu­ßen­kö­ni­gen und ih­ren Hof­gärt­nern, sind es die Be­woh­ner die­ses Re­fu­gi­ums, de­nen Hett­che mit Hil­fe his­to­ri­scher Quel­len li­te­ra­ri­sches Le­ben ein­haucht. Als Mark­stei­ne die­nen die Krie­ge ge­gen Frank­reich, sie be­ein­flus­sen auch die ab­ge­schot­te­te Welt der In­sel, wie der all­wis­sen­de Er­zäh­ler weiß. Au­ßer ihm gibt Hett­che der klein­wüch­si­gen Ma­rie Do­ro­thea Stra­kon ei­ne Stim­me, de­ren Le­bens­da­ten wie noch heu­te ihr Grab­stein zeigt, fast mit der Dau­er des lan­gen 19. Jahr­hun­derts übereinstimmen.

Ge­mein­sam mit ih­rem et­was äl­te­ren Bru­der Chris­ti­an kam sie 1810 als Pfleg­ling Fried­rich-Wil­helm II. zur In­sel. Pfau­en­wer­der, we­gen sei­ner Nut­zung auch Ka­nin­chen­wer­der ge­nannt, kam 1685 in Be­sitz des Gro­ßen Kur­fürs­ten. Fried­rich-Wil­helm II. ließ im Jahr 1793 für sei­ne Mä­tres­se Wil­hel­mi­ne En­cke ein Gar­ten­re­fu­gi­um er­rich­ten. Ei­ne künst­li­che Rui­ne und an­de­re Staf­fa­ge­bau­ten nach Vor­ga­ben eng­li­scher Land­schafts­parks er­gänz­ten das ro­man­ti­sche Am­bi­en­te. Drei­ßig Jah­re da­nach wur­de es im Auf­trag sei­nes Nach­fol­gers von Pe­ter Jo­sef Len­né zu ei­nem exo­ti­schen Park um­ge­stal­tet. Das Lust­schlöss­chen des Ar­chi­tek­ten Jo­hann Gott­lob Bren­del blieb bis heu­te bestehen.

Sei­ne Ge­mä­cher wur­den frü­her nur von der Kö­nig­li­chen Fa­mi­lie bei ih­ren sel­te­nen Be­su­chen ge­nutzt. Ma­rie oder die Zwer­gin, wie sie der Er­zäh­ler der da­ma­li­gen Aus­drucks­wei­se an­ge­mes­sen nennt, lebt mit der Fa­mi­lie des Hof­gärt­ners Fin­tel­mann im Kas­tellans­haus. Zu­sam­men mit des­sen Söh­nen wird sie von ei­nem Haus­leh­rer un­ter­rich­tet. Sie lernt Fran­zö­sisch und hö­fi­sches Be­neh­men. Schließ­lich ist ihr die Rol­le des Schloß­fräu­leins zu­ge­dacht, als skur­ri­les Aus­stat­tungs­de­tail für das Mi­nia­tur­schloss. Auch für ih­ren Bru­der Chris­ti­an fin­det sich ei­ne Funk­ti­on. Als Hir­te für Scha­fe und Zie­gen ma­chen ihn ei­ne Fell­ho­se und sein nack­ter Ober­kör­per zum Sa­tyr. Die die­sen We­sen ei­ge­ne phal­li­sche Na­tur nutzt Hett­che um die ero­ti­schen Er­war­tun­gen an den His­to­ri­schen Ro­man zu er­fül­len. Die­se, das nur ne­ben­bei, hal­ten sich in ver­träg­li­chen Gren­zen. Wie­so ei­ni­ge Re­zen­sen­ten von obs­zö­nen Sze­nen spre­chen, ist mir un­ver­ständ­lich, der Vor­wurf des Spie­gel so­gar skur­ri­ler als sein Gegenstand.

Ab­ge­se­hen von die­sen ero­ti­schen Ein­las­sun­gen bie­tet der Ro­man ei­ne Lie­bes­ge­schich­te mit Fol­gen, die wie zu er­war­ten kein gu­tes En­de neh­men. Vor die­ser Ku­lis­se schil­dert Hett­che die Ent­wick­lung Ma­ries, die sich mit zu­neh­men­dem Al­ter und Bil­dung ih­rer Am­bi­va­lenz be­wusst wird. Sie, die An­ders­ar­ti­ge, wächst in ei­nem ge­schütz­ten Re­ser­vat auf, fern von neu­gie­ri­gen Bli­cken. Wie ein sol­cher sie ei­nes Ta­ges trifft, und ihr ih­re An­ders­ar­tig­keit be­wusst macht, schil­dert die be­ein­dru­cken­de Ein­gangs­sze­ne. Dort stößt Chris­ti­an auf Kö­ni­gin Lui­se, die ihn er­schro­cken als Mons­ter be­zeich­net. Hett­ches Er­zäh­ler re­agiert dar­auf mit klu­gen As­so­zia­tio­nen zur viel­fäl­ti­gen Be­deu­tung von Worten.

Ma­rie, die von die­ser Be­geg­nung hört, be­sitzt nun ein Wort für das in ihr gä­ren­de un­gu­te Ge­fühl. Ge­fan­gen in ih­rem klei­nen Kör­per, auf der klei­nen In­sel und in ih­rem An­ders­sein, sucht sie Trost in der Li­te­ra­tur. Die­se öff­net ihr Wel­ten, die der Zwer­gin ta­bu blei­ben wer­den. Sie teilt Er­fah­run­gen mit No­va­lis, Arndt, Rous­se­au und mit Cha­mis­so, des­sen Schle­mihl Hett­che in per­so­nam auf­tre­ten lässt.

In der Rea­li­tät bleibt das Schloß­fräu­lein ku­rio­ser Be­stand­teil der in­sel­ei­ge­nen Ku­lis­sen­welt. Die­ser die­nen nicht nur Ar­chi­tek­tur-Staf­fa­gen und Tie­re aus Über­see, auch Men­schen, die durch Grö­ße oder Her­kunft, vom preu­ßi­schen Maß ab­wei­chen. Rie­sen, Süd­see­insu­la­ner, Afri­ka­ner, Kän­gu­rus, Af­fen und ein Lö­we wa­ren den Be­su­chern der In­sel das, was den Gäs­ten des Lust­schlöss­chen des­sen Ot­a­he­iti­sches Ka­bi­nett war. Ein Grund von Sehn­sucht und woh­li­gem Schauder.

Die In­sel wird zum künst­li­chen Ha­bi­tat der Exo­ten, die, wo Wär­me und Was­ser feh­len, sel­ten gut ge­dei­hen. Auch Ma­rie er­wacht aus ih­rer kind­li­chen Arg­lo­sig­keit und lei­det an ih­rem Schick­sal als Objekt.

Die Fra­ge nach dem in­di­vi­du­el­len und ge­sell­schaft­li­chen Um­gang mit dem An­ders­sein ist die Es­senz die­ses his­to­ri­schen Ent­wick­lungs­ro­mans. Ei­ne Glas­schei­be aus der Werk­statt des Al­che­mis­ten ver­wan­delt Hett­che zum rot­fun­keln­den Fo­kus, in dem sich Jah­re, Per­so­nen und Le­gen­den spiegeln.

Als Ku­rio­sum am Ran­de des Ro­mans sei ver­merkt, daß Tho­mas Hett­che von De­nis Scheck für Druck­frisch und Le­sens­wert dop­pelt in­ter­viewt nicht al­les, aber vie­les über sei­ne Ar­beit an die­sem Stoff verrät.

 Tho­mas Hett­che, Pfau­en­in­sel, Kiepenheuer&Witsch, 1. Aufl. 2014

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