Proust — Du côté de chez Swann – Du côté de Guermantes

Promenaden

Nach ei­nem trä­nen­rei­chen Ab­schied vom Weiß­dorn schil­dert uns der Er­zäh­ler  die bei­den Haupt­spa­zier­we­ge von Com­bray (S. 194–248). Der Ers­te führt ihn in Rich­tung des Swann­schen Be­sit­zes und dehnt sich wei­ter zur Sei­te von Mé­ség­li­se-la-Vi­neu­se hin aus. Das Spa­zie­ren­ge­hen in der Na­tur ist ihm not­wen­di­ger Aus­gleich zur  Lek­tü­re und gleich­zei­tig ei­ne nie ver­sie­gen­de In­spi­ra­ti­ons­quel­le. Na­tur­er­schei­nun­gen wie der Wind tre­ten als Lo­kal­geist von Com­bray auf, die gran­dio­sen Auf­trit­te der Schau­spie­le­rin „La lu­ne“ wer­den er­leb­bar, vor Re­gen bie­tet das Wäld­chen von Rous­sain­ville Schutz. Die­sen Un­ter­schlupf nutz­te man wohl oft, da sich die­ser Weg we­gen sei­ner Kür­ze bei auf­zie­hen­den Re­gen­wol­ken an­bot. Vor­bei an Tan­son­ville, dem von ei­nem Park um­ge­be­nen schloss­ar­ti­gen An­we­sen Swanns, führt er zur Feld­kir­che von Saint-An­dré-des-Champs, in des­sen go­ti­schen Skulp­tu­ren der Kna­be die Ge­stal­ten der nai­ven Phan­ta­sie Fran­çoi­ses und zu­gleich vie­le Ge­sich­ter der Dorf­be­woh­ner wie­der zu ent­de­cken glaubt. So fin­det er ei­nen mit­tel­al­ter­li­chen Vor­fahr des La­den­ge­hil­fen Theo­dor und ei­ne Hei­li­ge, die „ge­sund, ge­fühl­los und tüch­tig gleich ei­ner der Bäue­rin­nen die­ser Ge­gend“ aussieht.

Die­se Wan­de­run­gen, die er schließ­lich auch al­lei­ne un­ter­nimmt, ge­ben Ge­le­gen­heit zu in­ten­si­ven Träu­men, sein Ver­lan­gen nach ei­ner Frau oder sein Wunsch Schrift­stel­ler zu wer­den durch­lebt er mit al­len As­so­zia­tio­nen und Ängs­ten. Zu­dem bie­ten sie ihm die Mög­lich­keit zur un­be­ob­ach­te­ten Teil­nah­me am be­fremd­li­chen Ver­hal­ten Ma­de­moi­sel­le Vinteuils.

Der an­de­re Gang führt zur Sei­te von Guer­man­tes, ein Weg des­sen Län­ge sich be­reits da­durch zeigt, daß man auf ihm Per­so­nen un­be­kann­ter Iden­ti­tät an­tref­fen kann. So die Fi­scher am Ufer der Vi­von­ne, de­ren Trei­del­weg der Spa­zier­gän­ger folgt, vor­bei an den Rui­nen des gräf­li­chen Schlos­ses von Com­bray, vor­bei an zahl­rei­chen See­ro­sen in ge­stau­ten Fluss­be­cken, an ei­nem Park mit Nym­phä­en­gär­ten, durch ein tief­grü­nes Meer von Blu­men und Pflan­zen. Nie­mals je­doch er­reicht der Spa­zier­gän­ger den Be­sitz der Her­zo­ge von Guermantes.

Für den Kna­ben bleibt al­so nur ein Go­be­lin, ein Kir­chen­fes­ter so­wie die Phan­ta­sie, um sich ein Bild der Her­zo­gin zu er­schaf­fen. Als es zu ei­ner tat­säch­li­chen Be­geg­nung mit der Ma­dame de Guer­man­tes kommt ent­spricht sein Ide­al­bild er­war­tungs­ge­mäß zu­nächst nicht der le­ben­di­gen und qua Haut­un­rein­heit durch­aus mensch­li­chen Er­schei­nung. Doch durch sei­nen star­ken Wunsch nicht ent­täuscht zu wer­den und sein Wis­sen um die his­to­ri­sche Be­deu­tung der Per­son ver­wan­delt die Macht der Sug­ges­ti­on die Her­zo­gin er­neut zu et­was Einzigartigem.

Be­son­ders in­ter­es­sant für uns Le­ser ist der im­mer wie­der auf­tau­chen­de Wunsch des Er­zäh­lers Schrift­stel­ler zu wer­den. Schrei­bend das hin­ter den viel­fäl­ti­gen Ein­drü­cken Ver­bor­ge­ne auf­zu­de­cken und da­durch er­fas­sen zu wol­len, sam­melt er die­se und trägt sie „un­ter der Hül­le von Bil­dern mit mir fort, un­ter de­nen ich es le­ben­dig vor­fin­den wür­de wie die Fi­sche, die ich an den Ta­gen, wo man mich fi­schen ließ, in mei­ne Kor­be un­ter ei­ner Schicht von Kräu­tern kühl und frisch mit nach Hau­se brach­te.“ Meist wur­de dann aber doch nichts draus. Bis ei­nes Ta­ges die bei­den Tür­me der Kir­che von Martin­ville, oder bes­se­re die Be­ob­ach­tun­gen des Jüng­lings wäh­rend ei­ner Kutsch­fahrt, ihn zu ei­ner ers­ten Schreib­pro­be in­spi­rie­ren, die das Wech­sel­spiel der Turm­an­sich­ten in der Land­schaft schil­dert (S. 241f.).

So en­det das ers­te Buch der Re­cher­che da, wo es be­gann, in ei­ner schlaf­lo­sen Nacht im Bett.

Lokales

Wie wir wis­sen, ist das Buch nicht eins zu eins in die Rea­li­tät über­trag­bar. Zwar fin­den sich ent­spre­chen­de Land­schaf­ten in der Um­ge­bung Il­lier-Com­brays, doch mö­gen sie le­dig­lich ei­ne Idee der Proust­schen Land­schafts­phant­si­en wie­der ge­ben.  Wer mag kann bei Flickr stö­bern, der Pho­to­graf der Or­te heißt Renaud Ca­mus, viel­leicht ein Nach­kom­me des La­den­be­sit­zers. Trotz sei­ner Orts­kennt­nis irrt er sich aber ganz be­stimmt in sei­ner Zu­ord­nung der Kir­che Saint-An­drè-des-Champs. Die von ihm auf­ge­nom­me­ne Kir­che in Saint-Éman ist we­der go­tisch noch be­sitzt sie zwei spit­ze Türme.

Das Vor­bild für Tan­son­ville ist nach Aus­kunft des Mar­cel-Proust-Le­xi­kons der Gar­ten Pré Ca­te­lan zu­grun­de. Der Be­sit­zer war Ju­les Ami­ot, ein On­kel Prousts.

Die Vi­von­ne und ih­re See­ro­sen­land­schaft ist durch den Fluss Loir und des­sen Sei­ten­fluss Thi­ron­ne inspiriert.

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