Und wenn es doch wahr ist?“

Charles Ferdinand Ramuz zeigt in seiner 1922 erschienenen Dystopie „Sturz in die Sonne“, wohin die Klimakrise führen könnte

…nun wird sich al­les für al­le Men­schen so sehr än­dern, dass sie sich sel­ber nicht wie­der­erken­nen wer­den, aber vor­erst än­dert sich nichts. (…) Sie stel­len sich nichts vor, das über sie hin­aus­geht. Sie hal­ten die Be­stän­dig­keit der Din­ge für so be­stän­dig, dass sie sich nie­mals än­dern wird.“

Die Ma­ler­dy­nas­tie der Brueg­hels schuf die  be­rühm­ten Wim­mel­bil­der der nie­der­län­di­schen Re­nais­sance, sie zei­gen den Dorf­all­tag, Fes­te und Win­ter­ver­gnü­gen in sze­nen­rei­chen Ta­bleaus. Mit „Tri­umph des To­des“ schuf Pie­ter Brueg­hel der Äl­te­re so­gar ei­ne Dar­stel­lung der Apo­ka­lyp­se, die den vor­lie­gen­den Ro­man von Charles Fer­di­nand Ra­muz vor­treff­lich il­lus­trie­ren könnte.

Sturz in die Son­ne“ er­schien erst­mals im Jahr 1922 un­ter dem Ti­tel „Pré­sence de la mort“. Ra­muz hat­te ihn, wie Ste­ven Wyss, sein Über­set­zer im Nach­wort kennt­nis­reich er­läu­tert, un­ter dem Ein­druck des Gen­fer Hit­ze­som­mers von 1921 ver­fasst. Da­mals wur­den es dort 38,3 Grad heiß. „Nur“ den­ken wir heu­te, da uns die Kli­ma­kri­se weit hö­he­re Tem­pe­ra­tu­ren be­schert. Sie be­schert uns al­ler­dings auch die Wie­der­ent­de­ckung die­ses Ro­mans, auf den Wyss in der Aus­stel­lung „Cli­ma­te Fic­tion“ auf­merk­sam wur­de. Die Ka­ta­stro­phe liegt bei Ra­muz al­ler­dings nicht in mensch­li­cher Ver­ant­wor­tung. Ei­ne Stö­rung im Gra­vi­ta­ti­ons­sys­tem führt da­zu, daß die Er­de auf die Son­ne zu rast mit al­len un­ab­wend­ba­ren Kon­se­quen­zen. Vor die­sen ver­schlie­ßen die Be­woh­ner Sa­voy­ens, Ra­muz sie­delt das Ge­sche­hen in sei­ner Hei­mat an, die Au­gen. Al­les geht sei­nen ge­wohn­ten Gang, al­len Mel­dun­gen und An­zei­chen zum Trotz.

Ra­muz schil­dert in ver­schie­de­nen Sze­nen die Ver­än­de­run­gen in der Na­tur und im Ver­hal­ten der Men­schen. Die dem Ge­sche­hen im­ma­nen­te Stei­ge­rung nutzt er ge­konnt zur Span­nung, die mich den Ro­man atem­los le­sen ließ.

Am An­fang steht das Ver­drän­gen. Es ist zu heiß, „aber das Wet­ter wird nie wie­der schlecht“. Das Ge­mü­se ver­trock­net, aber der Wein wird gut. Es folgt das Leug­nen. „Die Nach­richt kommt aus Ame­ri­ka, Sie wis­sen doch, was das be­deu­tet. Die Zei­tun­gen ha­ben sich nicht mehr ver­kauft; was soll man da ma­chen?“ Als die Hit­ze un­er­träg­lich wird, zieht es selbst „Leu­te, die ihr Leb­tag nie ge­ba­det ha­ben“ zum See. „Der gro­ße Strand ist, wo­hin man blickt, braun vor nack­ten Men­schen.“ Al­les über­ragt von ei­nem „Him­mels­ge­wöl­be (…), das noch nie so satt ge­stri­chen war.“ Doch „we­ni­ge he­ben den Blick zum Him­mel, we­ni­ge ver­ste­hen ihn. We­ni­ge wis­sen, dass es ihn über­haupt gibt, und den gro­ßen Me­cha­nis­mus dort oben, das mehr oder we­ni­ger na­he Ge­stirn, das Ge­stirn, das im­mer näherkommt.“ 

Ra­muz malt die Apo­ka­lyp­se in vie­len Bil­dern, doch sei­ne Sa­voy­er ver­ken­nen, daß sie un­wei­ger­lich ins Ver­der­ben ra­sen.  „Hier bei uns hat man kei­ne Vor­stel­lungs­kraft“. Er an­ti­zi­piert al­le Fol­gen der Erd­er­wär­mung, die wir lei­der nur zu gut ken­nen, Glet­scher schmel­zen, Bö­den trock­nen bis in tie­fe­re Schich­ten, In­sek­ten, Vö­gel, Tie­re ster­ben. Der spä­ten Er­kennt­nis, „Wir wer­den al­lein dran­kom­men, je­der für sich“, folgt ei­ne End­zeit­stim­mung, in der al­les aus dem Ru­der läuft. Die ei­nen füh­len sich frei und zie­hen jen­seits je­der Mo­ral ma­ro­die­rend durch die Stra­ßen. Gan­ze Dör­fer ver­bar­ri­ka­die­ren sich im Kampf um die letz­ten Res­sour­cen. An­de­re flie­hen in Flug­zeu­gen, Zü­gen, zu Fuß zu fer­nen Zie­len oder ho­hen. Ver­meint­lich si­che­re Zu­fluchts­or­te ma­chen sie sich strei­tig. Kurz, es herrscht Krieg und Cha­os. Ra­muz lässt so­gar Ma­schi­nen­ge­wehr­ver­bän­de an­tre­ten, als sei­en sei­ne Schil­de­run­gen nicht schon in­fer­nal genug.

Die­se ent­wirft Ra­muz in 28 Sze­nen, die er selbst als „Ta­bleaus“ be­zeich­net. Sie er­fas­sen ver­schie­de­ne Aspek­te des glei­chen The­mas, ver­gleich­bar mit Wim­mel­bil­dern oder mo­der­nen Epi­so­den­fil­men. Der Er­zäh­ler wirkt wie ein teil­neh­men­der Be­ob­ach­ter, der sich in ver­schie­de­ne Prot­ago­nis­ten hin­ein­ver­setzt. Da sind un­be­nann­te Frau­en und Män­ner, die Be­woh­ner Sa­voy­ens, Ka­nal­ar­bei­ter, ein Ehe­paar, aber auch zwei Fi­scher, die Brü­der Pan­chaud, oder der Ver­wal­ter Ju­les Ga­vil­let. So­gar das Was­ser und die Son­ne wer­den zu Ak­teu­ren. „Das Was­ser sagt auch nichts. All­seits Stil­le, nichts, was spricht. Glatt und platt, wo­hin man sich wen­det, geht der See im Nor­den bis zu den Re­ben, bis zu den Ber­gen im Sü­den. Und zwi­schen die­sem Nor­den und die­sem Sü­den nichts, nir­gends, nichts als Was­ser, ein stil­les Was­ser; als sei es noch nie so still ge­we­sen, noch nie so gei­zig mit Wor­ten und Sät­zen, in sei­ner gan­zen Mas­se, ein Boot auf sei­nem Rü­cken tra­gend, mit den Fi­schen in sei­nem Bauch, das ist al­les – wenn man hier ist, das gro­ße Was­ser vor sich hat; und vom In­nern der Bucht, an den Rän­dern mit um­ge­kehr­ten Pap­peln be­malt, prä­sen­tiert sich ei­nem nichts als Wei­te, oh­ne je­den Sinn und oh­ne je­des Maß.“

Als Mo­tiv des Ro­mans kann Ra­muz‘ Mah­nung gel­ten, nicht in der per­sön­li­chen Welt zu ver­har­ren, son­dern über den ei­ge­nen Tel­ler­rand das gro­ße Gan­ze in den Blick zu neh­men, um sich nicht wie die Sa­voy­er viel zu spät die Fra­ge zu stel­len: „Und wenn es doch wahr ist?“

Charles Ferdinand Ramuz, Sturz in die Sonne, übers. v. Steven Wyss, Limmat Verlag

Ei­ne mo­der­ne In­ter­pre­ta­ti­on die­ser Dys­to­pie leg­te Er­win Uhr­mann vor in  „Ich bin die Zu­kunft”.

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