Sabine Peters poetischer Künstlerroman „Alles Verwandte“
„Das ist der Gesang der Spinne im Netz. Das ist das Wachsen von Gräsern und Moos auf den Steinen.“
In ihrem Roman „Alles Verwandte“ nimmt Sabine Peters ihre Leser mit auf eine Reise. Sie führt nach Portugal in das Bergdorf Feital. In der kargen Provinz abseits der Küste besuchen sich zwei Frauen um ihrer alten Freundschaft willen. Dies führt beide zurück in die Vergangenheit gemeinsamer wie subjektiver Erinnerungen.
Mit großer Empathie beschreibt Sabine Peters die Frauen und die Region. Im steinigen Feital, fern von Fortschritt und Betrieb, scheint die Zeit still zu stehen. Doch die Auswirkungen der gesellschaftlichen Umbrüche sind spürbar. Die Finanzkrise schwächt die abseits gelegenen Kleinbetriebe. Das Internet ist erreichbar, wenn auch mit abgeschwächter Kraft.
Die portugiesische Künstlerin Lino lebt nach Jahren in Deutschland und der Trennung von ihrem Mann wieder in ihrem Heimatdorf. Dort erwartet sie Marie, ihre Freundin aus Deutschland, sie kennen sich seit Hamburger Studienzeiten. Marie, die Schriftstellerin und Literaturrezensentin, ist unverkennbar ein Alter Ego der Autorin. Sie trat bereits in ihren früheren Romanen auf. Peters studierte ebenfalls in Hamburg und lebt heute dort, nachdem sie, wie ihre Figur, lange im Ostfriesischen zu Hause war. Marie und Lino lebten im Rheiderland mit ihren Partnern, in der Nachbarschaft ein weiteres Freundespaar, Irmgard und Theo. Der kunstinteressierte und als Mäzen wirkende Theo trifft kurz nach Marie ebenfalls in Feital ein. Er bringt ein Stück Vergangenheit mit und tritt als Mann und gutsituierter Arzt wie ein Widerpart der beiden prekären Künstlerinnen auf.
In diesem persönlichen Buch kommen persönliche Dinge zwischen den Freunden zur Sprache. Sowohl Marie wie Lino beschäftigen Erinnerungen an ihre Väter. Marie denkt an ihren gebildeten, schwer nahbaren „Doktor Phil“, von dem Peters bereits in „Abschied“ erzählte. Lino erinnert sich an ihren Vater Felipe, der in Feital eine karge Landwirtschaft betrieb. Den Umständen geschuldet blieb er seinen Kindern gegenüber stets hart. Zu spät suchte er Linos Nähe, starb schließlich fern der Familie in Porto.
Das karge Leben in Feital ist nicht nur Bestandteil von Linos Erinnerungen, sondern noch immer Realität. Ihre Brüder Beto und Antonio leben dort als Bauern. Gemeinsam kümmern sich die Geschwister um eine alte Verwandte und unterstützen sich gegenseitig. Wenn Lino nicht in ihrem Atelier steht oder mit den Alten im Gemeinschaftshaus zeichnet, hilft sie mit. Jetzt im Herbst sammelt sie Kastanien, die der Bruder zu einem Preis verkauft, der lächerlich weit unter dem liegt, was Hamburger Händler dafür verlangen.
Doch Lino beschließt, es sei keine Zeit, um „an Sorgen zu nagen“, „Ärger zu kauen“ oder gar „Angst zu essen“. Die Natur in Feital ist nicht nur ein unwirtlicher Steinhaufen. Mit ihren Kastanien und Pilzen, Ziegen und Katzen, Trauben, Feigen, Mandeln und wilden Hunden ist sie auch ein Idyll. Trotz aller Herausforderungen bietet sie ihren Bewohnern Trost und Geborgenheit. Sogar die Steine verwandelt mancher Teilnehmer der von Lino organisierten devisenbringenden Künstlertreffen.
Als Leser fühlt man sich bald heimisch, was ein Verdienst von Peters Erzählkunst ist. Sie benötigt keine ausschweifenden Satzgirlanden. Sie erschafft Bilder in prägnanten Sätzen. Erinnerungen und Gedanken skizziert sie stichwortartig, sie flammen kurz auf, wirken intuitiv. Sie drehen sich immer wieder um das Leben und die Kunst. Der Kunst begegnen wir in Linos Atelier, das den Namen „Temos tempos“ trägt, nehmen wir uns Zeit. In den Felszeichnungen von Foz Côa, die in einer Nachtvision zum Leben erwachen. Im jährlichen Künstlersymposium, in den Krakeleien der Alten und in dem Versuch von Linos Vater, seiner Tochter durch ein Bild seine Liebe zu erklären.