Tomas Espedal verzeichnet in „Wider die Natur“ die Liebe zwischen Sehnsucht und Selbstzweifel
„Ist das Unglück eine Voraussetzung für das Glück? Nein, das Glück kommt jäh und unerwartet, es ist eine ganz selbstständige, unabhängige Größe, es tritt ein ohne Vorboten, wie ein Naturereignis, ein Regenbogen, eine Sternschnuppe, ein Blitzschlag oder ein Feuer, furchteinflößend und schön; auch das Glück wirft alles über den Haufen.“
Am Ende schließt sich der Kreis dieses autobiographischen Romans, der die Liebe des 48-jährigen Autors zu der 24-jährigen Janne zum Thema hat. Genauer, das Scheitern dieser Liebe und das der vorherigen Beziehungen sowie Espedals Leiden daran.
Zu Beginn steht der Spontan-Sex der beiden, die sich gerade erst auf einer Party erblickt hatten, in der Bibliothek des Gastgebers. Welch’ besseren Ort könnte ein Schriftsteller für die Initiation seiner Liebesbesessenheit wählen? Doch sein Staunen über die Erfüllung kühner Midlife-Männer-Sehnsüchte begleitet Espedal mit wehmütiger Vanitas. Diese Paarung eines abgekämpften Alten mit der blühenden Jugend scheint ihm wider die Natur, der Spiegel zeigt ihm den Tod und das Mädchen.
Auch die Werke der Weltliteratur, die Espedal zitiert, und die in der Bibliothek das Liebesspiel der beiden ausstaffiert haben könnten, wissen wenig Rat. So liefert ihm Ovid vielleicht erotische Tipps. Die Geschichte von Abaelard und Héloise, die als Leidmotiv seine Bekenntnisse begleitet, lässt jedoch Schlimmes befürchten. Noch hat er eine Chance, die Geliebte will ihn nicht wiedersehen, aber der Mann schlägt diese Warnung in den Wind. Er ist bereits abhängig und bringt mit seinen Tränen die Geliebte zum Bleiben.
Kunstvoll arrangiert Espedal den Beginn seiner Beziehungs-Bewältigung. Er bindet literarische Referenzen ein, schmückt mit poetischer Natursymbolik und erzeugt trotz aller Lakonie durch Wortwiederholungen Intensität. Doch führt er nach diesem ersten Kapitel nicht die Geschichte seiner Amour fou fort, die immerhin sechs Jahre dauerte, sondern richtet den Blick mitten hinein in „alles, was so eng mit meiner Vergangenheit verknüpft ist“.
Er erinnert sich an den frühen Beginn seines Erwerbslebens mit 16, an die Dunkelheit und den Dreck beim Säubern der Webstühle. Von der elenden Monotonie erzählt Espedal im Du. Für seine Empfindungen, sein Grauen vor der Arbeit, wechselt er wieder in die Ich-Perspektive. Er entlarvt seinen inneren Kritiker, ein Gezücht des protestantischen Ethos, „die strenge, unhörbare Stimme“, die ihn antreibt, obwohl er längst nicht mehr kann.
Diese Stimme scheint ihn auch in Beziehungen zu beherrschen, vielleicht noch nicht in der ersten. Bei dieser Jugendliebe entdeckt er seine Besessenheit für Brüste. Sich zitierend erinnert Espedal an die Eingangsszene des Romans und an seine Schuld. „Ich habe mich in dreiundzwanzig (sic!) Jahren nicht verändert.“ Nur in der Zahl der Jahre, die den 16-jährigen vom 48-jährigen Autor trennen, irrt er sich.
Diese erste Liebe verlässt er, als er Agnete begegnet, die „ihn an sich heftet“ mit „Stichen in einem unguten Muster“. In diesem mit „Liebesarbeit“ überschriebenen Kapitel lebt der Schriftsteller unter seiner dominanten Frau so elend wie in der Fabrik. Er hat Erfolg mit seinem ersten Buch, lebt aber nur als scheinbar freier Autor auf dem Land. Er muss für seine kleine Tochter sorgen, während die emanzipierte Agnete im Theater auftritt. „Ihr Liebesleben hatte nichts Natürliches.“ Er gleitet in die Abhängigkeit und willigt sogar ein, Agnete nach Nicaragua zu folgen. „Ich war ein fetter, feiger Autor, der kein Wort mehr schrieb, der alles tat, was er konnte, um Streit und Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, der alle Kräfte einsetzte, um auf seine Tochter aufzupassen und sie aufzuziehen.“
Er emanzipiert sich erst, als das Schicksal ihn dazu zwingt und ist bereit für die Begegnung in der Bibliothek. Wie diese weitergeht, schildert das letzte Kapitel, „Ein kleines Buch über das Glück“. Vor Glück ignoriert er die Jahre zwischen sich und Janne und vergisst „wie schwierig die Liebe ist“. Schließlich hat auch dieses Glück ein Ende.
Sein anschließendes Leid, beschreibt er in den „Notizbüchern“ am Ende des Werks. Er ergibt sich seinem Schmerz, betäubt sich mit Alkohol und sucht Trost in den niedergeschriebenen Erfahrungen der Kollegen. Neben Abaelard und Ovid, neben Shakespeare, Beckett, Duras, Handke, Lowry, Roubaud und Gertrude Stein, fehlt nicht Karl Ove Knausgaard. Mit ihm studierte Espedal an der Schreibakademie bei Jon Fosse. Sie verbindet nicht nur Freundschaft, sondern auch das Thema ihres Werkes, das Kreisen um sich selbst und das Leiden daran.