Alte Bekannte und zwei Neuentdeckungen
Das aktuellste Thema der Longlist, welche die diesjährigen Buchpreis-Jury aus den knapp 200 Titeln zusammengestellt hat, behandelt Jenny Erpenbeck in ihrem Roman „Gehen, ging, gegangen“ (Knaus). Im Aufeinandertreffen von jungen Migranten und einem Professor in Kreuzberg zeigt sie einen möglichen Umgang mit Flüchtlingen.
Wie Erpenbeck sind auch die übrigen nominierten Namen wohlbekannt in der deutschen Literaturlandschaft. Es ist also kaum verwunderlich, daß ich in meiner kleinen Longlist-Lotterie einige Treffer verzeichnen kann. Die 5 aus 20 sind der in Heidelberg lebende Ralph Dutli, der in „Die Liebenden von Mantua“ (Wallstein) aus der Liebe eine Religion macht, Valerie Fritsch mit „Winters Garten“, deren Dystopie wie Heinz Helles thematisch ähnliches Buch „Eigentlich müssten wir tanzen“ im Suhrkamp Verlag erscheinen wie auch „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von Clemens J. Setz. Mein letzter Treffer ist der neue Roman „Siebentürme“ (KiWi) von Feridun Zaimoglu, der seinen jungen Protagonisten wie seine Leser in das Istanbul des Jahres 1939 versetzt.
Die Namen der bereits genannten Autoren weisen auf ein Merkmal der aktuellen Longlist hin, sie birgt wenig Überraschendes. Erpenbeck, Dutli, Setz und Zaimoglu traten schon einmal für diese Auszeichnung an, ebenso wie Alina Bronsky, Ilja Trojanow und Rolf Lappert. Prominent im Feuilleton vertreten sind auch Gertraud Klemms Roman zur Frauenfrage „Aberland“ (Droschl) und die in den siebziger Jahren spielenden Werke von Ulrich Peltzer „Das bessere Leben“ (S. Fischer) und Frank Witzel „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ (Matthes &Seitz). Letztem gebührt der Lorbeer für den längsten Titel, thematisch in Preisnähe rückt jedoch eher Peter Richter, der mit „89/90“ den diesjährigen Wenderoman vorlegt.
Erwarten würde ich den Hautpgewinn für Jenny Erpenbecks Migrationsroman. Meine Favoritin allerdings ist Fritsch mit ihrer sprachlich überraschenden poetisch-pathetischen Endzeit-Elegie.
Es bleiben folgende Romane, die sicher ein großes Lesepublikum erreichen werden, „Risiko“ (Klett-Cotta) von Steffen Kopetzky und Kai Weyands „Applaus für Bronikowski“ (Wallstein) sowie die beiden historisierenden Werke von Inger-Maria Mahlke „Wie ihr wollt“ (Berlin Verlag) und „Der Fuchs und Dr. Shimamura“ (Berenberg) von Christine Wunnicke.
Somit hält diese Liste neben dem hübsch-hässlichen Cover von Monique Schwitters Buch „Eins im Anderen“ (Droschl) wenig Neues für mich bereit. Dies sind der Berlin-Roman „Bodentiefe Fenster“ (Verbrecher Verlag) von Anke Stelling und die Satire „Lucia Binar und die russische Seele“ (Zsolnay) des Österreichers Vladimir Vertlib.
Welche der genannten Titel am 16. September auf der Shortlist landen, lässt sich allerdings bereits jetzt absehen. Doch dazu später einmal, einstweilen wünsche ich schönes Lesen der offziellen, inoffiziellen oder der individuellen Longlist.
Wer lieber mit als selbst lesen möchte, findet dazu bei den Buchpreisbloggern Gelegenheit, zum Beispiel bei Mara Giese von Buzzaldrins Bücher.
Wer die Sache kritisch sieht, der greife zu dieser Satire.
Longlist 2015:
Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe
Kiepenheuer & Witsch, August 2015
Ralph Dutli: Die Liebenden von Mantua
Wallstein, August 2015
Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen
Knaus, August 2015
Valerie Fritsch: Winters Garten
(meine Rezension)
Suhrkamp, März 2015
Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen
Suhrkamp, September 2015
Gertraud Klemm: Aberland
Droschl, Februar 2015
Steffen Kopetzky: Risiko
Klett-Cotta, Februar 2015
Rolf Lappert: Über den Winter
Hanser, August 2015
Inger-Maria Mahlke: Wie Ihr wollt
Berlin, März 2015
Ulrich Peltzer: Das bessere Leben
S. Fischer, Juli 2015
Peter Richter: 89/90
Luchterhand, März 2015
Monique Schwitter: Eins im Andern
Droschl, August 2015
Clemens J. Setz: Die Stunde zwischen Frau und Gitarre
Suhrkamp, September 2015
Anke Stelling: Bodentiefe Fenster
Verbrecher Verlag, März 2015
Ilija Trojanow: Macht und Widerstand
S. Fischer, August 2015
Vladimir Vertlib: Lucia Binar und die russische Seele
Deuticke, Februar 2015
Kai Weyand: Applaus für Bronikowski
Wallstein, März 2015
Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969
Matthes & Seitz, Februar 2015
Christine Wunnicke: Der Fuchs und Dr. Shimamura
Berenberg, März 2015
Feridun Zaimoglu: Siebentürmeviertel
Kiepenheuer & Witsch, August 2015
Würde das Lesen von Monique Schwitters „Eins im Andern” https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/25/eins-im-anderen/ sehr empfehlen, ist ein sehr poetisch schönes Buch mit einer etwas surrealen märchenhaften Sprache, an das Cover muß man sich gewöhnen, aber das sieht man beim E‑Book ja nicht so oft.