In „Konzert ohne Dichter“ hinterfragt Modick die Rolle von Kunst und Künstler
„Ja, warum machte man eigentlich Kunst? Warum malte man Bilder? Warum schrieb man Gedichte? Vogeler überlegte. Vielleicht, weil man geliebt werden will, dachte er. Und weil es Spaß macht.“
„Und er hat bislang immer geliefert, was man von ihm verlangte, zuverlässig und pünktlich, geschmackvoll und erlesen, als Kunstfigur hat er sich gleich mit in den Kauf gegeben.“
Selbstkritik und Infragestellung seiner Kunst quälen Heinrich Vogeler (1872–1942), den personalen Erzähler in Klaus Modicks Roman Konzert ohne Dichter. Er steht unmittelbar vor seinem größten Erfolg, der Auszeichnung mit der Großen Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft im Juni 1905. Die drei Tage vor diesem Ereignis bilden die Rahmenhandlung, von der aus die Gedanken Vogelers in die Vergangenheit führen.
Sein Selbstbild als Künstler ist angekratzt, nicht nur im Vergleich mit seinem unerreichten Maler-Vorbild Botticelli, dessen Venus er täglich in seinem Atelier vor Augen hat. Hinzu kommt der Kontrast zu seinem Freund Rilke, für den das Dichten Lebenszweck und –mittel bedeutet. Rilke geht vollkommen in seiner Kunst auf, vergisst und vernachlässigt die Welt um sich herum. Sogar finazieller Gewinn erscheint ihm nebensächlich. Der erfolgreiche Vogeler hingegen befürchtet, sich zu prostituieren und seine Kunst gegen Geld zu verraten.
Und wenn auch nicht alles wahr sein sollte, so ist es doch sehr schön erfunden von Klaus Modick, der das Kennenlernen dieser beiden Künstler ausgerechnet in ein Bordell der Kunststadt Florenz verlegt. Dort fühlen sich beide fehl und flüchten über den Ponte Vecchio in ein Lokal, wo sie freundschaftliche Gespräche führen. Kurz darauf besucht Rilke seinen neuen Freund in Worpswede. Die Künstlerkolonie befindet sich bereits im Umbruch. Einige Maler haben sich empört abgewandt wegen der Künstlerinnen, die dort Einzug hielten. Die Dagebliebenen scharen sich um Vogeler, den Erfolgreichen. Sein Barkenhoff, den er als Gesamtkunstwerk von Giebel bis zum Garten gestaltet, bildet das Zentrum der Gemeinschaft. Der Alleskönner Vogeler entwirft Möbel, Geschirr und Kleider für das wohlhabende Bürgertum sowie die berühmte Güldenkammer im Bremer Rathaus. In zwei Tagen, am 9. Juni 1905, erwartet ihn die höchste Auszeichnung seiner bisherigen Karriere und eine Ausstellung, in deren Mittelpunkt sein Werk Das Konzert steht. Dieses von seinem Mäzen Roselius bereits erworbene Gemälde zeigt den Barkenhoff mit der Familie der Worpsweder Künstler und es zeigt, was Modick in seinem Roman erzählt.
Die Künstlerinnen sitzen links, Vogeler in der zweiten Reihe und Rilke ist getilgt. Vogeler hat seine Figur übermalt, nachdem er sie lange zwischen Paula Modersohn-Becker und Clara Rilke-Westhoff hin- und hergeschoben hatte. So erzählt es Modick und spielt damit auf das unentschlossene Dreiecksverhältnis an. Die Gründe für diese Damnatio Memoriae liegen nahe. Die Eifersucht Vogelers auf Rilkes Einssein mit der Kunst ist ebenso von Bedeutung, wie das plötzliche Verschwinden Rilkes aus Worpswede, was einem Verrat an dem Freund gleichkommt.
Das Verhältnis der beiden Künstler bettet Modick in die Landschaft und die Zeit Worpswedes, in einer Sprache so blumig wie die Werke dieser Kollegen. Wer die Kunst dieser Kolonie liebt und sich für niederdeutsches Flair begeistern kann, wird auch dieses Buch gerne lesen. Neben den interessanten Fragen nach der Definiton von Kunst und Künstler werden Worpswede-Nostalgiker in Modicks atmosphärischem Roman ihren Sehnsuchts-Stoff finden. Vielleicht schätzen sie auch die wikipediahaften Informationen über die Ursprünge des Ponte Vecchio, der Tiffany-Leuchten und der Reformkleider? Und haben nach wiederholten Hinweisen Courbets „Der Ursprung der Welt“ gewürdigt? Mir war das etwas zu viel an Beschreibung und Erklärung, trotz der schönen Rilke-Zitate und der Vogeler’schen Versalien. Ich hätte gerne mehr erfahren über die Ansichten der Künstler und der Künstlerinnen. Aber das wäre ein anderes Buch.
Klaus Modick, Konzert ohne Dichter, 1. Aufl. 2015, Kiepenheuer&Witsch
Was den Ursprung der Welt angeht, liebe atalante, da kann ich dir dieses Buch ans Herz legen: Jorge Edwards: Der Ursprung der Welt, in dem das Gemälde einen ganz zentralen Platz hat…
Der Modick, um auf deinen Beitrag einzugehen, hat mir auch gut gefallen und so wie Dir (?) waren auch mir manche der Passagen zu schwülstig und übertrieben ausgeschmückt. Aber gelesen habe ich ihn auch gerne und das Büchlein hat, ich gebe es zu, meinen Horizont auch erweitert. Na ja, den Courbet kannte ich schon vorher… 😉
herzliche grüße
fs
Danke für Deinen Kommentar, Gerd, und den Hinweis auf Deine Rezension. Den Roman kenne ich, habe ihn aber noch nicht gelesen. Möchte Modick auf ihn verweisen, so wie er auch Mann subtil zitiert? Darüber könntest Du mich aufklären.
Das berühmte oder sollte ich eher sagen das berüchtigte Gemälde Courbets, wer kennt es nicht? Deshalb empfand ich die häufige Nennung seines Titels bei Modick übertrieben, lernpädagogisch geradezu. Genauso, wie die Erklärungen zur ursprünglichen Nutzung des Ponte Vecchio oder dem Reformkleid oder der Tatsache, daß Rilke seine Stiefel an den Füßen trug.
Mir ist der Roman einfach zu idyllisch, etwaige Konflikte werden am Rande erwähnt. Sehr passend zu dem romantischen Bild der Worpswede-Kolonie, wie es von den Käufern der entsprechenden Kalender anscheinend heute noch gesucht wird.