Sushi Murakami — Schamanendämmerung

Das 12. Kapitel

FotoMin­der be­geis­ter­te Mu­ra­ka­mi-Le­ser dür­fen sich in die­sem Ka­pi­tel auf zwei Er­schei­nun­gen freu­en. Wir er­fah­ren von der Po­ly­dak­ty­lie, ei­ner ge­ne­ti­schen Skur­ri­li­tät, die ih­rem Trä­ger zwei zu­sätz­li­che Fin­ger be­schert, die die­ser nach Ent­fer­nung in ei­nem Glas mit Form­alde­hyd kon­ser­vie­ren könn­te, wel­ches sich wie­der­um in ei­nem Beu­tel be­quem um­her tra­gen lie­ße. Es soll­te frei­lich ein hüb­scher Beu­tel sein, denn zwei sechs­te Fin­ger hat man ja nicht al­le Tage.

Doch hübsch der Rei­he nach. Tsu­ku­ru ist nach dem Aus­flug in sei­ne Ver­gan­gen­heit wie­der in der Ge­gen­wart und in To­kio ge­lan­det. Er mel­det sich bei Sa­ra, der er drin­gend von sei­nen Tref­fen mit den bei­den Freu­den be­rich­ten will. Doch auch Hob­by­ana­ly­ti­ker sind über­lau­fen, Tsu­ku­ru muss bis über­mor­gen war­ten. Bis da­hin dür­fen die Le­ser und ein neu­er As­sis­tent ihn zur Ar­beit be­glei­ten. Sei­ne Kon­trol­len füh­ren ihn auf meh­re­re Bahn­hö­fe. Dort spricht er mit den Vor­ste­hern, die so ei­ni­ges zu er­zäh­len ha­ben. Be­son­ders skur­ril sind die Fund­sa­chen, dar­un­ter das oben er­wähn­te Fin­ger-Glas im Beu­tel. Ah, freut sich die auf­merk­sa­me Le­se­rin, der schon mau­se­tot ge­glaub­te Mi­do­ri­ga­wa Farb-Pro­phet er­scheint wie­der. Die­se ein­ge­füg­te Ge­schich­te hing so selt­sam in der Luft zwi­schen Tsu­ku­rus Par­al­lel­wel­ten, daß ich be­fürch­tet hat­te, sie sei wie ein im Baum hän­gen­ge­blie­be­ner Bal­lon dem Ver­ges­sen an­heim ge­ge­ben. Auch Tsu­ku­ru fällt dies auf. Er un­ter­lässt es na­tür­lich nicht, dies den we­ni­ger auf­merk­sa­men Le­sern zu ver­kün­den. (Nein, na­tür­lich hat es je­der ge­merkt, um so über­flüs­si­ger, daß es noch­mals be­tont wer­den muss.) Ach ja, in Bor­neo, so der Bahn­hofs­vor­ste­her, hält man die Po­ly­dak­ty­ler für Schamanen.

Als Tsu­ku­ru Sa­ra trifft, er­zählt er ihr aus­führ­lich von sei­nen Ge­sprä­chen in Na­go­ya. In ih­ren Au­gen führ­te die zwang­haf­te Har­mo­nie­sucht der Freun­des­grup­pe zur Un­ter­drü­ckung der Se­xua­li­tät der Ein­zel­nen. Hob­by­ana­ly­tisch pro­fes­sio­nell be­en­det sie, wie wei­land Mr. Spock, die Sit­zung mit „Das ist al­les sehr in­ter­es­sant“. An­schlie­ßend kommt sie auf Akas letz­ten Ein­druck von Shiro zu­rück und gibt Mu­ra­ka­mi Ge­le­gen­heit noch ein­mal die Farb­me­ta­pher aus dem Topf zu ho­len. Ei­ne Klas­sen­ka­me­ra­din „war – wie soll ich sa­gen – völ­lig ver­blasst. Es war, als wä­re sie lan­ge star­ker Son­ne aus­ge­setzt ge­we­sen und ih­re Far­ben wä­ren ver­bli­chen.“ So kann’s gehen.

Der Abend en­det mit Zi­tro­nen­souf­flé und funk­ti­ons­ge­stör­tem Be­loh­nungs-Sex. Sa­ra er­kun­digt sich nach Tsu­ku­rus Ab­sich­ten, wir er­fah­ren dar­auf­hin, daß sie noch et­was zu er­le­di­gen hat. Und wäh­rend sie sich wahr­schein­lich fragt, wie sie sei­nen Vor­gän­ger los­wer­den kann, liegt Tsu­ku­ru funk­ti­ons­ge­stört im Bett und denkt an die Mög­lich­keit von Parallelwelten.

Weis­heit: „Ge­ra­de weil sich ei­ni­ge Din­ge ge­klärt ha­ben, sind die Lü­cken, die ge­blie­ben sind, wo­mög­lich um­so be­deut­sa­mer geworden.“

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