Sushi Murakami — Beyond

Das 11. Kapitel

Am fol­gen­den Tag be­gibt sich Tsu­ku­ru in Akas Fir­ma. Ih­re Bü­ros lie­gen in ei­nem fu­tu­ris­ti­schen Ge­bäu­de aus Stahl und Glas. Am Emp­fang be­geg­net er zu­nächst ei­ner jun­gen Frau, die wie ein Klon des Le­xus-Fräu­leins wirkt. Ein gro­ßes Ge­mäl­de ge­winnt kurz sei­ne Auf­merk­sam­keit, doch des­sen abs­trak­te Farb­kom­po­si­ti­on, ‑Ach­tung Metapher‑, ist Tsu­ku­ru rät­sel­haft. „Sei­ne Be­deu­tung war nicht ver­ständ­lich, aber es wirk­te auch nicht be­son­ders subtil.“

FotoWe­sent­lich in­ten­si­ver be­schäf­tigt er sich mit dem Äu­ße­ren der Emp­fangs­da­me. Hier und bei der kurz dar­auf in Er­schei­nung tre­ten­den Se­kre­tä­rin of­fen­bart Tsu­ku­ru sein rück­schritt­li­ches Frau­en­bild. Wäh­rend ihm die Letz­te­re, wie „ei­ne alt­ge­dien­te Ober­schwes­ter oder die Wir­tin ei­nes Lu­xus­bor­dells“ er­scheint, be­ur­teilt er die Ers­te ste­reo­typ als ei­ne Frau, de­ren Le­bens­plan aus Ro­ma­nis­tik-Stu­di­um, Ehe­schlie­ßung, Shop­ping in Pa­ris und dem Drill der Kin­der besteht.

Nach kur­zer War­te­zeit führt ihn die Se­kre­tä­rin zu Aka. „Sie ging mit gro­ßen Schrit­ten vor ihm durch den Flur. Sie klan­gen hart und prä­zi­se, wie die Schlä­ge, die ein ehr­li­cher Schmied vom frü­hen Mor­gen an auf sei­nem Am­boss her­vor­bringt.“ Ob Schrit­te über­haupt klin­gen kön­nen, dar­über lie­ße sich strei­ten. Neu­gie­rig wä­re ich al­ler­dings, wie sich die Schlä­ge ei­nes un­ehr­li­chen Schmieds an­hö­ren würden?

Die Ein­rich­tung von Akas Bü­ro be­schreibt der Au­tor aus­führ­lich als ed­les mit De­sign­ob­jek­ten aus­ge­stat­te­tes Am­bi­en­te. Wer den Ab­schnitt al­ler­dings mit dem Satz, „Er­le­se­ne An­ony­mi­tät schien das Grund­kon­zept die­ses Bü­ros zu sein“, ab­schließt, traut sei­nen Le­ser nicht die kleins­te Schluss­fol­ge­rung zu.

Aka tritt auf, die Jah­re ha­ben sein Haupt­haar ge­lich­tet und im Ge­sicht ei­nen Voll­bart wach­sen las­sen. Nach­dem er Tsu­ku­ru aus­ge­fragt hat, re­det er von sich selbst. Sein gol­de­nes Feu­er­zeug sym­bo­li­siert sei­ne ho­he Mei­nung von sich selbst. Als ge­bo­re­ne Füh­rer­na­tur sieht er sich, als Be­fehls­emp­fän­ger die an­de­ren. Über­haupt, sein Stu­di­um von Psy­cho­lo­gie­bü­chern und Aus­bil­dungs­schrif­ten für die SS (?) und die Ma­ri­nes, brach­ten ihn auf die Idee sei­nes Schu­lungs­kon­zepts. Des­sen Ziel ist die Ef­fi­zi­enz und Funk­ti­on der Be­fehls­emp­fän­ger zu ver­voll­komm­nen. Tsu­ku­ru hört sich no­lens vo­lens die Er­folgs­ge­schich­ten an und be­merkt, wie weit er und Aka sich von­ein­an­der ent­fernt ha­ben. Er er­in­nert sich an Aos Ab­nei­gung ge­gen Aka. Als Tsu­ku­ru zu Wort kommt, fragt er nicht, wes­halb sich die Cli­que von ihm ab­wand­te. Er er­kun­digt sich zu­nächst nach Shiro. Aka be­dau­ert ih­ren schreck­li­chen Tod. „Es zer­reißt mir jetzt noch das Herz.“

Zum Ver­hal­ten der Grup­pe hät­te es zum da­ma­li­gen Zeit­punkt kei­ne Al­ter­na­ti­ve ge­ge­ben. „Shiro war wahr­schein­lich psy­chisch er­krankt.“ War­um sie al­ler­dings Tsu­ku­ru der­art be­schul­digt hat­te, bleibt un­klar. „Wir wer­den die Wahr­heit nie er­fah­ren. Falls es über­haupt ei­ne gibt.“ Ei­ne Pro­gno­se für den Roman?

Aka hat­te Shiro kurz vor ih­rem Tod ein letz­tes Mal ge­trof­fen. Sie er­schien ihm selt­sam er­lo­schen, was er auf die Ver­ge­wal­ti­gung zu­rück­führ­te. Es fällt wie­der ei­ne der Aus­sa­ge, die die­sen Ro­man für mich zum Pro­blem ma­chen, „Sie hat in mei­nem Her­zen ei­ne (sic!) tie­fe Schnitt hin­ter­las­se, der sich nie ge­schlos­sen hat.“ Das ist kaum er­träg­li­cher Kitsch.

Für Tsu­ku­ru scheint das Ge­spräch be­en­det, doch Aka hält ihn zu­rück. Selbst­zwei­fel und ein Ge­fühl der Ver­gäng­lich­keit brin­gen ihn da­zu, sich zu öff­nen. Er be­reut, wie grau­sam sich die Freun­de ge­gen­über Tsu­ku­ru ver­hal­ten ha­ben. Doch ei­gent­lich drängt ihn et­was an­de­res. Ein we­nig ge­wun­den be­kennt er sich zu sei­ner Ho­mo­se­xua­li­tät. Tsu­ku­ru, der an Hai­da denkt, gibt ihm den Rat ehr­lich zu sich selbst zu sein. Sei­ne se­xu­el­le Ori­en­tie­rung of­fen zu le­ben, sei in der ja­pa­ni­schen Ge­sell­schaft sehr schwer, so Aka. End­lich trans­por­tiert der Ro­man Ge­sell­schafts­kri­tik. So ge­se­hen, könn­te man na­tür­lich die  ver­steck­te Emo­tio­na­li­tät, die Wah­rung des schö­nen Scheins, die Ober­fläch­lich­keit, die Dis­zi­plin, Selbst­kas­tei­ung und das Ver­klemm­te, was Mu­ra­ka­mi an sei­nen Fi­gu­ren vor­führt, als Kri­tik an der ja­pa­ni­schen Ge­sell­schaft auf­fas­sen. Das ver­söhnt mich ein we­nig, macht die Sa­che aber noch nicht viel bes­ser. Trotz­dem ließ mich BEYOND et­was da­hin­ter blicken.

Mu­sik: Liszt; Schuh­mann, Träu­me­rei-Kin­der­sze­nen

Weis­heit: „Die Wahr­heit ist wie ei­ne im Sand ver­sun­ke­ne Stadt. Je mehr Zeit ver­geht, des­to tie­fer wird sie vom Sand vergraben.“

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