Sushi Murakami — Vorname als Schicksal

4. Kapitel

Wäh­rend des Trai­nings be­geg­net Tsu­ku­ru je­den Mor­gen ei­nem jun­gen Schwim­mer.Foto Fum­i­a­ki Hai­da stu­diert an der glei­chen Hoch­schu­le. Sein Na­me be­deu­tet Grau. Wie­der ei­ne Far­be, denkt Tsu­ku­ru, wenn auch ei­ne ge­deck­te. Wä­re er frü­her auch so ex­akt ge­we­sen, hät­te er er­ken­nen kön­nen, daß Shiro und Kuro, Schwarz und Weiß, ei­gent­lich gar kei­ne Far­ben sind.

Tsu­ku­ru fin­det Hai­da schön, das Ge­sicht des Phy­sik­stu­den­ten sei ge­schnit­ten wie das ei­ner an­ti­ken grie­chi­schen Sta­tue. (?) Schließ­lich freun­den sich die bei­den Stu­den­ten an und ver­brin­gen nicht nur die Zeit in der Schwimm­hal­le mit­ein­an­der . Hai­da kocht, sie hö­ren Mu­sik und füh­ren lan­ge Ge­sprä­che. Oft dis­ku­tie­ren sie über Vol­taire, be­rich­tet der Er­zäh­ler sei­nem Le­ser. Teil­neh­men lässt er ihn aber lei­der nur an we­nig tief­grün­di­gen Dialogen.

Was ist ei­gent­lich dein Schwer­punkt beim In­ge­nieur­we­sen?“, woll­te der an­de­re wissen.
„Bahn­hof.“
„Bahn­hof?“
„Nicht wie in ‚Ich ver­ste­he nur Bahn­hof’ son­dern rich­ti­ge Bahn­hö­fe für die Eisenbahn.“
„Aber gibt es die nicht schon?“
„Bahn­hö­fe wer­den im­mer ge­braucht“, gab Tsu­ku­ru ein­fach zurück.
„In­ter­es­sant“, sag­te der an­de­re sicht­lich er­staunt. „Dar­über ha­be ich noch nie nachgedacht.“
„Aber du be­nutzt doch Bahn­hö­fe. Sonst könn­test du ja nicht mit der Bahn fahren.“

Sonst be­schäf­ti­gen Hai­da al­ler­dings phi­lo­so­phi­sche Fra­gen. Das hat er vom Va­ter, ei­nem Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor, der al­le Kli­schees er­füllt. „Er (…) ent­wi­ckelt gern abs­trak­te The­sen im Kopf. Er hört un­ent­wegt klas­si­sche Mu­sik und ver­schlingt Bü­cher, die sonst kei­ner liest. (..) ist mit sei­nem Kopf stän­dig wo­an­ders.“ Auch Hai­da liebt Klas­si­sche Mu­sik und kon­fron­tiert Tsu­ku­ru mit ei­nem Kla­vier­stück, das in die­sem star­ke Er­in­ne­run­gen an die kla­vier­spie­len­de Shiro aus­löst, Liszts Pil­ger­jah­re.

Mit ei­nem sol­chen fein­geis­ti­gen El­tern­haus ist Tsu­ku­ru nicht ge­seg­net, da­für über­lässt ihm sein Im­mo­bi­li­en­hai-Va­ter kos­ten­los ei­ne Woh­nung in To­ki­os Bestlage.

Eben­falls vä­ter­li­ches Ver­dienst ist die Wahl des Vor­na­mens, der wie der klu­ge Hai­du er­kennt, „et­was ma­chen“ be­deu­tet. Pas­send für ei­nen Kon­struk­teur von Bahn­hö­fen. Zu­gleich un­heim­lich, als hät­te der Va­ter ihm mit dem Na­men auch die Iden­ti­tät ver­ord­net. Vor der Na­mens­ge­bung, so glaubt Tsu­ku­ru, war er „nicht mehr als ein na­men­lo­ses, ur­tüm­li­ches Cha­os ge­we­sen. Ein wim­mern­der ro­sa Fleisch­klum­pen in der Dun­kel­heit, der kaum drei Ki­lo­gramm wog und müh­sam at­me­te.“ Das soll­te mal ei­ne deut­sche Dich­te­rin behaupten.

Gut, daß der Va­ter für Woh­nung und Na­men zu­stän­dig war, denn als er stirbt und be­er­digt wer­den muss, kann der Au­tor sei­nen Hel­den nach zehn Jah­ren noch ein­mal in die Hei­mat­stadt Na­go­ya zwin­gen. Nach all’ dem Auf­wand pas­siert je­doch we­ni­ger als man er­war­tet hat. Tsu­ku­ru denkt an die Freun­de, die sich na­tür­lich auch jetzt nicht melden.

Bei Plau­de­rei­en über frei­es Den­ken in den rei­nen Hö­hen der Lo­gik fal­len zwi­schen Tsu­ku­ru und Hai­da auch die Wor­te Pro­phe­ten und Trance. (!)

Trotz der Zu­ge­wandt­heit spricht Tsu­ku­ru nicht von sei­nem un­ge­lös­ten Kon­flikt, den er ver­drängt. Und auch nicht von sei­ner Sehn­sucht nach ei­ner Frau – „ein na­tür­li­ches Ver­lan­gen für ei­nen ge­sun­den jun­gen Mann“.

An­statt des­sen spre­chen sie über den Tod, von dem Hai­da ei­ne selt­sa­me Ge­schich­te  er­zäh­len möchte.

Mu­sik: Liszt „An­nées de pélèrinage“

Weis­heit: „Die wich­tigs­ten Din­ge im Le­ben ha­ben im­mer zwei Seiten.“

Cliff­han­ger: Ge­spens­ter­haf­te Ge­schich­te von Hai­das Vater

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