Psychologenprobleme

In „Der gute Psychologe“ erzählt Noam Shpancer von sich und anderen

Ei­ne jun­ge Kli­en­tin sitzt vor Ih­nen und er­zählt Ih­nen ih­re Ge­schich­te, und beim Spre­chen hält sie sich im­mer wie­der die Hand vor den Mund. Was be­deu­tet die­se Ges­te?“ (…) Die Freu­dia­ner wer­den sa­gen, sie hat auf ei­ner un­be­wuss­ten Ebe­ne Angst da­vor, in­kri­mi­nie­ren­de In­for­ma­tio­nen preis­zu­ge­ben,“ sagt Jen­ni­fer. „Sie leis­tet Wi­der­stand; sie ist am­bi­va­lent.“ „Ja; und was wer­den die Ko­gni­ti­vis­ten sa­gen?“ „Sie wer­den sie fra­gen, was sie sich selbst er­zählt, was sie denkt.“ „Ja, und die Be­ha­vio­ris­ten?“ „Ei­ne an­ge­lern­te Ge­wohn­heit,“ ant­wor­te­te Jen­ni­fer, „viel­leicht hat sie frü­her beim Spre­chen ge­spuckt und wur­de des­we­gen aus­ge­lacht und hat da­her ge­lernt, ih­ren Mund zu be­de­cken.“ „Wirk­lich ei­ne hüb­sche An­wen­dung des be­ha­vio­ris­ti­schen Cre­dos. Je­mand hier hört zu. Hal­le­lu­ja, Jen­ni­fer; Sie ha­ben mein mü­des, al­tes Herz er­wärmt. Und à pro­pos Herz, was wer­den die Hu­ma­nis­ten sa­gen?“ „Ah, da bin ich mir nicht si­cher; ich ver­ste­he sie nicht be­son­ders gut.“ „Nein, na­tür­lich nicht,“ sagt der Psy­cho­lo­ge lä­chelnd. „Nie­mand ver­steht die Hu­ma­nis­ten, und das schließt die Hu­ma­nis­ten selbst mit ein (…)“ S. 235f.

In die­sem fast schon flap­si­gen Lehr­dia­log zwi­schen Pro­fes­sor und Stu­den­tin zei­gen sich zwei Merk­ma­le des Ro­mans „Der gu­te Psy­cho­lo­ge“. Die Psy­cho­lo­gie ist, wie die viel­fäl­ti­gen In­ter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze von Ver­hal­ten zei­gen, kei­ne Leh­re der ein­deu­ti­gen Hand­lungs­an­wei­sun­gen. Dies sorgt für Ir­ri­ta­tio­nen und kon­fron­tiert ih­re Ver­tre­ter bis­wei­len mit in­ne­ren Kon­flik­ten. Die Psy­cho­lo­gie hat kei­ne Pa­tent­re­zep­te, die­se Bot­schaft ver­mit­telt der Au­tor mit­un­ter ver­ein­facht und trotz Kli­schees in un­ter­halt­sa­mer, selbst­iro­ni­scher Weise.

Noam Sh­pan­cer, selbst Psy­cho­lo­ge, lehrt in Ohio als Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor und be­han­delt als ko­gni­ti­ver Ver­hal­tens­the­ra­peut Kli­en­ten mit Angst­stö­run­gen. „Der gu­te Psy­cho­lo­ge“ ist sein De­büt als Schrift­stel­ler. Er er­zählt dar­in von ei­nem al­lein­ste­hen­den Mann mitt­le­ren Al­ters, von des­sen pri­va­ten wie be­ruf­li­chen Er­fah­run­gen. Wie Sh­pan­cer be­sitzt auch sein Prot­ago­nist die pro­fes­sio­nel­le Dop­pel­funk­ti­on. Sein Ta­ges­ge­schäft wid­met er sei­nen Angst­pa­ti­en­ten, im kon­kre­ten Fall ei­ner Strip­tease­tän­ze­rin, die nicht mehr auf­tre­ten kann. Abends un­ter­rich­tet er ei­ne klei­ne Grup­pe von Col­lege­stu­den­ten. Da sein Au­tor ihn in viel­deu­ti­ger Na­men­lo­sig­keit be­lässt, sei die Haupt­fi­gur im fol­gen­den ein­fach als gu­ter Psy­cho­lo­ge be­zeich­net. Ei­ne Qua­li­fi­ka­ti­on, die sich die meis­ten sei­ner Be­rufs­ge­nos­sen, viel­leicht auch Sh­pan­cer, zu­schrei­ben mögen.

Doch was macht ei­nen gu­ten Psy­cho­lo­gen aus? Die Ver­knüp­fung von Leh­re und The­ra­pie? Die er­folg­rei­che Be­wäl­ti­gung ei­ge­ner Pro­ble­me? Er­folg in der For­schung wie in der The­ra­pie sei­ner Kli­en­ten und ei­ne stets selbst­be­wuss­te und zu­frie­de­ne Per­sön­lich­keit wä­ren wohl auch für ei­nen gu­ten Psy­cho­lo­gen so schön wie unglaubwürdig.

Der gu­te Psy­cho­lo­ge im Ro­man ist un­glück­lich in ei­ne ehe­ma­li­ge Kol­le­gin ver­liebt. Doch ist er über­haupt ver­liebt? Sei­ne Sehn­süch­te gel­ten eher dem Se­xu­el­len, wes­halb die mit ei­nem in­va­li­den Mann ver­hei­ra­te­te Psy­cho­lo­gin ihn auch nicht lan­ge um ei­ne Sa­men­spen­de bit­ten muss. Die dar­aus re­sul­tie­ren­den Kon­flik­te er­ahnt auch der psy­cho­lo­gi­sche Laie. Doch der Held wirkt trotz sei­nes Wun­sches sein klan­des­ti­nes Kind zu se­hen, ge­fasst und kaum un­glück­lich. Hat er sich als gu­ter Psy­cho­lo­ge al­so doch im Griff? Und wenn ja, wä­re das gut?

Den zwei­ten Er­zähl­strang bil­den die The­ra­pie­sit­zun­gen mit der jun­gen Frau. De­ren Angst vor dem Auf­tritt führt der Psy­cho­lo­ge im Ver­lauf der The­ra­pie auf Ur­sa­chen zu­rück, die oh­ne zu viel zu ver­ra­ten durch­aus plau­si­bel sind. War­um Sh­pan­cer der Fi­gur aus­ge­rech­net den Be­ruf der Tab­le­dan­ce­rin an­dich­tet, hat sich mir nicht er­schlos­sen. Viel­leicht kann der gu­te Psy­cho­lo­ge nicht oh­ne die ent­spre­chen­de Phantasie?

Zwi­schen den pri­va­ten und den the­ra­peu­ti­schen Strang schiebt sich die Vor­le­sungs­tä­tig­keit. Die­se übt der gu­te Psy­cho­lo­ge vor höchs­tens zehn Hö­rern ei­ner Abend­schu­le aus. Im klei­nen Kreis sucht der Pro­fes­sor zwi­schen an­ek­do­ten­haf­ten Aus­füh­run­gen im­mer wie­der die per­sön­li­che An­spra­che. Dies ist mit­un­ter wit­zig zu le­sen, reicht aber kaum an ei­ne Lehr­ver­an­stal­tung heran.

Das Buch un­ter­hält und bie­tet Stoff für Dis­kus­si­ons­run­den. In die­sen soll­te vor al­lem die Fra­ge ge­stellt wer­den, ob der Prot­ago­nist nicht zu vie­le Grenz­über­schrei­tun­gen be­geht. Zwi­schen Brüs­ten und Tab­le­dance bleibt er be­fan­gen in sei­ner Männ­lich­keit. Mit wel­cher The­ra­pie ein Tes­to­ste­ron­über­schuss zu be­han­deln ist, wird Noam Sh­pan­cer als gu­ter Psy­cho­lo­ge si­cher wissen.

Psy­cho­lo­gie im li­te­ra­ri­schen Ro­man kann ge­lin­gen. Be­son­ders, wenn der Au­tor sei­ne Er­fah­rung als Psy­cho­lo­ge auf sub­ti­le Wei­se fik­tio­na­li­siert. Die Nie­der­län­de­rin An­ne En­quist nä­hert sich in ih­ren Ro­ma­nen ein­fühl­sam der Psy­che ih­rer Fi­gu­ren. Ih­re Neu­erschei­nung Die Be­täu­bung han­delt von Ge­bie­ten des Ge­fühls und der Ge­fühl­lo­sig­keit. Un­ver­ges­sen bleibt mir auch der Ro­man Und Nietz­sche wein­te des Psy­cho­ana­ly­ti­kers Da­vid A. Yalom, den ich vor vie­len Jah­ren ge­le­sen ha­be. Ei­ne in­ter­es­san­te Re­zen­si­on fin­det sich bei Glas­per­len­spiel. Yalom, der eben­falls lehr­te und prak­ti­zier­te, ver­fass­te ne­ben Ro­ma­nen zahl­rei­che Bü­cher, die Fall­ge­schich­ten aus der psy­cho­lo­gi­schen Pra­xis er­zäh­len. Trotz Fik­tio­na­li­sie­rung kön­nen sie nicht ein­deu­tig ei­nem Gen­re zu­ge­ord­net werden.

Auch bei Noam Sh­pan­cers De­büt stellt sich mir die Fra­ge, ob es sich um ei­nen Ro­man oder ein er­zäh­len­des Sach­buch han­delt? Sein zwei­tes die­ser Art mit dem Ti­tel „Der glück­lo­se The­ra­peut“ er­scheint im Sep­tem­ber im Knaus Ver­lag, der Le­se­pro­ben zu bei­den Bü­chern bietet.

Noam Sh­pan­cer, Der gu­te Psy­cho­lo­ge, übers. v. Bri­git­te Hein­rich, Knaus, 2011

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