In „Il cappotto di Proust“ schildert Lorenza Foschini die Sammelleidenschaft eines Liebhabers
Manchmal bringt uns der Zufall in den Besitz eines einzigartigen Gegenstands und manchmal weckt er nicht nur Interesse, sondern Leidenschaft, die bisweilen Spuren in Museen hinterlässt.
So präsentiert noch heute das Pariser Musée Carnavalet Mobiliar aus dem Besitz von Marcel Proust. Schreibtisch, Sessel und Messingbett sind dort in einem separaten Raum ausgestellt. Ein weiteres Besitztum, der dunkle Wollmantel mit Biberpelzfutter, liegt hingegen wegen seines schlechten Erhaltungszustands im Magazin. Jacques Guérin, Parfumeur und Sammler, vermachte diese Proustiana kurz vor seinem Tod dem Museum.
Wie er vom Proustverehrer durch zufällige Begebenheiten zum Sammler wurde, erzählt die italienische Journalistin Lorenza Foschini in ihrer kleinen Monographie „Prousts Mantel“. Auch ihr Interesse entstand eher nebenbei. In einem Interview mit Piero Tossi, dem Kostümbildner von Luchino Visconti, erkundigte sich Foschini nach dem nie realisierten Filmprojekt zur Recherche. Tossi erzählte ihr von seinem Zusammentreffen mit dem Proustkenner und Sammler Guérin.
Jacques Guérin (1902–2000), dessen Familie in ihrem Salon Künstler wie Modigliani, Picasso und Satie zu Gast hatte, war seit seiner Jugend von seltenen Büchern und Autographen fasziniert. Er leitete zwar das Traditionsunternehmen Parfum d’Orsay, seine Freizeit widmete er aber seiner Leidenschaft für Literatur. Als er 1935 bei einem seiner Streifzüge ein Antiquariat betrat, präsentierte der Besitzer ihm eine soeben angekaufte Handschrift von Marcel Proust. Weiteres Material würde der Zwischenhändler noch liefern, der auch Möbelstücke des Autors im Angebot hätte. Guérin ergriff die unerwartete Gelegenheit und kaufte Werner, so der Name des Trödlers, den Schreibtisch und den Bücherschrank des Schriftstellers ab. Mehr noch, nachdem Werner sich als direkter Beauftragter der Witwe von Prousts Bruder Robert, Marthe Dubois-Amiot, ausgewiesen hatte, bat Guérin ihm weiteres aus seiner Quelle zu besorgen. Oder besser, das von der Zerstörungswut der Schwägerin Verschonte. Dass diese vor allem die papierenen Relikte ihres Schriftsteller-Schwagers am liebsten dem Feuer überließ, hatte Guérin vor sechs Jahren in einem persönlichen Gespräch erfahren. Als Patient ihres Mannes war er Gast in ihrem Haus und erfuhr dort vom respektlosen Umgang mit der literarischen Hinterlassenschaft. Nun entstand über Werner ein weiteres Mal Kontakt zur Familie Proust und für den Liebhaber die einmalige Gelegenheit mit den Erbstücken eine Sammlung zu begründen. Zu dieser zählten nicht nur Mobiliar und Gebrauchsgegenstände, sondern auch Dokumente. Werner brachte die vor dem Feuer geretteten Fotos, Zeichnungen und Schriftstücke in einer Hutschachtel zu Guérin, der nach weiteren Trouvaillen verlangte. In dem eigens eingerichteten „Proustzimmer“ fand schließlich auch das Messingbett Marcels eine würdige Heimstatt, nachdem der Sammler es aus dem feuchten Trödlerschuppen Werners gerettet hatte. Weitere insistierende Nachbohrungen brachten diesen schließlich zum Geständnis, er habe noch einen alten Mantel Prousts. Doch herausrücken wollte er diesen zunächst nicht, da das Stück ganz verkommen sei, er habe ihn von Marthe erhalten um sich beim Fischen die Knie zu wärmen. Wie wir wissen, ließ sich auch dieser Widerstand mit einer kleinen Summe brechen. Guérin verließ sich nicht nur auf Werner bei seiner Suche nach weiteren Objekten aus dem Besitz von Marcel Proust. Sobald eine Person aus dem Umfeld des Schriftstellers starb, suchte er auf deren Beerdigung Kontakte, um an weitere Fundstücke zu gelangen.
Im Laufe der Jahre beherbergte sein kleines Proustmuseum viele Originale, die er allerdings nie der Öffentlichkeit zugänglich machte. Bevor Jacques Guérin am 6.8.2000 im Alter von 98 Jahren starb, verkaufte er die Erstausgabe der Recherche der Bibliotheque Nationale, die Möbel und den Mantel vermachte er dem Musée Carnavalet. Alles Übrige ging gegen hohe Summen an namentlich nicht bekannte Käufer. Mit dem Tod des Sammlers endete so leider auch die Geschichte dieses unwiederbringlichen Ensembles.
Lorenza Foschini macht die Erinnerung daran mit Hilfe der aufgeführten Literatur erneut möglich. Ihre journalistische Recherche versetzt den Leser durch atmosphärische Beschreibungen in die Zeit und Umstände der Sammlungsgründung. Die historische Reportage bietet durchaus spannende Lektüre, wenn auch auf manche Wiederholung hätte verzichtet werden können.
Wenig begeistert haben mich die Psychologisierungsversuche der Autorin, zum Beispiel wenn diese die Porträtzüge Robert Prousts mit seinem Verhalten in Zusammenhang bringen will. Auch klischeehafte Vorstellungen über das „Wesen des Homosexuellen“ wirken wenig seriös. Oft neigt Foschini zur Überinterpretation von Fotografien, was sich besonders bei den Kinder- und Jugendporträts von Robert und Marcel zeigt, die im übrigen in Text- und Bildabfolge nicht übereinstimmen.
Vielleicht macht dieser psychologisch-emotionale Zugang den Essay für andere Leser besonders interessant? Für mich war es ein lesenswertes Stückchen im großen Puzzle der Proustiana, die mal sehr mal weniger gelungen ohne Unterlass auf dem Buchmarkt erscheinen und mit dem Namen des Vielverehrten im Titel stets Aufmerksamkeit erzeugen.
Lorenza Foschini, Il cappotto di Proust. Storia di un’ossessione letteraria, Mondadori, I ediz. 2010
manchmal war es etwas vewirrend und ich musste frühere Stellen im Buch suchen. Verwirrend waren auch Vergleiche der Proustbrüder: Auf der Umschlagseite wird Robert der Ältere genannt. Ich musste im Wikipedia Klarheit suchen.
Ich habe das Buch mit grosser Anteilnahme gelesen und die Erinnerung an Proust einsame Nächte, schreibend im Bett, wühlten mich wieder auf.
Ich verstehe nichts von Literatur. Aber ich bin glücklich, dass ich zufällig in einem Antiquariat das Buch entdeckte.
Herzlich Willkommen auf meinem Blog. Eine Proust-Leserin oder Leser, wie schön.
Na, wenn das keine gute Fügung ist, in einem Antiquariat dieses Buch zu entdecken und damit ein kleines Stückchen Proust. Vielleicht macht das ja auch Lust auf mehr? Vielleicht sind meine Leseetappen, die hier beginnen, eine Anregung?