„Was übrig bleibt” — Sigrid Combüchen erzählt von Frauen und Damen damals und heute
Was zum Teufel soll ein Damenroman sein und möchte man etwas Derartiges überhaupt lesen?
Die in Schweden aufgewachsene deutschstämmige Sigrid Combüchen lässt diese Bezeichnung von ihrer Erzählerin folgendermaßen erklären.
„Ein Damenroman handelt natürlich von Kleidern und Schmuck und Aussehen und Illusionen über die Liebe und „jedes Mädchen soll für einen Tag im Leben eine Prinzessin sein dürfen“.“
Eine Seite zuvor wird der dänische Literat Georg Brandes (1842–1927) angeführt, der mit diesen Spottbegriff gewisse Frauenromane belegte. Wir mögen an Rosamunde Pilcher denken, Herr Brandes dachte an Victoria Benedictsson (1850–1888). Doch zu diesem klischeereichen traditionellkonservativen Schicksalsschilderungen zählt Combüchens Roman keineswegs.
In „Was übrig bleibt“ schildert sie die Entwicklung der jungen Hedda, die für sich, im ländlich-bürgerlichen Milieu der Dreißigerjahre schwierig genug, eine Ausbildung in Stockholm durchsetzt. Sie nimmt allerdings kein Studium auf, was ihren Fähigkeiten angemessen wäre, sondern belegt einen Kurs in Schneiderei. Welche Erfahrungen sie in der fremden Umgebung und mit ihrer persönlichen Freiheit macht, sind der Stoff des knapp 500 Seiten umfassenden Romans. Dem an dieser Zeit und an Hedda interessierten Leser seien sie empfohlen. Damen, die nach einer leichten Abendunterhaltung suchen, weniger, denn der Aufbau der Geschichte hat es in sich.
Die Lebens- und Liebesgeschichte Heddas als Kern des Romans wird von weiteren Erzählebenen umgeben, in denen der Leser an der Recherche zu diesem Stoff teilnimmt. Zudem erhält er Einsicht in die Quellen, zu denen etliche abgedruckte Briefe von Hedwig/Hedda zählen. Doch alles ist fiktiv, wie Sigrid Combüchen im Nachsatz betont. Auch die nach ihr benannte Schriftstellerin und Ich-Erzählerin in den Recherche-Passagen. Das mag verwirrend klingen, und lässt einen zu Beginn vielleicht manches Mal zurück blättern, trägt aber zum besonderen Reiz des Romans bei. Dieser verläuft nicht streng chronologisch. Manchmal lässt sich die „Autorin“ von der „Briefeschreiberin“ inspirieren, manchmal erfährt der Leser in nachgereichten Briefen Details des zuvor Erzählten. Perspektivwechsel und zeitliche Sprünge erhöhen Spannung und Lesevergnügen. Lediglich die Figur der Nachbarin, Idealmutter und echte Ex-Bewohnerin von Heddas Elternhaus erscheint mir überflüssig, so wie der explizite Hinweis auf dichterische Freiheit.
In einer der Autoren-Passagen erscheint hinter der Figur Sigrid Combüchens ein Reflex auf die Namensgeberin. „In ihrer Eigenschaft als Dichterin hat sie ihren Mädchennamen behalten, aber war das wirklich schlau. Sigrid? Die schwedische Kulturszene ist ziemlich konservativ. Ein Ü im Namen ist ausländisch und halb kanakenhaft. Gar nicht gut.“
Reüssiert hat die reale Sigrid Combüchen trotzdem. Nach ihren bekannten biographischen Romanen über Hamsun und „Byron“ waren einige ihrer nachfolgenden Werke bereits für den schwedischen August Preis nominiert. 2010 erhielt sie mit „Was übrig bleibt“ diesen Literaturpreis. Übersetzt von Paul Berf wurde es nun im Kunstmann-Verlag aufgelegt. Ein interessant konstruierter Roman nicht nur für Damen.
Zur Ehrenrettung von Victoria Benedicctson, die trotz des harschen Urteils Herrn Brandes diesem in Liebe verfallen war, darf nicht unerwähnt bleiben, daß diese Autorin mit ihren späteren Werke erhebliche literarische Beachtung erhielt, so für ihren ins Deutsche übertragenen Titel „Geld“.
Liebe atalante,
ich lese gerade auch „Was übrig bleibt” (ein lustiger Zufall, dass wir nach Ben Brooks schon wieder ein Buch fast parallel lesen) und habe mich sehr gefreut, hier eine Rezension dazu zu finden.
Zu Beginn hatte ich schon Schwierigkeiten mit dem Aufbau des Buches und konnte die Struktur kaum nachvollziehen … nach den ersten Seiten ist das aber dann besser geworden. Sigrid Combüchen erzählt wirklich sehr gekonnt und ich lese das Buch bisher sehr gerne — richtige Begeisterungsstürme löst es nicht aus und dennoch schafft es der Roman mich gut zu unterhalten.
Liebe Grüße
Mara
Hallo Mara, da ging es Dir zu Beginn der Geschichte ja ähnlich wie mir. Ich bin auf Dein abschließendes Urteil sehr gespannt, vor allem was Du zu den Nebenfiguren aus den Recherche-Kapiteln sagen wirst. Ich denke besonders an die Nachbarin.
Ich hatte es schon bei Mara kommentiert aber ich schreib es gern noch einmal. Sigrid Combüchen erklärte auf der Leipziger Buchmesse während einer Lesung, dass der Zusatz “Damenroman” in Norwegen und Dänemark oft benutzt wird und negativ besetzt ist. Sie hat den Untertitel aus Trotz benutzt, auch mit der Fragestellung im Hintergrund: Haben Männerromane mehr Wert?
Müssten diese dann nicht eher „Herrenromane” heißen, Bücherliebhaberin? 😉
Danke für den O‑Ton der Autorin. In ihrem Buch erklärt sie ja, wie ich erwähnte, die Prägung des Begriffs durch Brandes. Dass dies aber noch heute gebräuchlich ist, wusste ich nicht.
In Deutschland existieren ja ähnliche Begriffsverwirrungen um „Frauenbücher”. Die einen denken an rosarot-himmelblaue Cover, die anderen an die Reihe „Neue Frau” aus den Achtzigern.